Die Mode der Mayas

Von Birgitta Huse

Kleidung sendet Signale: über die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, den sozialen Status oder individuelle Vorlieben. Auch indigene Kleidungstraditionen unterliegen dem gesellschaftlichen Wandel. So haben etwa Tourismus und Migration Auswirkungen auf Trachten und ihre Funktionen, wie das Beispiel einer Maya-Gemeinde im Hochland von Chiapas zeigt.

Mit Hilfe von Kleidung senden Menschen Signale: Informationen über ihre Identität, ihre Zugehörigkeit zu einer Gruppe und ihren sozialen Status. In Mexiko etwa macht die ethnische Herkunft einen wichtigen Bestandteil von Identität aus: Durch ihre Trachten sind Frauen und Männer als indigen zu erkennen. So wird Kleidung auch häufig zum Ausdruck politischer Gesinnung verwendet: Politisch aktive Personen mit indigener Herkunft, die es in der nationalen Gesellschaft zu etwas gebracht haben, kleiden sich öffentlichkeitswirksam mit ihrer oder einfach einer indigenen Tracht, um ihre Nähe zur Landbevölkerung zu signalisieren. Der bolivianische Präsident Evo Morales sowie die Menschenrechtsaktivistin und Präsidentschaftskandidatin Rigoberta Menchu aus Guatemala sind prominente Beispiele.

Aus dem südmexikanischen Bundesstaat Chiapas waren Mitte der 1990er Jahre Bilder von aufbegehrenden indigenen Frauen und Männer in ihren Trachten aus San Andrés Larraínzar in den Medien zu sehen. Um ihre Solidarität mit der Bewegung zu bekunden, griff seinerzeit auch manche mexikanische Stadtbewohnerin ohne jüngere indigene Vergangenheit plötzlich zum Huipil aus San Andrés, einer weißen Bluse mit rot-schwarzer Brokatweberei. Die Indigenen selbst hingegen vertauschen ihre Tracht oft mit Kleidung aus industrieller Massenfertigung, wenn sie vom Land in die Stadt ziehen. Sie wollen gesellschaftliche Benachteiligungen vermeiden.

Am Wandel von Kleidungstraditionen wird deutlich, wie sich Gesellschaften und ihre wirtschaftlichen Grundlagen verändern. Das zeigt das Beispiel einer Maya-Gemeinde im Hochland von Chiapas, San Juan Chamula. Die Entwicklung der dortigen Kleidungskultur in den vergangenen etwa 30 Jahren lässt sich mit mehreren Faktoren der gesellschaftlichen Entwicklung im Zusammenhang sehen. Zum einen ist die indigene Bevölkerung Mexikos eine der Attraktionen im boomenden Tourismusgeschäft. Touristen besuchen gerne ein „typisches Maya-Dorf" wie San Juan Chamula, das leicht von San Cristóbal de Las Casas aus erreichbar ist. Die Mädchen und Frauen erkannten die sich in den 1970er Jahren bietenden geschäftlichen Möglichkeiten schnell: Touristen suchen Souvenirs, Kauferlebnisse mit Indianerinnen und „Urlaubstrophäen" in Form von Fotos oder Filmmaterial - die Chamula-Frauen bieten all dies gegen Bezahlung auf einem Kunsthandwerksmarkt an. Ihrer „traditionellen" Kleidung kommt die Rolle einer Arbeitskleidung zu: Sie abzulegen wäre geradezu geschäftsschädigend.

Diese Funktion wird noch deutlicher, wenn dieser Handel nicht mehr in San Juan Chamula, sondern etwa in Cancun, dem bekannten Badeort an der karibischen Küste Mexikos, stattfindet. Die Chamula-Mädchen und Frauen nutzen hier ihre Tracht als Alleinstellungsmerkmal im Souvenirgeschäft: Während die Mädchen ihren vormittäglichen Schulbesuch in Jeans und knappen T-Shirts absolvieren, beginnen sie nachmittags die Arbeit am Souvenir-Stand der Mutter in ihrer Chamula-Tracht, bestehend aus dickem, langem Wollrock und enger, bestickter Synthetik-Bluse - angesichts der tropischen Temperaturen in Cancun eine echte Herausforderung. Die Tracht dient dem Geschäft. Bei der „Freizeitkleidung" haben die Mädchen und Frauen eine größere Wahlfreiheit als zu Hause in Chiapas. Gleichzeitig wirken allerdings andere Zwänge wie etwa der, in der Schule und anderswo nicht schon mit der Kleidung die oftmals gering geschätzte indigene Herkunft zu signalisieren.

Einen wichtigen Einfluss auf die traditionelle Kleidung haben zudem die Medien und das wachsende Warenangebot. Vor allem US-amerikanische Filme und Migrationserfahrungen in den USA zeigen bei der Kleidung der Chamula-Männer ihre Wirkung: Jeans und Turnschuhe, teilweise auch Cowboystiefel erfreuen sich ebenso großer Beliebtheit wie Baseball- und Basketball-Blousonjacken und Schirmmützen. Darüber hinaus bringen zurückkehrende Migranten nicht nur neue Gewohnheiten mit nach Chamula, sondern manchmal auch eine Ehefrau. Diese jungen Frauen können ihren städtischen Kleidungsstil mit Jeans und T-Shirt - wenn auch unter kritischer Beobachtung - beibehalten, weil ihre Ehemänner häufig zu den wohlhabenden, angesehenen Chamula-Familien gehören.

Im Laufe der Jahre hat auch in Chamula die Mode als Ausdruck von Wandel und als Auslöser für Wandel Einzug gehalten: In immer kürzeren zeitlichen Abfolgen sind neue Trends zu sehen. Die modischen Entwicklungen sind dabei eng mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten einzelner Personen und Familien verzahnt. Der Unterschied zwischen Armen und Wohlhabenden in Chamula wird an der Kleidung immer deutlicher sichtbar.

Lange Jahre stellten alle Chamula-Frauen aus der Wolle der eigenen Schafe Kleider her. Die Unterschiede in der Alltagskleidung waren vergleichsweise gering. Heute hingegen können wirtschaftlich erfolgreiche, im Handel tätige Frauen und Männer laufend mit gekauften neuen Kleidungsstücken in immer neuen Farben und Varianten aufwarten. Besonders die Frauen „glänzen" mit neuen Blusen, die nicht einfach nur wie zuvor blau oder weiß sind, sondern auch orange, hellgrün oder dunkelbraun. Die Stickereien auf den Blusen sowie die gewebten Gürtel werden der Blusenfarbe angepasst. Ihre Röcke weben die Frauen meist nicht mehr selbst, da sie bei erfolgreicher Tätigkeit im Souvenirhandel keine Zeit dazu haben. Ihre flauschigen, langhaarigen Röcke sind teuer, da neben der Webarbeit das hochwertige Material (langhaarige Schafwolle) beim Kauf zu bezahlen ist. Die jungen wohlhabenden Männer zeigen sich in jeweils „angesagten" Blousons, Turnschuhen, Jeans und Kappen. Der Kauf von Kleidung ist zum Statussymbol geworden.

Im Gegensatz zu diesen „Trendsettern" in Chamula kann sich die ärmere Bevölkerung keine schnell wechselnden Moden leisten. Den ärmeren Frauen bleibt die traditionelle Kleidungsproduktion für ihre Familien, sofern sie nicht hauptsächlich Textilien für Touristen herstellen. Dann sind sie gezwungen, einen bezahlbaren Ersatz zu beschaffen: Ihre Männer und Söhne kaufen zunehmend Secondhand-Kleidung aus Europa und den USA auf dem Markt, die Frauen und ihre Töchter tragen Wollröcke einfachster Fertigung und erwerben möglichst die billigsten Blusen, die sie bekommen können - nämlich die, die nicht mehr modern sind: Die blauen und die weißen. So ist die finanzielle Situation einer Dorfbewohnerin oder eines Dorfbewohners für jeden in der Gemeinde auf den ersten Blick zu erkennen.

Eine „Globalisierung der Kleidungsstile" ist nur vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen in der jeweiligen Region möglich. Menschen übernehmen nicht wahllos „westliche Mode", die sich übrigens seit langem von ethnischen Elementen inspirieren lässt. Vielmehr spielen bei der Kleiderwahl immer mehrere Faktoren eine Rolle: mit ethnischer Kleidung einhergehende Vor- und Nachteile, Migrationserfahrungen, die wirtschaftliche Lebensgrundlage wie etwa die Arbeit im Souvenirhandel und nicht zuletzt die zunehmende Möglichkeit, Kleidungsentscheidungen individuell je nach Lebenssituation zu treffen. Ökonomische Zwänge bei der Kleiderwahl nehmen allerdings bestimmt nicht nur bei den Chamula in Südmexiko stark zu. Wer arm ist, hat kaum eine Wahl und muss auf billigste Produkte beispielsweise aus China oder auf Secondhand-Ware zurückgreifen.

Birgitta Huse ist promovierte Ethnologin und forscht seit 20 Jahren regelmäßig in Mexiko. Sie arbeitet in der Jugend- und Erwachsenenbildung sowie als Autorin.

 

erschienen in Ausgabe 6 / 2009: Kleidung – Wer zieht uns an?

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