Die Schweiz stimmt über Konzernverantwortung ab

Nach jahrelangem Ringen im Parlament steht fest: Die Schweizer Bevölkerung stimmt am 29. November über die Konzernverantwortungsinitiative (Kovi) ab. Sie verlangt, dass Konzerne mit Sitz in der Schweiz stärker zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie im Ausland gegen Menschenrechte und Umweltauflagen verstoßen haben.

Die Initiative wurde bereits vor vier Jahren mit über 120.000 Unterschriften eingereicht. Seither geht das Geschäft im Parlament hin und her, beide Parlamentskammern diskutierten über mögliche Vorschläge, die sie der Initiative entgegensetzen könnten. Dabei geht es laut dem Initiativkomitee eigentlich um eine Selbstverständlichkeit: Konzerne mit Sitz in der Schweiz, ihre Tochterfirmen und Lieferanten, die im Ausland etwa auf Kinderarbeit setzen oder Flüsse verschmutzen, sollen künftig dafür geradestehen. Zudem sieht das neue Gesetz Pflichten zur Sorgfaltsprüfung für sämtliche Geschäftsbeziehungen vor. Kommt ein Schweizer Konzern dieser Pflicht nicht nach, soll er oder seine Tochterfirma für allfällige Schäden haften, die im Ausland verursacht wurden. Geschädigte könnten dann in der Schweiz vor einem Zivilgericht auf Schadenersatz klagen.

Das geht dem Parlament zu weit. Nach langem Ringen hat es sich im Juni auf einen Gegenvorschlag geeinigt. Dieser tritt in Kraft, wenn die Initiative am 29. November von den Stimmbürgerinnen und -bürgern abgelehnt wird. Zwar enthält er wie die Initiative eine umfassende Rechenschaftspflicht für Unternehmen, wie sie das EU-Recht bereits seit dem Jahr 2014 vorsieht. Das bedeutet, die Firmen müssen schriftlich darlegen, wie sie sich um die Einhaltung der Menschenrechte und Umweltstandards im Ausland gekümmert haben. 

Das Parlament will keine Haftung von Unternehmen

Im Gegensatz zu der Initiative sollen gemäß dem Gegenvorschlag Pflichten zur Sorgfaltsprüfung jedoch nur in den Bereichen Kinderarbeit und Konfliktmineralien gelten. Außerdem enthält der Vorschlag des Parlaments keine neuen Regeln für die Haftung von Unternehmen – das ist der eigentliche Streitpunkt in der Debatte. Dick Marty, Präsident des Initiativkomitees, kritisiert den Gegenvorschlag deshalb als wirkungslos: „Wir wissen alle, dass gerade die skrupellosesten Großkonzerne noch so gern Hochglanzbroschüren veröffentlichen.“

Das Parlament verteidigt den Gegenvorschlag damit, dass er mit den in der Europäischen Union geltenden Richtlinien zur Berichterstattungspflicht übereinstimme. Allerdings wird dabei nicht berücksichtigt, dass auch in der EU und einzelnen europäischen Ländern derzeit über eine mögliche Verschärfung der Regeln zur sozialen Verantwortung von Unternehmen diskutiert wird (zur Debatte in Deutschland siehe Seite 60). Deshalb ist es nicht auszuschließen, dass die Schweiz in absehbarer Zeit hinter die Standards anderer Länder zurückfiele, sollte der Gegenvorschlag angenommen werden. So kennt Frankreich zum Beispiel bereits seit dem Jahr 2017 eine Sorgfaltsprüfung für alle Menschenrechte.

Das Volksbegehren wird seit Jahren medial heiß diskutiert, entsprechend emotional aufgeladen dürfte der Abstimmungskampf ausfallen. Das Initiativkomitee hat die Jahre des Wartens genutzt, um die Kampagne vorzubereiten. Die Tageszeitung „Tages-Anzeiger“ spricht von der „wohl professionellsten und modernsten Kampagnenmaschine der Schweiz“. So gingen die Initiantinnen und Initianten gleich mit vier Komitees verschiedener gesellschaftlicher Kräfte an den Start: eines für die Linken und je eines mit bürgerlichen Politikern, der Wirtschaft und den Kirchen. Außerdem engagieren sich über 300 Lokalkomitees in der ganzen Schweiz für das Anliegen und 120 zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter Amnesty International, WWF Schweiz und Brot für alle. Eine im Mai im Auftrag des Initiativkomitees durchgeführte Umfrage ergab eine Unterstützungsrate von 78 Prozent der Bevölkerung.
Ihnen gegenüber bringt sich nun der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse in Stellung. Laut dem Wirtschaftsmagazin „Bilanz“ wollen die Gegner der Initiative acht Millionen Franken für den Abstimmungskampf bereitstellen. Economiesuisse dementierte zwar diese Zahl, nannte aber auch keine andere. Die Befürworter geben sich dennoch zuversichtlich. Bernd Nilles, Direktor des Hilfswerks Fastenopfer, sagte kürzlich in einem Interview mit dem Onlinedienst „kath.ch“: „Wenn wir nicht überzeugt davon wären, dass wir die Abstimmung gewinnen können, hätten wir die Initiative nicht lanciert.“

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