„Reporter sollten Helme und schusssichere Westen tragen“

Afghanistan
13 der 54 Journalisten, die laut des internationalen Komitees zum Schutz von Journalisten im vergangenen Jahr weltweit getötet wurden, waren Afghanen. 2018 war damit das tödlichste Jahr für den afghanischen Journalismus seit 2002. Der Radiojournalist Mujeeb Khalvatgar, der sich zugleich für Pressefreiheit in Afghanistan engagiert, macht dafür nicht zuletzt die Regierung verantwortlich. Er sieht aber auch Hoffnungsschimmer für den Journalismus in seinem Land.

Vor einem Jahr, am 30. April 2018, verloren neun Journalisten bei einem Anschlag in Kabul ihr Leben. Das war traumatisch für den afghanischen Journalismus. Was ist seitdem passiert? 
Bis heute sind wir uns nicht sicher, wer den Anschlag verübt hat, ob es die Taliban waren oder der IS. Obwohl die Regierung eine gründliche Untersuchung des Anschlags versprochen hat, haben wir immer noch keinen umfassenden Bericht erhalten. Ich zweifle daran, dass man sich dabei wirklich Mühe gibt, aber wir werden weiter Aufklärung fordern. Im Vergleich zu 2017 ist die Gewalt gegen afghanische Journalisten im vergangenen Jahr um mehr als fünfzig Prozent gestiegen. Dies liegt nicht nur an der insgesamt schlechteren Sicherheitslage in Afghanistan, sondern auch daran, dass die Regierung nicht fähig und willens ist, die Journalisten des Landes angemessen zu schützen. 

Worin sehen Sie den Grund für den Anstieg der Gewalt gegen Journalisten? 
Bewaffnete Gruppen wie der IS und die Taliban kümmern sich nicht um die Menschenrechte, zu denen auch die Pressefreiheit gehört. Unsere Journalisten werden mit jedem Tag professioneller darin, die Hintergründe hinter Taliban-Verbrechen aufzudecken und die Verursacher von Menschenrechtsverletzungen an den Pranger zu stellen. Die Extremisten sorgen sich um ihr Image in den afgha­nischen Medien; deshalb tun sie alles, was in ihrer Kraft steht, um Journalisten Angst einzujagen, damit sie ihre Arbeit einstellen.

Was können Journalisten in Afghanistan tun, um sich zu schützen? 
Es gibt klare Maßnahmen, mit denen solche Ereignisse wie die Attacke vom April 2018 verhindert oder zumindest abgeschwächt werden können. Reporter sollten zumindest Helme und schusssichere Westen tragen. Der Geheimdienst muss Medienunternehmen über Drohungen gegen Journalisten informieren. Zudem sollte die afghanische Regierung Sicherheitstrainings für Journalisten anbieten, die vom afghanischen Militär und der Polizei durchgeführt werden müssen. Dazu sollten auch Schulungen zum Umgang mit Traumata gehören. Jedoch haben wir nie Schritte in diese Richtung gesehen. 

Wie erklären Sie sich die Unfähigkeit der Regierung, sichere Arbeitsbedingungen für afghanische Journalisten zu gewährleisten?
Zuallererst existiert kein wirklicher Wille, die Meinungsfreiheit voranzutreiben. Wenn Sie mich fragen, so ist unsere aktuelle Regierung gescheitert. Die afgha­nischen Medien berichten sehr kritisch über sie. Auf irgendeine Art ist man in der Regierung froh, dass es mit dem afghanischen Journalismus bergab geht. Auf der internationalen Ebene behauptet die afghanische Regierung, Meinungsfreiheit sei eine ihrer größten Errungenschaften. Doch tatsächlich stimmt das Gegenteil. Die Regierung tut nichts, um eine sichere Umwelt zu schaffen, in der Journalisten arbeiten können. Deshalb ist der investigative Journalismus in den afghanischen Medien insgesamt zurückgegangen. Die Regierung spielt ein Spiel mit den Medien, indem sie alle möglichen Formen von Druck auf sie ausübt und die Meinungsfreiheit einschränkt. Wenn Journalisten keine sichere Arbeitsumwelt haben, dann müssen sie Selbstzensur betreiben. 

Wie kooperativ ist die Regierung im Umgang mit Journalisten? 
Die Behörden versorgen uns nicht ausreichend mit Informationen, die wir benötigen, um professionell arbeiten zu können – obwohl unser Präsident das Gesetz zum Zugang zu Informationen unterschrieben hat. Kürzlich wurde beispielsweise der Pressesprecher des Militärs entlassen. Stattdessen müssen nun sämtliche Informationen zunächst durch die Zentralregierung geschleust werden. Das Zurückhalten von Informationen ist eine weitere Form von Zensur. Außerdem gibt es Fälle, dass Regierungsbehörden Journalisten bestochen oder Geheimdienstoffiziere die Berichterstattung beeinflusst haben. Manche von ihnen hegen enge Beziehungen zu bestimmten Medien.

Was motiviert afghanische Journalisten, trotzdem weiterzumachen? 
Im Großen und Ganzen begegnet die Gesellschaft uns Journalisten mit Respekt. Nach den Anschlägen im April 2018 etwa haben wir Aufklärungskampagnen über die Lage des afghanischen Journalismus durchgeführt, in deren Verlauf uns viele Menschen kontaktiert haben. Es ist wichtig für uns, diese Rückendeckung zu spüren. Obgleich der Mangel an Sicherheit die Arbeitsmoral beeinträchtigt hat, sind viele von uns nach wie vor stark motiviert, hart und kritisch zu arbeiten. Trotz der mangelnden Unterstützung für die Medien gibt es viele Journalisten, die mit Energie arbeiten und weiter an ihre Arbeit und an die Zukunft des Landes glauben, selbst im Angesicht von Todesdrohungen. 

Wie hat sich die Unterstützung aus dem Ausland auf den afghanischen Journalismus ausgewirkt?
Nach dem Fall der Taliban war die internationale Hilfe für den Wiederaufbau der Infrastruktur des afghanischen Journalismus äußerst wichtig. Wir sind von analogen Systemen zur Digitaltechnologie übergegangen. Seit 2014 geht die Hilfe zurück, in den vergangenen acht Jahren ist sie um 70 Prozent geschrumpft. Im Jahr 2011 etwa betrug die jährliche Finanzierung noch zwei Millionen US-Dollar, im letzten Jahr waren es weniger als eine halbe Million. Als Folge mussten viele Projekte eingestellt werden. Seit 2014 haben mehr als 180 Medien zugemacht. Dazu gehören fünf Fernsehkanäle, mehr als 15 Radiosender und vier Nachrichtenagenturen; der Rest sind Zeitungen. 

Welche Rolle spielen Medien von Aufständischen? 
Unter dem Regime der Taliban gab es nur einen einzigen Radiosender, die „Stimme der Scharia“. Seit dem Jahr 2007 haben die Taliban ihre Rundfunkaktivitäten wieder aufgenommen. Jetzt betreiben sie Radiosender in den südlichen Provinzen Kandahar und Zabol. Selbst in Ghazni haben sie einen stadtweiten Sender für ihre Propaganda etabliert. Zudem nutzen sie soziale Medien. All das beruht auf den Mängeln in der afghanischen Mediengesetzgebung: Es gibt keine Regeln für den Erwerb und den Betrieb von Medien; an sich kann jeder seinen eigenen Kanal eröffnen. Warlords nutzen das und betreiben Fernsehkanäle, um ihr blutgetränktes Image reinzuwaschen und Anhänger zu gewinnen. 

Was macht Ihnen Hoffnung für den afghanischen Journalismus? 
Erfreulich ist, dass die Präsenz von Frauen in den Medien gestiegen ist. In den vergangenen Jahren haben viele Frauen die Journalistenschulen absolviert und eine professionelle Medienausbildung erhalten. Während wir Unsicherheit erfahren, ist die Gesellschaft kulturell offener geworden, so dass Frauen leichter ihren Karrieren nachgehen können, zumindest in den Städten. In manchen Fällen sind das Frauen, die zur Arbeit geschickt werden, weil die Männer in der Familie getötet wurden. In anderen Fällen sind es hochmotivierte junge Profis, die wirklich etwas bewirken wollen. Leider hört man wenig von solchen Geschichten in den westlichen Medien. Der Fokus bleibt meist auf dem Töten.

Das Gespräch führte Marian Brehmer. 

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erschienen in Ausgabe 7 / 2019: Multilaterale Politik: Zank auf der Weltbühne
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