Ein deutscher Dokumentarfilm über „Memory Books“ begleitet HIV-positive Frauen in Uganda
Reinhard Kleber
Betty lebt in einem kleinen Dorf in Uganda. Von Aids hat sie das erste Mal gehört, als sie nach dem plötzlichen Tod ihres Ehemannes, eines Lastwagenfahrers, auf HIV getestet wurde – positiv. Jetzt versucht Betty mit Hilfe von „Memory Books“ für ihre Kinder die Verzweiflung, die diese Diagnose ausgelöst hat, zu verarbeiten. Die deutsche Filmemacherin Christa Graf hat sie und weitere HIV-positive Frauen mehrere Wochen begleitet. Ihr Dokumentarfilm „Memory Books – damit Du mich nicht vergisst“ kommt am 1. Mai in die deutschen Kinos. Das Evangelische Zentrum für Entwicklungsbezogene Filmarbeit (EZEF) wird ihn zum Ende des Jahres auf DVD herausbringen.
Die nichtstaatliche Organisation NACWOLA hat das Projekt „Memory Books“ 1992 ins Leben gerufen. In den Erinnerungsbüchern halten aidskranke Mütter für ihre Töchter und Söhne neben persönlichen Erinnerungen auch kulturelles Wissen fest: Lieder, Märchen und Geschichten, handwerkliche Anleitungen und Rezepte. Zeichnungen und Familienfotos sollen die Erinnerung an die gemeinsam verbrachte Zeit wach halten.
Betty kann nicht lesen und schreiben. Sie diktiert ihrem ältesten Sohn George das Erinnerungsbuch für ihre jüngste Tochter Lucy. Oft sitzt sie mit ihren Kindern zusammen, erzählt und lässt sich erzählen. “Wenn sie Sorgen haben, werden sie Rat in diesem Buch finden”, sagt Betty. „Es hilft uns wirklich“, meint der zehnjährige Dennis, der seine Mutter bereits verloren hat. „Es hilft uns dabei, uns an all die guten Dinge zu erinnern, die sie für uns getan hat. Wenn ich meiner Schwester Chrissie daraus vorlese, ist es, als würde sie zu uns sprechen.”
Regisseurin Graf hat beobachtet, dass viele HIV-geschwächte Mütter durch das Schreiben neue Kraft schöpfen: “Wenn die Psyche gestärkt ist, stabilisiert sich das Immunsystem. Die Frauen fühlen sich weniger wertlos. Sie haben eine Aufgabe.“ Vier Jahre hat die Regisseurin an dem Projekt gearbeitet, das vom Evangelischen Entwicklungsdienst finanziell gefördert wurde. Sie ist monatelang durch Uganda gereist, hat Kranke, Ärztinnen und Entwicklungshelfer besucht und mit betroffenen Frauen über ihr „Memory Book“ gesprochen.
Die Krankenschwester Christine zeigt seit vier Jahren anderen Müttern, wie sie Erinnerungsbücher verfassen können. Indem die HIV-positiven Frauen ihre Erfahrungen beim Schreiben austauschen, entsteht ein stärkerer sozialer Zusammenhalt. Frauen hätten in Uganda nicht viel zu sagen, erklärt Christine. „Aber Aids hat die Frauen auch stark gemacht. Jetzt sprechen sie selbst. Sie fordern von den Männern die Benutzung von Kondomen.”
Christa Graf erzählt die Geschichte der Frauen und ihrer Kinder in langen, bedächtigen Einstellungen und vermeidet jedes Mitleidsklischee. “Von dem Moment der Gewissheit an versinken viele Menschen in Lethargie, Depression und Verzweiflung. Die Menschen in diesem Film haben einen Weg gefunden, mit ihrem Schicksal umzugehen“, sagt die Filmemacherin, die von einer Lesung des schwedischen Schriftstellers Henning Mankell aus seinem Buch über „Memory Books“ zu ihrem Projekt angeregt wurde.
Trotz des ernsten Themas ist “Memory Books” kein trauriger Film, vielmehr vermittelt er Zuversicht und leise Hoffnung. Ansätze dazu sieht der Produzent des Films, Jörg Bundschuh, auch in der Realität: “Dank der Erinnerungsbücher ist in Uganda ein Bewusstsein für die Krankheit entstanden wie in keinem anderen Land in Afrika.” Inzwischen schreiben 40.000 ugandische Frauen solche Bücher. In vielen Nachbarländern wurde die Idee aufgegriffen. Bis 2010, heißt es im Abspann des Films, soll das Projekt zehn Millionen afrikanische Kinder erreichen.
Literaturtipp: Christa Graf: Damit du mich nie vergisst. Afrikas Kinder und die Memory Books, Malik Verlag, München 2007, 254 S., 18,00 Euro, www.memorybooks-film.de
welt-sichten 4-2008