Den Babys geben, was im Lande wächst

Zum Thema
Sam Olukoya
Einen Sinn für Ernährung und fürs Geschäft: Die Unternehmensgründerin Seun Sangoleye.
Nigeria
Das Start-up „Baby Grubz Nigeria“ spezialisiert sich erfolgreich auf einheimische Zutaten: Eine nigerianische Mutter hat eine Firma aufgebaut, die den Markt für Babykost aufmischt. Sie will damit auch das Problem der Mangelernährung lösen helfen.

Seun Sangoleye war leitende Ingenieurin in einem IT-Unternehmen, als ihre Karriere im Jahr 2012 überraschend eine neue Wendung nahm: Sie widmete sich von da an der Herstellung von Babybreipulver. Der Anlass war, dass die damals 35-Jährige die Rückkehr aus dem Mutterschutz an ihren IT-Arbeitsplatz plante. Dazu wollte sie ihren kleinen Sohn allmählich abstillen und an Brei gewöhnen. Doch der Kleine verweigerte sich dem im Handel erhältlichen importierten Babybrei. „Ich bot ihm vier verschiedene Typen an und er nahm nichts davon. Schließlich musste ich meine Elternpause um unbezahlten Urlaub verlängern, denn ich fand nichts, was mein Sohn essen mochte.“ 

Sangoleye sah sich nach lokal produzierter Babykost mit einheimischen Zutaten um wie Moringa, Datteln, Soja oder süßem Reis, doch in den Marktregalen wurde sie nicht fündig. Kurzentschlossen pürierte sie einheimische Kochbananen zusammen mit etwas Muttermilch. Zu ihrer Freude mochte ihr Baby den so entstandenen Brei. 

Als sie das Thema in den sozialen Medien ansprach, stellte sie fest, dass sie mit ihrem Problem nicht allein war: Etliche Mütter suchten vergeblich Babynahrung aus einheimischen Zutaten. Die im Handel erhältlichen und überwiegend von europäischen Unternehmen produzierten Gläschen enthielten hauptsächlich Kartoffelbrei, Nudeln mit Tomatensauce, Apfel, Möhre und andere für Nigeria eher untypische Zutaten. 

Daraufhin beschloss Sangoleye, für Mütter, die dies vorzogen, Babynahrung aus einheimischem Obst und Gemüse herzustellen. Sie kündigte ihren IT-Job und gründete Baby Grubz Nigeria. Das Unternehmen verwendet lokale Getreide-, Obst- und Gemüsesorten sowie würzige Blätter und produziert daraus eine breite Palette getrockneter Baby- und Kleinkindkost, die sich mit heißem Wasser zu Brei anrühren lässt. Auch selbst gemachte getrocknete Getreideflocken sind dabei. 

Werbung und Überzeugungsarbeit

Von Anfang an interessierten sich viele Mütter für Sangoleyes Produkte: „Die Firma wuchs mit dem Interesse der Kundinnen“, sagt sie. Dennoch waren die ersten drei Jahre hart, und die Unternehmerin musste zahlreiche Sonderschichten einlegen, um ihr Projekt finanziell über Wasser zu halten. „Wir mussten viel Werbung machen und eine Menge Menschen überzeugen, dass nigerianische Produkte keineswegs schlechter sind als europäische.“ 

Trotz dieser Anlaufschwierigkeiten war Sangoleye von Beginn an vom Erfolg ihres Unternehmens überzeugt. Die Marktchancen für Baby- und Kleinkindnahrung aus heimischer Herstellung waren groß, gerade weil sie bis dato völlig unüblich war. „Das ist so, wie wenn man in einem Ort, in dem alle barfuß gehen müssen, ein Schuhgeschäft eröffnet“, sagt sie. „Die Geschäfte laufen fantastisch, unser Einkommen ist gut, wir vertreiben unsere Produkte mittlerweile in über 300 Verkaufsstellen.“ Außer in Nigeria verkauft Baby Grubz auch in Ghana, Kenia und Togo – und an Familien afrikanischer Abstammung in Großbritannien. 

Der berufliche Übergang von der Informationstechnologie zur Ernährungswirtschaft gelang auch deshalb ohne Probleme, weil Sangoleye sich schon als Kind viel mit Ernährung beschäftigt hatte; „ich war schon immer eine Feinschmeckerin“, sagt sie. Schon als junges Mädchen entwickelte sie eine Vorliebe für frische und unverarbeitete Nahrungsmittel. Sie übte ihre Kochkünste unter anderem mit Paprika, Tomaten und Kräutern aus dem Garten ihrer Großmutter. „Das war Teil meiner Jugend. Unsere Eltern achteten sehr genau darauf, was sie uns zu essen gaben, und auch mir war immer sehr bewusst, was ich zu mir nahm.“ Heute freut sich die Unternehmerin, mit einem Team von Ernährungswissenschaftlern zusammenzuarbeiten. „Wenn wir gemeinsam beraten, wirkt es oft, als hätte auch ich Ernährungswissenschaft studiert, weil ich so leidenschaftlich dabei bin und in dieser kurzen Zeit so viel gelernt habe.“ 

Autor

Sam Olukoya

ist freier Journalist im nigerianischen Lagos.
Auch die Zusammenarbeit mit einheimischen Landwirten ist der Unternehmerin sehr wichtig. Gerade hat Sangoleye eine Übereinkunft mit einigen unterzeichnet, um eine regelmäßige und ausreichende Versorgung mit deren Feldfrüchten sicherzustellen. „Einige Bauern bauen ihr Getreide, Obst und Gemüse nur für uns an“, sagt sie. Der Wertverlust der nigerianischen Währung Naira und die wegen Corona noch immer geschlossenen Staatsgrenzen spielen dem Unternehmen in die Hände. Viele Nigerianer mussten ihre Lebensmittel mit einem Mal aus dem Inland beziehen und bevorzugen nun einheimische Produkte wie die von Baby Grubz. Andererseits treibt die Inflation die Produktionskosten in die Höhe, und Mängel in der Infrastruktur, vor allem schlechte Straßen, erschweren den Transport von Feldfrüchten und Endprodukten. 

Schneller arbeiten als ein Mann

Mit die größten Schwierigkeiten entstehen der Unternehmerin, weil sie eine Frau ist. „Als Frau muss ich doppelt so hart arbeiten wie ein Mann, und noch dazu schneller“, sagt sie. Ihr Tag beginnt damit, dass sie ihre drei Kinder im Alter von drei, sechs und acht Jahren für die Schule fertigmacht und zur Arbeit eilt. Sie schließt bereits am Nachmittag, damit sie daheim ist, wenn ihre Kinder nach Hause kommen. „Sind sie dann im Bett, arbeite ich da weiter, wo ich nachmittags aufgehört habe.“ Der Markt der landwirtschaftlichen Unternehmen ist von Männern dominiert, fügt sie hinzu. Deshalb gehen ihre Kunden oft davon aus, dass sie für einen männlichen Chef arbeitet. Schon mehrmals hat jemand ihr gegenüber den Wunsch geäußert, mit dem Chef zu sprechen. 

Wie viele andere Unternehmen ist auch Baby Grubz von der Corona-Pandemie betroffen. So können die beliebten und normalerweise gut besuchten Verkostungen nicht stattfinden, bei denen interessierte Mütter und Babys bekocht werden. „Persönliche Treffen sind nicht mehr möglich, deshalb nutzen wir jetzt verstärkt die sozialen Medien.“ Dort laufen nun kurze Filme über gesunde Babynahrung und wie man sie zubereitet. 

Die von den Corona-Einschränkungen bedingten Schwierigkeiten beim internationalen Transport zeigen dagegen, betont die Unternehmerin: Es sei für kein Land nachhaltig, sich – wie Nigeria und viele afrikanische Staaten es tun – hauptsächlich auf importierte Nahrungsmittel zu stützen, erst recht nicht bei Babynahrung. „Selbst wenn die ganze Welt in den Lockdown geht, sollten wir in der Lage sein, uns und unsere Kinder zu ernähren. Essen gehört zu den Dingen, mit denen wir unbedingt fähig sein sollten, uns selbst zu versorgen.“ 

Laut dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef) ist in Nigeria eine große Zahl von Kindern mangelernährt. Die Babynahrung, die Sangoleye vertreibt, ist im Durchschnitt etwas billiger als importierte Babybreie. Zudem enthielten ihre Produkte mit den einheimischen Zutaten genau die Nährstoffe, an denen es vielen Kleinkindern fehle, und anders als die importierten Breie so gut wie keinen Zucker, betont die Unternehmerin. Anders als bei den Importbreien, die sich nur für Babys und Kleinkinder eigneten, ließen sich aus Sangoleyes Pulver auch Mahlzeiten für Erwachsene anrühren. Das wiederum erleichtere den Kleinkindern später den Übergang zur Erwachsenenkost. Babys, die mit ausländischer Kost gefüttert würden, falle es dagegen oft schwer, das einheimische Essen zu akzeptieren. „Manchmal gleicht es einer Herkulesaufgabe, diese Kinder an nigerianisches Essen zu gewöhnen.“ Dies wiederum erhöhe das Risiko der Mangelernährung. 

Dass es nicht so weit kommt, liegt Sangoleye sehr am Herzen. Ihr Traum ist es, Nigeria von der Liste der Staaten mit Mangelernährung zu tilgen. „Sobald wir das erreicht haben, können wir uns dem restlichen Afrika widmen – langfristig zielen wir auf den gesamten Kontinent.“ 

Aus dem Englischen von Barbara Erbe.

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