Ein Bischof kritisiert den Ahnenkult in Südafrika

REUTERS/Siphiwe Sibeko
Freiwillige verpacken im Johannesburger Stadtteil Sandton Essensrationen für Bedürftige. In Südafrika ist die soziale Not auch fast dreißig Jahre nach dem Ende der Apartheid groß.
Kirche und Ökumene
Der Ahnenkult ist eine Ursache für soziales Elend in Südafrika – mit dieser These hat der Erzbischof von Johannesburg, Buti Tlhagale, unlängst Aufsehen erregt. Was steckt dahinter?

Wenn er durch Johannesburg laufe, sehe er viele Menschen, die wegen der schlimmen Situation verrückt würden, sagte Tlhagale bei einem Treffen mit neu nach Südafrika entsandten Missionaren, von dem die katholische Nachrichtenagentur Agenzia Fides Ende September berichtet hat. „Sie schlafen auf der Straße, verlieren ihre Würde, betteln um Essen. Und manchmal können Sie auch beobachten, dass sie sich irgendwie komisch verhalten.“ Neben den materiellen Problemen gebe es in Südafrika viel Gebrochenheit und Hoffnungslosigkeit. Und dem würden Christinnen und Christen nur wenig entgegensetzen, kritisierte der Erzbischof. 

Für ihn hänge dies vor allem damit zusammen, dass in den Reihen der katholischen Gläubigen dem Ahnenkult nach wie vor zu viel Bedeutung beigemessen werde. Viele südafrikanische Katholikinnen und Katholiken, teilweise auch Priester und Ordensleute, glaubten noch immer an die allgegenwärtige Präsenz der Ahnen. Es gebe Fälle, dass jemand zwei Mal beerdigt werde, einmal nach katholischem Ritus und einmal dem Ahnenkult entsprechend – als doppelte Versicherung gewissermaßen. Der Erzbischof forderte die Missionare auf, den Fokus stärker auf die Glaubensunterweisung unter Erwachsenen zu legen. Die meisten hätten sich nach der Firmung im Jugendalter nicht mehr mit den Grundlagen des christlichen Glaubens befasst. 

Rückfall in die Zeiten des Kolonialismus

Es verwundert, dass sich ausgerechnet Tlhagale so kritisch über den Ahnenkult äußert. Der Bischof gehört in Südafrika zu den Stimmen, die viel über Kontextualisierung und Inkulturation publiziert haben. Außerdem ist er eines der 18 Mitglieder im Multi-Religious Council of Leaders beim Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, wo der Respekt für andere Religionen Grundlage der Zusammenarbeit ist. Dass er nun den Ahnenkult für die heutigen Probleme in Südafrika mit verantwortlich macht, mutet wie ein Rückfall in die Zeiten des Kolonialismus an: Damals stellten westliche Missionare den christlichen Glauben über die traditionellen Religionen und verdammten alle Bräuche, Denkmuster und Verhaltensweisen, welche die frisch Getauften aus ihrer bisherigen Kultur weiterpflegten.

Marco Moerschbacher, Referent für Afrika und kontextuelle Theologie beim katholischen Missionswerk Missio, kann bei der Einordnung der Aussagen des Erzbischofs helfen. Man müsse berücksichtigen, dass Tlhagale diese Aussagen vor einer Gruppe neuer Missionare gemacht habe, die er auf die kulturelle Doppelzugehörigkeit in Südafrika aufmerksam machen wollte, sagt Moerschbacher. Dieses Phänomen könne in ganz Afrika festgestellt werden. Die Ehrung der Ahnen, die Beziehungen zu unsichtbaren Mächten, die zentrale Bedeutung von Familie und Verwandtschaft sowie der Glaube an magische Kräfte und Zauberei bestimmten nach wie vor die Wahrnehmung und den Alltag von vielen Christinnen und Christen auf dem Kontinent. 

Zusammenhang zwischen Armut und Ahnenkult konstruiert

Bei den problematischen Praktiken wie Aberglaube und Hexerei sei es „den christlichen Kirchen möglicherweise nicht gelungen, zwischen Gutem und Schädlichem zu unterscheiden und sich auch klar gegen schädliche kulturelle Praktiken etwa im Umgang mit Witwen zu positionieren“, gibt Moerschbacher zu bedenken. 

Dass Erzbischof Tlhagale nun einen Zusammenhang zwischen Armut und Ahnenkult herstelle, müsse als Kritik an den eigenen Gläubigen verstanden werden, die sich nach den Worten des Erzbischofs nicht durch ein besonders soziales und transformatives Engagement auszeichneten. Dies sei ebenfalls kein rein südafrikanisches Phänomen. „Auch in anderen afrikanischen Ländern mit höherem Anteil an katholischer beziehungsweise christlicher Bevölkerung scheint die Soziallehre der Kirche nicht von durchschlagender Kraft auf die Politik zu sein“, sagt Moerschbacher. 

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erschienen in Ausgabe 11 / 2021: Leben im Dorf
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