Diplomaten debattieren über Afghanistan
Von Wolf Poulet
Der frühere US-Botschafter in Kabul, Robert P. Finn, hat eine wenig optimistische Bilanz des NATO-Einsatzes am Hindukusch gezogen. Finn nannte drei Ziele, die aus Sicht der Bevölkerung vorrangig seien: erstens Sicherheit, zweitens Arbeitsplätze und drittens wirksame Regierungsstrukturen, die öffentliche Güter wie Bildung, Gesundheitsdienste und Infrastruktur garantieren können.
Der Diplomat, der in den Jahren 2002 und 2003 als erster US-Botschafter die Interessen seines Landes in Kabul vertreten hatte, ist derzeit Professor an der Woodrow Wilson School der Universität Princeton (N. Jersey). Auf einer Veranstaltung der Amerikanischen Akademie in Berlin sagte er Mitte März, Afghanistan sei bis heute eines der ärmsten Länder der Welt und noch immer ein „gescheiterter Staat“, dessen Polizeikräfte für Terroristen als lohnende Ziele gälten.
Finn zufolge werden erfreuliche Fortschritte wie der Anstieg der Schulplätze von 1,2 Millionen im Jahr 2002 auf heute 6 Millionen überlagert von der allgemeinen Unsicherheit im Land. Etwa 85 Prozent der Bevölkerung hätten wenig Vertrauen zur Regierung, ein Fünftel stehe heute auf Seiten der Taliban. Ein erfolgreicher Staatsaufbau sei nur vorstellbar, wenn die Anstrengungen zur Entwicklung des Landes vermehrt würden.
Moderator der Veranstaltung war Joschka Fischer, der nach seiner Zeit als Außenminister der rot-grünen Koalition Gastprofessor am selben Institut in Princeton war wie Finn. Er scheiterte mit dem Versuch, den versierten Diplomaten Finn zu provokanten Formulierungen zu bewegen und etwa mit Fragen nach politischen Parallelen zum Irak-Konflikt eine Aussage zum Stellenwert beider Konflikte für die US-Regierung zu erhalten. Finn sagte jedoch, dass sechs Jahre Krieg in Afghanistan die USA so viel kosteten wie drei Wochen im Irak. Die Frage, ob die NATO scheitern könne, wurde klar mit Ja beantwortet, die nach dem Kampfeinsatz der Bundeswehr jedoch diplomatisch umgangen.
In der Aussprache fragte der iranische Botschafter in Berlin, Akhondzadeh Basti, nach Gründen für das Entstehen der Taliban und unterstrich die Unterstützung Irans für Präsident Hamid Karsai. Der Erziehungsminister der Islamischen Republik Afghanistans, Mohammed H. Atmar, sagte eine günstige Entwicklung seines Landes voraus. Ausländische Partner könnten die Sicherheit in 15 bis 20 Jahren bewerkstelligen. Wenn hingegen seine Regierung selbst diese Aufgabe übernehme – mit materieller Unterstützung aus dem Ausland von 40 bis 50 Milliarden US-Dollar –, dann könnten schon in fünf Jahren Frieden und Stabilität herrschen. Darüber hätte man dann doch gerne diskutiert.
welt-sichten 4-2008