Selbstständig dank Safran

Ilir Tsouko
Die Frauenkooperative im afghanischen Herat macht alles selbst: Sie baut den Safran an, erntet ihn, verarbeitet und vermarket ihn.
Frauenkooperative in Afghanistan
Die Armut in Afghanistan ist in den letzten Jahren stetig gewachsen. Eine ­Frauenkooperative bei Herat bietet ihren Mitgliedern zusätzliches Einkommen und Respekt. Den Kampf gegen die Not unterstützten bislang auch die Taliban.

Wenn diese Geschichte über Frauen mit einem Mann beginnt, dann hat das seinen Grund. Ort der Handlung ist der Pashtun-Zarghun-Distrikt in der Nähe der Stadt Herat, im Westen Afghanistans. Die Landschaft hier ist staubig und trocken, eine Wüste. Am Horizont erstrecken sich die flachen Berge der Dau-Shakh-Kette, durch das breite Flussbett des Hari Rud ziehen sich im Herbst nur Rinnsale. Seit Jahren wartet man auf genug Regen, doch in diesem Sommer fiel so wenig Nass, dass der Weizen noch am Halm vertrocknete und die Hirten der Karakulschafe lange wandern mussten, um Wasser zu finden. Schon immer konnten die Bauern hier ihre Familien kaum ernähren, doch seit diesem Sommer sind die, die über die Runden kommen, arm und die Armen bitterarm. 

Merajudin Shahabi, 54 Jahre alt, aus dem Dorf Gabighan hat sich schon viele Jahre an der Trockenheit abgearbeitet.  Der Bauer, ein großer Mann mit breiten kräftigen Händen, baut Kartoffeln und Zwiebeln an, hält einige Schafe und Kühe und schafft es in guten Jahren, 3000 Afghani (umgerechnet 30 Euro) im Monat zu verdienen. In schlechten Jahren sind es nur 2000 Afghani – weniger als ein 25-Kilo-Sack Reis kostet. Bis vor zwei Jahren lag die gesamte Last des Geldverdienens allein auf seinen Schultern, und wenn ein Hüne wie Shahabi sagt: „Ich fühlte mich sehr allein“, dann lässt das die Größe dieser Last ahnen. 

Bibi Gul, 47 Jahre, mit rosigen Wangen und hellen Augen, ist Shahabis Ehefrau. Eine quirlige Person mit einem eigenen Kopf, das merkt man sofort, wenn man sie kennenlernt. Bibi Gul hat die Hälfte, wenn nicht mehr, der Last von ihrem Mann genommen. Das tat sie, indem sie im Herbst 2019 Teil einer Frauenkooperative wurde, die Safran anbaut, erntet, verarbeitet und vermarktet. Nicht irgendeinen Safran, sondern solchen, dessen Qualität als die weltbeste gilt. Zwei Sätze verdeutlichen, welchen Unterschied das für die sechsköpfige Familie macht. „Ich bin jetzt sichtbar und werde respektiert“, sagt Gul. „Ich muss nicht mehr allein das Geld verdienen“, sagt Shahabi.  

Viele Stunden Handarbeit

An einem Oktobertag arbeitet sich Gul zusammen mit drei weiteren Frauen im Entengang durch ein Safranfeld abseits des Dorfes. Meter für Meter rücken die Frauen vor und pflücken die lilafarbenen Krokusblüten mit den wertvollen Stempeln. Drei Narben sind in jedem Kelch, die später vorsichtig mit der Hand herausgezupft und dann auf einem Tablett in einem speziellen Ofen getrocknet, gewogen und in Gläser gefüllt werden. Bis dahin sind viele Stunden Handarbeit nötig.

Krokusblüten, gepflückt in einem Safranfeld außerhalb des Dorfes.

Seite an Seite mit Bibi Gul arbeitet die 25-jährige Azita, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte. Sie ist eine schüchterne Frau, deren Gesicht nichts Jugendliches mehr hat. Azitas Mann ist, wie schätzungsweise 3,6 Millionen Afghanen, drogenabhängig. Das Geld, das er mit dem Sammeln von Eisen und Plastik verdient, gibt er für seine Sucht aus. Azita und ihre zwei Töchter litten viele Jahre lang Hunger, hatten oft nur eine Mahlzeit am Tag. Seit sie der Kooperative angehört, kann sie Lebensmittel und Kleidung kaufen und ihre Töchter bis zur sechsten Klasse zur Schule schicken. Vor allem aber ist sie weniger den Launen ihres drogenabhängigen Mannes ausgesetzt. Dieser, sagt sie, verstehe sehr gut, dass sie die wirtschaftliche Macht im Haus habe: „Er respektiert mich jetzt.“ Vorher habe sie ihn ständig um Geld anflehen müssen, nun könne sie selber entscheiden, was sie kaufe. Und Bibi Gul ergänzt, anders als vorher würden die Frauen jetzt in fast alle familiären Entscheidungen einbezogen. „Früher waren wir niemand. Jetzt haben wir eine Stellung.“

Der Safranverband Socio-agricultural women of Pashtoon Zarghoon District ist eine Initiative der Deutschen Welthungerhilfe. Deren örtlicher Partner RAADA (Rehabilitation und Agricultural Development for Afghanistan) hat seinen Sitz in Herat, einer alten Handelsstadt an der ehemaligen Seidenstraße, die über Jahrtausende Mittelpunkt der muslimisch-persischen Kultur war . Herat, das war das wohlhabende Zentrum der Dichter und Musiker, der Sufi-Meister, der besten Teppichknüpfer, und es ist Sitz der renommierten Balkh-Universität. Am 12. August dieses Jahres wurde die 600.000-Einwohner-Stadt nach tagelangen Kämpfen an die Taliban übergeben. Die Provinzregierung und die Sicherheitskräfte hatten sich zuvor in eine nahegelegene Armeebasis abgesetzt, die Taliban marschierten ungehindert ein. 

Die Frauen trauen sich wieder, das Haus zu verlassen

Autorin

Andrea Jeska

ist freie Journalistin. Sie berichtet aus dem Kaukasus, Afrika, dem Mittleren Osten und dem Balkan. Ihre Schwerpunkte sind Frauenrechte, gesellschaftliche Umbrüche, Flucht und Vertreibung sowie die Folgen des Klimawandels.
Nach angstvollen Wochen, in denen sich kaum ein Mensch auf die Straße traute und vor allem die Frauen daheimblieben, scheint sich die Lage normalisiert zu haben. Das bunte Treiben ist wiedererwacht, entlang der Straßen bieten Händler Kleidung und Gewürze an, es riecht nach Zimt und Kardamom. Die Freitagsmoschee, wegen ihrer glasierten Ziegel auch Blaue Moschee genannt, Masjid-i Jāmi auf Paschtun, ist das wohl meist fotografierte und berühmteste Gebäude von Herat. In friedlicheren Zeiten war sie ein gut besuchter Touristenort, doch in diesen Tagen sind nur ein paar Dutzend Männer dort, die beten. Bewacht wird die Moschee von Kalaschnikow-bewehrten Taliban, die sich bereitwillig in ein Gespräch über das Wetter und die wirtschaftliche Lage verwickeln lassen. Doch über die Geschichte des 1200 nach Christus erbauten Bauwerks, an dessen Vervollkommnung sich in den folgenden Jahrhunderten Timuride, Safawiden, Mogule und Usbeken beteiligten, wissen sie nichts. 

Am liebsten zeigen sich die neuen Machthaber in diesen Tagen in den Gängen und auf den Mauern der Zitadelle von Herat, die auf den Ruinen einer von Alexander dem Großen errichteten Burg erbaut sein soll. Dort flanieren sie in voller Bewaffnung und im Rausch ihres Siegs über den Westen. Vielleicht täten sie das mit weniger Protz, wüssten sie, dass diese Zitadelle mit Geld aus Deutschland und den USA, mit 2,4 Millionen Euro, wiederaufgebaut wurde, aus dem Topf jener, die sie ihre Feinde nennen. 

Nazir Ghafoori, der Direktor von RAADA, hat sein Büro in einem von Kameras bewachten, von dicken Mauern umgebenen Gebäude in einem Hinterhof. Eigentlich ist der Mitfünfziger Veterinär, seit vielen Jahrzehnten aber engagiert er sich für die Rechte und die Stärkung der Frauen auf dem Land. Er hat ein halbes Dutzend Initiativen auf den Weg gebracht, um diesen Frauen Verdienst und minimale Freiheiten zu ermöglichen. Aus der Kooperation mit der Welthungerhilfe entstand die Idee des Safrananbaus. Sie eröffnete für Ghafoori ein ganz neues Betätigungsfeld.

Widerstandsfähige und bescheidene Menschen

Kaum verlässt man die breiten Straßen von Herat, bestimmen verkümmerte Vegetation, Bauern auf Eselskarren und Lehmhäuser mit abgerundeten Dächern das Bild. Die wenigen Läden, die es dort noch gibt, verkaufen Grundnahrungsmittel und Plastiksandalen in allen Farben. Wer hier lebt, muss widerständig und bescheiden sein. 

In einem speziellen Ofen werden die Narben getrocknet. Wegen der aufwändigen Ernte und Verarbeitung ist Safran so teuer.

In das Safranprojekt aufgenommen werden vor allem jene Frauen, die mit großer Not zu kämpfen haben. „Wir fahren in die Dörfer und schauen, welche Familien am ärmsten sind, am dringendsten Hilfe benötigen. Voraussetzung ist allerdings, dass die Familie überhaupt ein Stück Eigenland besitzt, auf dem die Frauen anbauen können. Dann reden wir mit den Dorfältesten und den Ehemännern. Wir erklären ihnen, welche Vorteile es hat, wenn die Frauen Geld verdienen. Wir stoßen selten auf Schwierigkeiten, denn die Einsicht der Männer ist groß“, erklärt Ghafoori. 

Die ausgewählten Frauen – 100 sind es zurzeit, von insgesamt rund 200 Bewerberinnen – erhalten jede 400 Safranzwiebeln von der Welthungerhilfe und ein Training über den Anbau. Um in der Kooperative ihre Waren selbstständig vermarkten zu können, gibt es auch Alphabetisierungs- und Buchhaltungskurse. Bei allen Fragen und Problemen werden die Frauen von RAADA beraten und engmaschig betreut.

Schon immer war Safran ein wertvolles Gewürz, oft wurden dafür schwindelerregende Preise gezahlt. Der Name leitet sich vom arabisch-persischen za faran, das Gelbe, ab – denn aus den Narben der violettfarbenen Blüten wird das begehrte gelb färbende Gewürz gewonnen. Reiche Römer schmückten mit den Fäden ihre Hochzeitsbetten, im Orient wurden die Gewänder der Herrscher damit gefärbt, in der Antike stand das Fälschen von Safran unter Strafe. Bis heute ist das Gewürz eine teure Küchenzutat.

Gul ist jetzt Expertin für Safran

Bevor sie in das Projekt aufgenommen wurde, wusste Gul wenig über Safran. „In unserem Land verwenden wir dieses Gewürz zwar traditionell beim Kochen, aber zu Hause hatten wir nie Geld dafür.“ Inzwischen betrachtet sie sich als Expertin und sagt als stolze Geschäftsfrau: „Wir sind der Beweis, dass Afghanistans Frauen sehr stark sind.“

Mühevolle Handarbeit: Nach dem Pflücken zupfen die Frauen aus jeder der lilafarbenen Krokusblüten die drei Narben heraus.

Die Safranernte ist im ersten Jahr noch klein. Dann wird sie von Jahr zu Jahr größer, bis die Safranzwiebeln nach fünf Jahren ihre volle Kraft erreichen. Nach sieben Jahren sind sie erschöpft. Nach der Ernte werden die Blüten im Zentrum der Kooperative weiterverarbeitet. Ein Prozess, für den es viel Geduld braucht. An einem langen Tisch sitzen dann täglich acht bis zehn Frauen mit Handschuhen und zupfen die Safranfäden aus den Blüten. Das untere gelbe Ende trennen sie ab und legen es in einen Extrakorb, diesen Teil der Fäden verwenden sie für die eigene Küche. Die getrockneten roten Fäden verkaufen sie in Herat an Zwischenhändler, die die Ware in den Nahen Osten zum Weiterverkauf transportieren. Ein Kilo Safran erbringt den Frauen zurzeit umgerechnet 800 Euro, das ist weniger als ein Zehntel dessen, was auf dem europäischen Markt dafür gezahlt wird. Die Kooperativen geben einen Teil des Erlöses an die Mitglieder, den anderen Teil investieren sie in das Geschäft.  

Bis der wertvolle Safran in Gläser abgefüllt werden kann, ist viel Geduld nötig.

Für Bibi Gul und die Frauen der Initiative hat sich durch die Machtübernahme der Taliban politisch kaum etwas geändert. Schon davor waren die meisten Dörfer in der Steppe um Herat unter der Kontrolle der Islamisten, und diese ließen sie mit ihrem Projekt gewähren, weil sie die Hilfsorganisationen zur Versorgung der Bevölkerung brauchten. Denn während des sogenannten Antiterrorkrieges der US-Amerikaner und der Nato wuchs die Armut in Afghanistan mit jedem Jahr. Die Gründe dafür sind nicht allein die Dürren, sondern auch die vielen Kämpfe, vor denen die Menschen flohen, die Drohnenangriffe des US-Militärs, denen Hunderte von Zivilisten zum Opfer fielen, die Korruption in der afghanischen Regierung und die Marginalisierung der Landbevölkerung. Von dem Geld, das der kriegsführende Westen so willig und in üppiger Menge an die Regierenden gab, um sich deren Kooperation und Unterstützung zu versichern, kam in den Provinzen selten etwas an. In Armutsbekämpfung, das Gesundheitssystem und Infrastruktur wurde von afghanischer Seite so gut wie nicht investiert, diese Aufgaben blieben den Hilfsorganisationen überlassen. 

Taliban billigen Safran-Arbeit der Frauen

Mit der kompletten Machtübernahme der Islamisten in Afghanistan und deren Ankündigung einer rigiden islamischen Staatsführung kam jedoch die bange Frage nach der Weiterexistenz der Kooperative auf. Dass die Frauenorganisation bislang weiterarbeiten darf, verdankt sie den Verhandlungen der Welthungerhilfe und der engagierten Lobbyarbeit von RAADA. Denn jene Taliban, die in den Dörfern um Herat das Sagen haben, seien Einheimische, erklärt Ghafoori. Sie verstünden die prekäre Lebenssituation der Menschen. „Viele Männer sind arbeitslos oder verdienen nur wenig Geld. Mindestens ein Viertel aller afghanischen Familien wird komplett von Müttern oder Töchtern ernährt, ein weiteres Viertel mit Hilfe dieser. Ihnen die Mitarbeit zu verwehren, würde zu katastrophaler Not führen. Unter den Frauen, die Safran anbauen, sind auch etliche, deren Männer den Taliban angehören.“ 

Wirtschaftlich gesehen stellt die neue Lage dennoch eine existenzielle Bedrohung dar. Die Talibanregierung hat kein Geld, mehr als 70 Prozent aller Afghanen sind nun ohne Arbeit.  Die UN warnen vor einer Hungersnot, wenn nicht weiterhin in großem Format humanitäre Hilfe ins Land kommt. Zudem hat der Winter begonnen, zum Heizen fehlt den Menschen das Geld, in manchen Gebieten fällt für viele Stunden am Tag der Strom aus. Die Kosten für Grundnahrungsmittel wie Reis, Mehl und Öl sind um 30 bis 50 Prozent gestiegen. Bereits jetzt liegen in den Krankenhäusern unterernährte Kinder, die Zahl der Bettler in den Städten ist hoch. Die britische BBC berichtete Ende Oktober von Familien, die einige ihrer Töchter gegen Geld Männern zur Frau anboten, um die anderen Kinder ernähren zu können.

Auch die Frauenkooperative leidet unter der wirtschaftlichen Talfahrt. Schon mit Beginn der Corona-Pandemie fiel der Preis für Safran um 50 Prozent, nun geht er weiter nach unten. Auch deshalb, weil Afghanistan nun isoliert ist, das Bankensystem noch immer nicht funktioniert und der Export ins Ausland schwierig bis unmöglich geworden ist. Wie die Zukunft für den Safrananbau, die Zukunft der Frauen in seinem Land aussieht, weiß auch Ghafoori nicht einzuschätzen. „Es sind dunkle Zeiten“, sagt er, „und wir können nur hoffen, dass sie wieder heller werden.“

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erschienen in Ausgabe 12 / 2021: Das Spiel der großen Mächte
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