Blick in den Abgrund

picture alliance / ASSOCIATED PR
Noch sind die Waffen selbstgebastelt: Demonstranten protestieren mit hausgemachten Luftgewehren in Yangon, Myanmar, gegen den Militärputsch. Das Land droht, in einen Bürgerkrieg zu rutschen.
Myanmar
Die UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet warnt, dass in Myanmar ein Krieg wie in Syrien ausbrechen könnte. Das ist nur wenig übertrieben – aber noch lässt es sich verhindern.

Bernd Ludermann ist Chefredakteur von „welt-sichten“.
In Myanmar droht das syrische Szenario: ein Bürgerkrieg, wie er das arabische Land in Schutt und Asche gelegt hat. Davor hat Michelle Bachelet, die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Mitte April eindringlich gewarnt. Übertreibt sie nicht beim Versuch, die internationale Politik aufzurütteln? Nur unwesentlich. In Myanmar ist ein Bürgerkrieg ernstlich zu befürchten – zum Glück aber nicht, dass dann ausländische Einmischung ihn so anfacht und verlängert wie in Syrien. 

Wichtige Triebkräfte, die in den Krieg führen, sind bereits am Werk. Die brutale Gewalt der Armee gegen friedlich Demonstrierende und deren mutmaßliche Sympathisanten, auch Unbeteiligte und Kinder, erinnert fatal an den Anfang der Gewaltspirale in Syrien. Ähnlich wie dort ist in Myanmar absehbar, dass Opfer der Staatsgewalt sich irgendwann zur Wehr setzen wollen. Studenten, Händler, Handwerker oder Beamte können zwar nicht ohne Weiteres kampffähige Verbände organisieren; dazu braucht man Waffen und gewisse militärische Kenntnisse. Doch die sind verfügbar. Ihre erste Quelle sind Überläufer. In Syrien konnte aus friedlichem Protest bewaffneter Widerstand werden, weil viele Soldaten die Seite wechselten, statt auf die eigenen Landsleute zu schießen. Genau das wird aus Myanmar nun auch berichtet; wie häufig es ist, ist allerdings unklar. 

Bewaffnete Rebellen finden Gehör

Aber es gibt hier eine zweite Quelle für Waffen und erfahrene Kämpfer: die Rebellenbewegungen der Minderheitenvölker. Mehrere widersetzen sich in den Randgebieten Myanmars seit Jahrzehnten der Zentralregierung. Einige haben Waffenstillstände mit dem Militär geschlossen, andere nicht. Fast alle wenden sich jetzt gegen den Putsch. Und ihre Klagen über die Willkür und Brutalität des Militärs finden nun Gehör in der birmanischen Bevölkerungsmehrheit, weil die von dieser getragene zivile Protestbewegung genau das nun auch erlebt. Manche ihrer Vertreter sprechen Berichten zufolge schon über eine geeinte, föderale Widerstandsarmee, und zwei der stärksten ethnischen Milizen – die der Kachin und der Karen – zeigen sich dafür offen. Im Syrien dagegen haben die Kurden der Sicherung des eigenen Gebietes Vorrang vor dem Kampf gegen Assad gegeben. 

Aus der Unterdrückung des friedlichen Protests kann also eine landesweite Rebellenarmee entstehen. Dass das Militär sich spaltet oder ein Teil der Offiziere einen Gegenputsch versucht, ist hingegen wenig wahrscheinlich. Die Armee kontrolliert lukrative Teile der Wirtschaft, etwa die Ausbeutung von Holz und Jade und das Telekommunikationsgeschäft. Die Einnahmen kann sie nutzen, um ihre Mitglieder bei der Stange zu halten. Und sie besteht überwiegend aus Angehörigen der Birmanen, die Staat und Wirtschaft dominieren – in Syrien gehören Präsident Assad und seine engen Getreuen, anders als viele Soldaten, zur Minderheit der Alewiten. Doch wenn ein paar Deserteure und mehr noch Milizen von Minderheiten den Widerstand militärisch stark machen, ohne aber zur Auflösung der Armee zu führen, ist das der schlimmste Fall: Dann droht ein Krieg, der lange anhalten kann.

Eine internationale Einmischung ist unwahrscheinlich

Das internationale Umfeld jedoch ist günstiger als im Fall Syrien. Kein Staat dürfte dort Rebellengruppen gegen das Regime aufrüsten, wie es die USA und die Golfstaaten in Syrien getan haben. Erst recht ist unwahrscheinlich, dass einer mit Truppen oder der Luftwaffe eingreift nach dem Beispiel Russlands und des Iran, die so 2015 das Regime Assad vor der Niederlage gerettet haben. Ungeachtet vieler, teils scharfer Konflikte zwischen südostasiatischen Staaten, China, Indien, Bangladesch und Japan sind sie alle daran interessiert, dass Myanmar nicht in Gewalt versinkt. 

Noch lässt sich das verhindern. Noch sind in Myanmar nicht ganze „aufständische“ Dörfer bombardiert worden – das hat in Syrien die Militarisierung des Widerstands vorangetrieben. Und anders als dort hat die Gesellschaft in Myanmar jetzt Erfahrung mit einer „halben“ Demokratie, in der bei allen Mängeln Parteien und soziale Organisationen mehr Spielraum hatten als jemals in Syrien unter Assad. 

Um einem Bürgerkrieg vorzubeugen, sind kluge Einwirkungen von außen nötig. Dabei sind Sanktionen der USA und Europas von eher symbolischer Bedeutung. Entscheidend ist, was die Nachbarländer, nicht zuletzt China, sowie die Regionalorganisation Asean (Verband südostasiatischer Staaten) tun. Europa und die USA sollten auf allen diplomatischen Kanälen auf Myanmars Nachbarn einwirken, schnell und energisch die Junta zur Einstellung der Gewalt und zu Verhandlungen zu drängen, am besten unter UN-Vermittlung. Das wird schwierig, zumal unter asiatischen Regierungen Einwirkungen auf die Innenpolitik anderer Länder mehr oder weniger verpönt sind. Doch ohne Einbindung der Staaten der Region wird es kaum gelingen, Michelle Bachelets Warnung zu beherzigen und die Gefahr eines syrischen Szenarios in Myanmar zu verringern.
 

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