Brüchiger Stabilitätsanker

Proteste im Sudan
Im Sudan eskalieren die seit Wochen andauernden Proteste gegen die Regierung, am vergangenen Wochenende kamen mehrere Demonstranten ums Leben. Die Bundesregierung betrachtet das Land trotzdem weiter als wichtigen Partner.

Die Bundesregierung reagiert auf die Zuspitzung im Sudan mit gespaltener Zunge: Wohl protestiert sie im Rahmen der EU gegen die Gewalt gegen Demonstranten und fordert von der Regierung in Khartum, Inhaftierte freizulassen. Die Menschenrechtsbeauftragte Bärbel Kofler verlangt, die Todesfälle unter friedlichen Demonstranten müssten aufgeklärt werden. Zugleich bekräftigt die Regierung an anderer Stelle, wie wichtig Sudan als „Anker der Stabilität am Horn von Afrika“ bleibe.

Das zumindest hat der Parlamentarische Staatssekretär im Entwicklungsministerium (BMZ), Norbert Barthle, unlängst im Fachausschuss des Deutschen Bundestags gesagt. Für die Opposition ist das ein weiterer Beleg dafür, dass im Sudan zum Zwecke der Migrantenabwehr über Menschenrechtsverstöße hinweggeschaut werde – wie auch in Algerien, Ägypten, Niger und Tschad. „Die Bundesregierung und die EU legitimieren so Machthaber wie al-Baschir, um die europäische Abschottungspolitik voranzutreiben“, beklagt Grünen-Sprecher Uwe Kekeritz. Das sei unverantwortlich und habe mit Stabilität nichts zu tun.

In den Sudan fließen vor allem aus dem EU-Nothilfe-Treuhandfonds (EUTF) Gelder für die europäische Migrationspolitik – auch wenn auch der Löwenanteil der Mittel für die Region Horn von Afrika bislang an Somalia und Äthiopien geht. Den größten Beitrag zum Fonds leistet Deutschland.

Sonderinitiative Flucht der Bundesregierung

Die Bundesregierung begründet ihre Partnerschaft mit dem „Stabilitätsanker“ vor allem damit, dass der Sudan 1,1 Millionen Flüchtlinge aus der Region aufgenommen habe. Zur Stabilisierung werde mit Haushaltsmitteln der Sonderinitiative Flucht und dem Übergangsprogramm nach Krisen geholfen. „Alle Maßnahmen kommen direkt und unmittelbar vulnerablen Bevölkerungsgruppen zugute“, antwortete BMZ-Staatssekretärin Maria Flachsbarth auf eine Anfrage von Kekeritz.

Manche Politiker von CDU/CSU sind dem Vernehmen nach sogar für eine Wiederaufnahme direkter Entwicklungshilfe für Sudan. Die BMZ-Staatssekretärin schließt das zwar aus, doch in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen nennt die Regierung erkleckliche Summen, die über regionale Entwicklungsprogramme sowie über die bundeseigene Durchführungsorganisation GIZ, die KfW Entwicklungsbank und nichtstaatliche Organisationen eingesetzt werden – zusätzlich zu den Beiträgen zu europäischen und multinationalen Programmen.
 
Demnach sind für die an Eritrea und Äthiopien grenzenden sudanesischen Bundesstaaten mehr als 23 Millionen Euro für Ernährung, Flüchtlingshilfe und Bildung zugesagt sowie 27,5 Millionen Euro für soziale Grunddienste für Kinder, die von Unicef umgesetzt werden. 21 Millionen Euro fließen in Wiederaufbau und Entwicklung in der Krisenregion Darfur, 13 Millionen Euro in die Flüchtlingshilfe in Süddarfur, mehr als 21 Millionen Euro an das Welternährungsprogramm WFP. Hinzu kommen Millionenbeträge für nichtstaatliche Projekte der Existenzsicherung, Ernährung oder Landwirtschaft. Das Umweltministerium fördert mit 15 Millionen Euro Biodiversität und Klimaanpassung; dem Regionalvorhaben „Better Migration Management“ der GIZ sind sechs Millionen Euro Haushaltsmittel zugesagt.

Zahlungsempfänger sind in allen Fällen deutsche und multilaterale Organisationen und nicht die sudanesische Regierung. Doch listet die Regierung für die meisten Vorhaben der GIZ sudanesische Kooperationspartner wie das Innen- und Justizministerium in Khartum und Provinzregierungen auf.

Wertvoller Partner in der Migrationsabwehr

Aus Sicht der EU ist der Sudan seit dem vorübergehenden Anstieg der Flüchtlingszahlen im Jahr 2015 ein wertvoller Partner in der Migrationsabwehr. Das Land ist von einer der wichtigsten Flucht- und Migrationsrouten Richtung Mittelmeer durchzogen. Ein zentraler Baustein der Kooperation ist der Grenzschutz. Deutschland beteiligt sich daran mit Trainings für die Kriminalpolizei zur Verbesserung von Ermittlungstechniken und mit Schulungen für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Einreisebehörden und Grenzpolizei sowie mit Trainings in Rechtsstaatlichkeit. Eine Zusammenarbeit mit dem Militär oder der Miliz „Rapid Support Forces“ sei ausgeschlossen, versichert die Bundesregierung.

Ebenso verneint Berlin die Frage nach der Lieferung von Ausrüstungsmaterial und Sicherheitstechnologie für den Grenzschutz. Aktuell werde eine Ein- und Ausreise-Software (MIDAS) am Flughaften von Khartum eingeführt und die Passbehörde (PCRC) mit Computern, Druckern, Fingerabdruckscannern sowie mit Dokumentenlesegeräten ausgestattet – letzteres im Auftrag des Bundesinnenministeriums. Das lässt einen Bezug zur Rücknahme von Geflüchteten vermuten: Sudan gehört zu den Herkunftsländern, mit denen Deutschland entsprechende Abkommen vereinbaren will.

Nach Ansicht von Länderexperten sieht al-Baschir den Migrationsdialog mit der EU als ein Instrument, seine Beziehungen zur internationalen Gemeinschaft zu normalisieren. Die EU hat erst im Februar mit der Arabischen Liga, zu der auch der Sudan gehört, eine engere Zusammenarbeit vereinbart. Lobende Worte findet Berlin unter anderem dafür, dass Khartum die Beziehungen zu seinen Nachbarstaaten normalisiert habe und sich zunehmend als Vermittler in Konflikten der Region engagiere, zum Beispiel bei den Friedensabkommen in Südsudan 2018 und in der Zentralafrikanischen Republik.

Zugleich geht die Bundesregierung davon aus, dass die mit saudischer Bezahlung im Krieg im Jemen kämpfende Miliz RSF, die auch als Grenzschutztruppe berüchtigt ist, „von ihrem Einsatz vor allem finanziell profitieren und innerhalb des sudanesischen Sicherheitsapparats an Einfluss gewinnen“ wird, wie es in einer Antwort auf die Anfrage der Grünen heißt.

 

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