Kubas zweite Revolution

Wirtschaft
Kuba öffnet und modernisiert seine Wirtschaft, und die Regierung bereitet das Land auf den Klimawandel vor. An einigen Errungschaften der Ära Fidel Castro lässt die Bevölkerung aber nicht rütteln.

Vor 60 Jahren haben auf der Karibikinsel junge, bärtige Revolutionäre um Fidel Castro den von den USA gestützten Diktator Fulgencio Batista gestürzt; in der Folge kam die Kommunistische Partei an die Macht, die bis heute regiert. Vor einem Jahr ist der 58-jährige Miguel Diaz-Canel von der neu gewählten Nationalversammlung zum Präsidenten gewählt worden. Er ist damit die erste Person an der Spitze des Landes, die nicht zur alten Revolutionsgarde gehört. Nunmehr ist der Höhepunkt des Generationenwechsels erreicht, der vor über einem Jahrzehnt begonnen hat.

Am 24. Februar dieses Jahres hat die Bevölkerung zudem über einen Verfassungsentwurf abgestimmt. Die Diskussion über eine Aktualisierung der „Prinzipien der Gesellschaft“ hatte mit dem Amtsantritt des Bruders von Fidel Castro, Raúl Castro, als Präsident im Jahr 2008 begonnen. Eine Kommission der Nationalversammlung arbeitete einen Verfassungsentwurf aus, der in rund 135.000 öffentlichen Versammlungen intensiv diskutiert wurde. Bis zum Schluss wurden unzählige Änderungsvorschläge vorgebracht, so dass von den insgesamt 224 Artikeln 113 verändert wurden.

Überraschend waren zwei Einwände. Die Kommission hatte erstens vorgeschlagen, die Amtszeiten für hohe Ämter zu begrenzen und eine Altersgrenze vorgesehen. In den öffentlichen Debatten lehnten viele Bürgerinnen und Bürger diesen Vorschlag ab. Dennoch wurden diese Begrenzungen in die Verfassung aufgenommen, was einen bedeutsamen Einschnitt darstellt: Höchstalter bei Amtsantritt 60 Jahre, maximal zwei Amtszeiten. Die zweite erstaunliche Debatte betraf die Formulierung, Kuba strebe den Kommunismus an. Die Kommission wollte das streichen und begründete das damit, dass es ein sehr fernes Ziel sei und erst einmal der Sozialismus aufgebaut werden müsse. Dies aber wurde unter anderem in den einschlägigen Zeitungen und Zeitschriften derart vehement moniert, dass sich auch in der neuen Verfassung ein ähnliches Bekenntnis zum Kommunismus findet. Anscheinend will die Mehrheit der Bevölkerung dieses Ziel beibehalten.

Die Kommunistische Partei Kubas (PCC) hat weiterhin die führende Rolle in der Gesellschaft; sie ist die einzige erlaubte Partei. Dafür können sich aber unabhängige Kandidaten und Kandidatinnen in öffentlichen Versammlungen für politische Ämter aufstellen lassen – in einer Art offener Vorwahlen wie in den USA. Insgesamt stimmten 86 Prozent für die neue Verfassung.

Die neue Regierung steht vor großen Aufgaben: Obwohl sich im vergangenen Jahrzehnt in Kuba in Bezug auf Versorgung mit Nahrungsmitteln, Transport, Strom und Internet vieles verbessert hat, bestehen manche Probleme weiter – allen voran bei der wirtschaftlichen Entwicklung. Seit kurzem spüren die Bürger wieder die mangelhafte Versorgung mit Lebensmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs. Auch die Wirtschaftsprobleme in Venezuela wirken sich schädlich auf Kuba aus, weil weniger Erdöl und andere Güter nach Kuba geliefert werden können. Auch die Drohungen des neuen rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro in Brasilien gegen die dort tätigen kubanischen Ärzte haben zu hohen Devisenverlusten für Kuba geführt, weil die Ärzte aus Sicherheitsgründen abgezogen werden mussten.

Hinzu kommt, dass US-Präsident Donald Trump die Sanktionen gegen Kuba wieder verschärft hat. Unter anderem hat Trump Reisen von US-Bürgern nach Kuba wieder beschränkt – das trifft den Tourismus –, die Höhe und Häufigkeit der Überweisungen von Familienangehörigen aus den USA nach Kuba stark limitiert und die Sanktionen gegen Unternehmen, die ohne US-Regierungserlaubnis mit Kuba Handel treiben, deutlich erhöht, was interessierte Investoren abschreckt.

Derzeit sind Produkte wie Hühnerfleisch, Reis, Mehl, Öl und andere Nahrungsmittel knapp. Die Regierung hat inzwischen Höchstmengen für den Verkauf einiger Nahrungsmittel und Hygieneartikel bestimmt. Unter anderem dürfen Huhn, Reis, Eier, Bohnen, Wurst, Seife und Waschmittel nur noch in haushaltsüblichen Mengen verkauft werden. Dadurch soll einerseits die Versorgung aller Bürger mit den wichtigsten Lebensmitteln sichergestellt und andererseits das Wiederverkaufen zu höheren Preisen eingedämmt werden.

Autor

Edgar Göll

ist Sozialwissenschaftler und in Berlin als Zukunftsforscher und in der universitären Lehre tätig. Seit 1993 befasst er sich mit Kuba und publiziert dazu.
Kuba importiert noch immer etwa 60 Prozent wichtiger Nahrungsmittel – zu steigenden Preisen. Die Landwirtschaft zu fördern, ist daher eine der höchsten Prioritäten der kubanischen Regierung. Sie stellt interessierten Kubanern zu günstigen Bedingungen Land, Arbeitsmittel und Trainingsmöglichkeiten zur Verfügung, um Brachflächen nutzbar zu machen. Vor allem Genossenschaften sollen damit gefördert werden.

Doch die durchweg gut gebildete Bevölkerung hat modernere Vorstellungen von einem Beruf. Die meisten wollen nicht auf dem Feld arbeiten. Weitere Probleme sind, dass das Kreditwesen noch nicht ausgebaut ist und Arbeitsgeräte unzureichend sind. Außerdem ist der Transport von landwirtschaftlichen Produkten zu den Verbrauchern schwierig, unter anderem fehlt es an modernen Transportmitteln; vieles verdirbt unterwegs.

Ein weiterer Faktor, der die Landwirtschaft stark beeinträchtigt, ist der Klimawandel. Kuba liegt an der „Straße der Hurrikane“ im mittleren Nordatlantik. Hurrikane der höchsten Intensität (Kategorie vier und fünf) haben in den vergangenen Jahren in Puerto Rico und Kuba verheerende Schäden angerichtet. Seit 1991 forscht die Akademie der Wissenschaften zum Klimawandel in Kuba. Bilanz all der Studien: Das Klima in Kuba wird wärmer und extremer, es gibt große Schwankungen der Niederschläge, seit 1960 haben sich die Häufigkeit und das Ausmaß von Dürren erheblich erhöht, und der Meeresspiegel ist schnell gestiegen. Die größte Gefahr stellen Überschwemmungen der Küstengebiete dar, so die Forscher.

Vor diesem Hintergrund hat der Ministerrat von Kuba im April 2017 den Klimaschutzplan „Tarea Vida“ (Lebensaufgabe) genehmigt; das Umweltministerium ist für die Umsetzung verantwortlich. Es geht darum, die Verfügbarkeit von Süßwasser zu sichern und es effizient zu nutzen. Es geht um Wiederaufforstung für einen besseren Schutz des Bodens und des Wassers. Es geht um den Schutz der Korallenriffe, um erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Und es geht um Nahrungsmittelsicherheit, Gesundheit und Tourismus. Eine Maßnahme wird schon umgesetzt: Neubauten in Küstennähe sind nicht mehr erlaubt.

Auch die Energiewende hat in Kuba begonnen. Nach dem Ende der Sowjetunion und des Ostblocks waren 85 Prozent des Außenhandels im Jahr 1991 abrupt weggefallen, das Bruttoinlandsprodukt schrumpfte um ein Drittel und es konnten weniger Erdöl und andere Produkte importiert werden. Bei der Energieversorgung steuerte Kuba schließlich um. Das Land experimentierte mit alternativen Energiequellen wie Biomasse, Wind- und Sonnenenergie.

Im Jahr 2005 startete die „Energierevolution“: Alte, stromfressende Haushaltsgeräte wie Ventilatoren, Elektrokocher, Kühlschränke und Glühlampen wurden durch energiesparende Varianten ersetzt. Weitere Bausteine der Energiewende waren die Verstärkung des Stromnetzes, um Netzverluste zu reduzieren, der Neubau von meist mit Erdöl betriebenen Kraftwerken, Dezentralisierung der Stromerzeugung, Ausbau von regenerativen Energiequellen sowie die Anhebung der Stromtarife bei hohem Verbrauch.

Schon jetzt hat sich die Energiewende ausgezahlt: Der volkswirtschaftliche Nutzen war insgesamt etwa zehn Mal so hoch wie die Kosten. Das Land will bis zum Jahr 2030 rund ein Viertel des Stroms aus erneuerbaren Quellen erzeugen; noch in diesem Jahr sollen 43 neue Solarparks und zwei Windparks ans Netz gehen.

Die Klima- und Nachhaltigkeitspolitik Kubas konnte trotz der schwierigen Rahmenbedingungen erstaunliche Ergebnisse erzielen. So hat Kuba laut dem UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) ein sehr viel höheres Niveau der menschlichen Entwicklung als andere Länder mit vergleichbarem Einkommensniveau. Das ist wohl auch möglich, weil Kuba ein „konzernfreies Land“ ist, die Wirtschaft in die Gesellschaft „eingebettet“ ist, die Politik und das Gemeinwohl bestimmend sind. Profitinteressen setzen sich schlecht durch, wenn es um das Gemeinwohl und Versorgungssicherheit geht. Aber auch weil Kuba bislang nur ein niedriges Produktionsniveau hat, sind Stromverbrauch und CO²-Emissionen vergleichsweise niedrig.

Bei der Bevölkerung findet die Nachhaltigkeitspolitik viel Zuspruch, sie ist nach den intensiven öffentlichen Diskussionen auch in der neuen Verfassung fixiert. Hier spielt auch eine Rolle, dass der Tourismus eine der wichtigsten Einnahmequellen für dringend benötigte Devisen ist. So wurden die Unterkünfte für Touristen an der Nordküste Kubas nach dem letzten Hurrikan als Erstes repariert; binnen weniger Wochen konnte der Tourismusbetrieb wieder aufgenommen werden. An Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsprojekten beteiligen sich auch zivilgesellschaftliche Institutionen und private Projekte, zum Beispiel für Urban Farming, sowie Hochschulen. Sie erforschen etwa die Resistenz neuer Nutzpflanzenarten gegenüber neuen klimatischen Bedingungen.

Neben der Modernisierung der Wirtschaft und speziell der Landwirtschaft will die Regierung auch die Digitalisierung vorantreiben. Die In­frastruktur hat sich in den vergangenen Jahren bereits verbessert, und die Jugend nutzt neue Optionen wie Internet und Social Media. Allerdings sind die Kosten noch hoch und die Qualität nicht mit einem führenden Industrieland wie Deutschland vergleichbar.

In der im Jahr 2014 eröffneten Sonderentwicklungszone Mariel westlich von Havanna investieren derzeit 44 ausländische Unternehmen, unter anderem in der Nahrungsmittelindustrie und der Hotellerie. In den Verträgen mit den Investoren werden verschiedene Anreize ausprobiert wie Zollbefreiungen, Steuervergünstigungen, ein stark verkürzter Genehmigungsprozess für Investitionen und eine hochwertige Infrastruktur. Andererseits wird mit arbeitsrechtlichen Regelungen wie Arbeitsschutz, gewerkschaftlichen Rechten, Arbeitslöhnen und Anreizsystemen experimentiert. Bei Erfolg sollen die Elemente, die sich als sinnvoll erwiesen haben, auf kubanische Unternehmen im ganzen Land übertragen werden.

Schließlich intensiviert Kuba seine Beziehungen zu anderen Staaten, nachdem die USA unter Präsident Donald Trump den mit Präsident Barack Obama begonnenen Normalisierungsprozess wieder rückgängig gemacht haben. Für verstärkte Wirtschaftsbeziehungen spielt nun neben Spanien, Kanada, Indien und Russland vor allem China eine herausragende Rolle. Kuba wird sogar an Pekings Konzept der Neuen Seidenstraße (Belt and Road Initiative) beteiligt.

Kuba steht vor großen Aufgaben. Erfolge müssen bald erzielt werden, um die Geduld der Bevölkerung nicht überzustrapazieren.

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erschienen in Ausgabe 9 / 2019: Mission und Macht
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