In Europa gerät der Agrartreibstoff-Boom ins Stocken
Von Heimo Claasen
Die Produktion von so genanntem Biosprit in der Europäischen Union (EU) trifft auf Schwierigkeiten. Die Konkurrenz aus den USA wird stärker und EU-Förderprogramme zeigen bislang noch nicht die erhoffte Wirkung.
2007 ist das Wachstum der Biodiesel-Produktion zum Stillstand gekommen. Dies, so klagt das Lobby-Büro der Biodieselhersteller (European Biodiesel Board, EBB) in Brüssel, ist auf unfaire Handelspraktiken der USA zurückzuführen: Die US-Exporte von B99, einem Gemisch aus 99 Prozent Agrardiesel und 1 Prozent Mineralöl, das wegen des Mineralöl-Anteils zollfrei in die Europäische Union eingeführt werden kann, seien stark subventioniert und schädigten kleinere Agraröl-Betriebe landwirtschaftlicher Kooperativen schwer, vor allem in Deutschland.
Ein großes Problem für Hersteller von Bio-Treibstoffen (Diesel wie Ethanol) ist der Preisanstieg auf dem Weltmarkt für alle Getreide- und Futtersorten. Die gestiegenen Rohstoffkosten drängen sie aus dem Markt. US-Erzeuger, die Rohstoffe aus US-Anbau (der wie in der EU subventioniert wird) oder mexikanischen Mais und brasilianischen Zucker nutzen, unterbieten die europäischen Produzenten. Auch der Verfall des US-Dollars gegenüber dem Euro verschafft ihnen einen Preisvorteil.
2003 hat der EU-Ministerrat nach einem früheren Vorschlag der EU-Kommission eine Beimischung von 10 Prozent biologischer Treibstoffe in Diesel und Benzin bis zum Jahr 2010 als Ziel vorgegeben. Die Richtlinie setzte den Mitgliedstaaten einen flexiblen Rahmen, das Ziel mit technischen Vorschriften und Steuervorteilen anzusteuern. Schon für 2008 war ein EU-Durchschnitt von fünf Prozent Anteil an Agrar-Treibstoffen vorgesehen, doch bisher haben ihn nur einige EU-Länder – darunter Deutschland, Frankreich und die skandinavischen Mitglieder – erreicht. Für die gesamte EU liegt der Wert derzeit unter drei Prozent.
Die EU-Agrarpolitiker beschlossen 2003 auch eine Energiepflanzen-Prämie, um den Anbau von Treibstoffpflanzen zu fördern. Die Prämie betraf vor allem ölhaltige Gewächse, vor allem Raps. Sie trägt dem in Europa vergleichsweise hohen Verbrauch von Dieselöl Rechnung, das bei der Rohöl-Raffinage nur begrenzt anfällt. Allerdings zeigte die EU-Förderung erst 2005/2006 bescheidene Wirkung, und erst im laufenden Haushaltsjahr 2007/2008 wird der EU-Budgetansatz von 90 Millionen Euro für die Förderung vollständig ausgeschöpft.
Im Dezember 2007 rang sich die EU dazu durch, die Prämie für die Brachlegung von Anbauflächen aufzuheben und so Flächen freizugeben. Die Prämie war 1993 im Rahmen der Agrarreform eingeführt worden, um die Überschussproduktion von Getreide zu dämpfen. Der Beschluss wird sich in der laufenden Agrarsaison allerdings kaum bemerkbar machen.
Für die Frühjahrstagung des EU-Rates im März hatte die EU-Kommission im Januar ein Paket von Maßnahmen vorgeschlagen, das sie als „ehrgeizigen Globalansatz zur Bekämpfung des Klimawandels“ bezeichnet (siehe Kasten). Die Regierungschefs im Rat vertagten die Entscheidung aber: Die Maßnahmen sollen zunächst weiter beraten werden, „um darüber 2009 beschließen zu können“. Auch das Parlament muss noch zustimmen.
Für Agrar-Treibstoffe heißt das „weiter wie bisher“. Frühestens 2009 könnte die von der Kommission vorgeschlagene Forschungsförderung für die zweite Generation von Bio-Treibstoffen einsetzen. Entwickelt werden sollen die biologische Umsetzung von Zellulose, beispielsweise aus Holzabfällen und Stroh, in benzintaugliches Ethanol sowie die Züchtung von Pflanzen wie Jatropha mit erhöhter Ölausbeute. Erst diese derzeit noch hypothetischen Verfahren versprechen, dass mit Hilfe von Bio-Treibstoffen CO2-Emissionen tatsächlich vermieden und nicht mehr Energie in ihre Produktion investiert werden muss, als durch sie gewonnen wird.
Im Juni 2007 prognostizierte Außenhandelskommissar Peter Mandelson den Entwicklungsländern wachsende Absatzchancen für Bio-Treibstoffe, da die EU einen großen Teil ihres Bedarfs importieren werde. Umwelt-Kommissar Stavros Dimas ergänzte, auch die Nachhaltigkeit der Produktion müsse berücksichtigt werden. Klare Kriterien dafür fehlen jedoch vorerst. Die Kommission schlägt in ihrem Paket vom Januar lediglich vor, dass auf die Quote von 10 Prozent nur solcher Bio-Treibstoff angerechnet werden darf, dessen Produktion mehrere Bedingungen erfüllt. So darf er nicht aus Urwäldern oder anderen besonders artenreichen Ökosystemen stammen; der Anbau in der EU wiederum muss der guten landwirtschaftlichen Praxis folgen. Einige Definitionen – etwa welches Grasland als solches mit hoher Artenvielfalt gilt – ließ die Kommission jedoch offen.
Erwogen wird auch die Idee aus einer deutschen Gesetzesvorlage von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel: Danach sollte nur solcher Agrar-Treibstoff aus Entwicklungsländern verwendet werden, der von Flächen stammt, die vor einem bestimmten Stichtag gerodet wurden. Um dieses Kriterium zu erfüllen, verlagern derzeit brasilianische Sojapflanzer ihren Exportanbau einfach auf alte Felder und roden für die heimische Produktion neue Regenwaldflächen.
Verbindung von Klimaschutz und Energiepolitik
Die EU-Kommission hat im Januar ein Paket von Maßnahmen vorgelegt, mit denen das sogenannten 20-20-20-Ziel erreicht werden soll: Bis zum Jahr 2020 will die EU ihren Energieverbrauch zu 20 Prozent aus erneuerbaren Quellen decken – darunter 10 Prozent Agrartreibstoffe für den Transportsektor –, den Kohlendioxid-Ausstoß um 20 Prozent vermindern und die Energieeffizienz um 20 Prozent erhöhen. Dazu sollen erstens ein EU-weiter Emissionshandel dienen, in den die Kommission alle Industriebetriebe und Stromerzeuger einbeziehen will. Er soll mehr Treibhausgase erfassen als bisher. Zweitens sollen für die übrigen, von diesem Handel nicht erfassten Sektoren nationale Minderungsziele gelten. Die Kommission hat vorgeschlagen, welche Emissionen den einzelnen Staaten erlaubt sein sollen, damit die angestrebte Minderung in der EU insgesamt eintritt. Drittens hat sie von Land zu Land unterschiedliche Zielvorgaben für den Ausbau der erneuerbaren Energien vorgeschlagen. (bl)
welt-sichten 4-2008