Eine ökumenische Delegation findet einen prekären Frieden im Südsudan und Verzweiflung in Darfur
Gespräch mit Gerrit Noltensmeier
Im Südsudan ist nach dem Friedensabkommen von 2005 ein prekärer Frieden eingekehrt, während Darfur im Westsudan in Gewalt und Not versinkt. Eine internationale Kirchendelegation hat Ende März dem Sudan einen Solidaritätsbesuch abgestattet. Die Gesamtafrikanische Kirchenkonferenz (AACC) und der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) hatten den Besuch organisiert. Zur vom ÖRK-Generalsekretär Samuel Kobia geleiteten Delegation gehörte der Sudan-Beauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Gerrit Noltensmeier als einziger Europäer.
Warum haben der ÖRK und die Gesamtafrikanische Kirchenkonferenz (AACC) gerade jetzt eine Delegation in den Sudan geschickt?
Die Delegation wollte Solidarität mit den bedrängten Menschen zeigen und auf Probleme bei der Umsetzung des Friedensabkommens hinweisen. Im Sudan spürt man noch heute Dankbarkeit dafür, dass der ÖRK wesentlichen Anteil an dem Friedensschluss hatte, mit dem 1972 der erste Bürgerkrieg um den Südsudan beendet wurde. Aber dessen Umsetzung hat der ÖRK nicht begleitet. Diesen Fehler will man jetzt, nach dem umfassenden Friedensabkommen zwischen den Rebellen im Südsudan und Khartum im Jahr 2005, nicht noch einmal machen. Für mein Gefühl kam die Reise dafür fast ein bisschen spät.
Sie sehen den Friedensprozess an einem kritischen Punkt?
Er ist ins Stocken geraten. Das Abkommen enthält verbindliche Zeitvorgaben. Zum Beispiel hätten längst die Volkszählung durchgeführt und die freien Wahlen vorbereitet werden müssen. Beides ist bisher nicht geschehen. Deshalb sehen manche den Friedensprozess in einer kritischen Phase. Die Befriedung des Südsudan ist keineswegs gesichert, sondern sehr brüchig – von Darfur gar nicht zu reden.
Ist das auch das Urteil der sudanesischen Kirchen?
Sie haben den Eindruck, dass die Regierung in Khartum die Umsetzung des Friedensabkommens immer wieder verzögert – dass sie die südsudanesische Seite immer noch als Gegner ansieht und zu spalten versucht. Zudem beklagen sie den Mangel an öffentlicher Sicherheit.
Sind die Kirchen im Süden des Sudan stärker als im Norden?
Die größeren christlichen Kirchen sind im Südsudan zu finden. Sie haben ihre Wurzeln in missionarischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts, vor allem aus Amerika. Die Zahl der Christen im Südsudan ist während des Bürgerkrieges und danach stark gewachsen. Im Norden des Landes sind alte, traditionelle, zahlenmäßig eher kleinere Kirchen beheimatet wie die koptische und die orthodoxe, die schon lange im arabisch-muslimischen Umfeld leben und manchen Kompromiss geschlossen haben.
Wie äußern sich die sudanesischen Kirchen zum Krieg in Darfur?
Sie beklagen, dass die Weltöffentlichkeit sich fast ausschließlich auf Darfur konzentriert. Die Probleme zwischen Nord und Süd und die schwierigen Lebensverhältnisse im Süden scheinen wieder einmal fast vergessen zu sein. Andererseits nehmen sie das besondere Problem Darfur ernst und wissen, dass dort Schreckliches geschieht. Sie haben mit ihren schwachen Kräften Hilfsprojekte auf den Weg gebracht und weisen darauf hin, dass der UN-Friedenseinsatz in Darfur völlig unzureichend ausgerüstet ist. Das Vertrauen zu internationalen Einwirkungen ist in Darfur gegen Null gesunken. Diejenigen aus unserer Delegation, die in Darfur gewesen sind, haben von großer Verzweiflung dort berichtet. Die Flüchtlingslager sind überfüllt, verlassene Dörfer werden von Menschen aus dem Tschad nach und nach besiedelt. Die Regierung in Khartum hat in Darfur kaum Begegnungen der Delegation mit einfachen Menschen zugelassen.
Sie selbst sind mit einem Teil der Delegation im Südsudan gewesen?
Ja. Ein Teil der Delegation ist in Khartum und in Darfur gewesen, einer in Rumbek im Südsudan und einer, dem ich angehörte, in Yambio im äußersten Südwesten des Landes. Dieses Gebiet ist grüner und fruchtbarer als alles, was ich bisher vom Sudan gesehen habe, und scheint zunächst friedlich. Aber die Gesprächspartner von der Gouverneurin bis hin zu einfachen Gemeindemitgliedern berichten, ständige Überfälle der Lord’s Resistance Army (LRA) – einer aus Norduganda stammenden Truppe – führten zu einer solchen Verunsicherung, dass zum Beispiel Gottesdienste und Schulen schwächer besucht würden. Die Menschen verlassen nachts ihre Hütten und schlafen im Busch. Die ständige Unsicherheit führt zu einem Leben gleichsam unter Vorbehalt, der Aufbau des Landes ist lahm gelegt.
Die LRA scheint kurz vor dem Abschluss eines Friedensabkommens mit der Regierung Ugandas zu stehen. Würde dies das Problem in Yambio lösen?
Diese Hoffnung haben die Menschen dort nicht. Zu viele Friedenspapiere sind schon unterschrieben worden, ohne dass der LRA das Handwerk gelegt worden wäre. Manche vermuten, die LRA werde politisch benutzt, um Unheil im Süden des Sudan zu stiften. Andere denken, dass einzelne Kommandos der LRA sich verselbstständigt haben. Man vertraut jedenfalls nicht auf die Friedensgespräche, sondern setzt auf die militärischen Möglichkeiten der Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung SPLM und ihrer Armee, der SPLA. Deren Soldaten sind aber kriegsmüde. Die Lage sieht also ziemlich desaströs aus.
Mit dem Friedensabkommen von 2005 ist die SPLM Teil der Regierung des ganzen Landes geworden und stellt die Regierung des Südsudan. Wie hat sich dadurch die Rolle der Kirchen verändert?
Die christlichen Kirchen standen in den Zeiten des Bürgerkrieges fest an der Seite der Befreiungsbewegung. Zuweilen hat man wohl auch vor der Gewalttätigkeit der SPLA, in der Angehörige der Dinka den Ton angeben, gegen andere Volksgruppen die Augen verschlossen. Heute beklagen die Kirchen, dass die Distanz zur gegenwärtigen Regierung des Südsudan stark gewachsen ist. Diese formuliert abstrakt eine Trennung von Kirche und Staat, und es fehlt an Einladungen an die Kirchen, den Prozess des Aufbaus der Gesellschaft zu begleiten und notwendige Kritik konstruktiv einzubringen. Man hat den Eindruck, die neue Regierung des Südsudan schottet sich ab – vielleicht um kritischen Anfragen von Seiten der Kirchen zu entgehen.
Die Kirchen sind im Südsudan eine der wenigen Gruppen, die eine Zivilgesellschaft tragen könnten. Wollen sie die Rolle eines kritischen Gegenübers zur Regierung spielen?
Ja, die Kirchen wollen das – auch wenn es für sie ungewohnt ist, den „eigenen Leuten“ nun mit kritischen Fragen zu begegnen. Damit werden sie natürlich in mancher Hinsicht unbequem. Kluge Leute aus den Kirchen sagen, es ist eine Aufgabe, einen Landesteil zu befreien, aber etwas ganz anderes, ihn zu befrieden und die Infrastruktur aufzubauen. Da tun sich die gegenwärtigen Machthaber, die alle eine militärische Karriere im Bürgerkrieg hinter sich haben, erkennbar schwer. Anscheinend konzentriert sich alles auf den Regierungssitz Juba, die entlegenen Gebiete werden vernachlässigt, obwohl Geld da sein muss.
Sehen die Kirchen ihre Aufgabe auch darin, beim Aufbau eines Staatswesens zu helfen?
Ja. Sie haben schon während des Bürgerkrieges ganz wesentlich zum Bildungs- und Gesundheitswesen beigetragen. Das wird nun allerdings schwieriger. Denn die Idee, dass der Staat die Kirchen finanziell unterstützt, damit sie diese Aufgaben übernehmen können, hat sich im Südsudan kaum durchgesetzt. Die Kirchen sind daher genötigt, dieses Engagement eher zu verringern.
Das heißt die Regierung des Südsudan erhält Entwicklungshilfe und einen Anteil der Öleinnahmen des Sudan, gibt das Geld aber nicht für soziale Dienste an die Kirchen weiter?
Ja, so ist es wohl, wobei die Erwartungen der Kirchen nicht vermessen sind.
Wohin fließt das Geld?
Das ist manchmal undurchsichtig. Korruption scheint ein Problem zu sein. Auf jeden Fall legt die südsudanesische Regierung nicht wirklich Rechenschaft darüber ab, was mit den erheblichen Einnahmen aus der Ölförderung geschieht.
Sehen die Kirchen es als eine Aufgabe an, nach dem Bürgerkrieg die Versöhnung zu fördern – sowohl unter den Gruppen im Süden als auch gegenüber dem Norden?
Ich bin beeindruckt, wie klar die Kirchen diese Aufgabe sehen. Sie kritisieren, dass Versöhnung im Friedensabkommen überhaupt nicht erwähnt wird. Sie sind die einzigen, die diese Leerstelle füllen könnten. Für die Konflikte innerhalb des Südsudan gibt es dafür bereits eindrucksvolle Modelle. So hat auf Initiative der Kirchen ein Friedensprozess an der Basis Menschen aus verschiedenen Volksgruppen zusammengebracht, die sich zum Teil entsetzliche Wunden geschlagen hatten. Allerdings belasten Spannungen zwischen den Volksgruppen auch die Kirchen selbst; die Grenzen zwischen den Konfessionen spiegeln zum Teil die Stammesgrenzen wider. Wir hoffen immer, gemeinsam Christen zu sein sei wichtiger als alles andere, aber das formulieren viele Christen im Südsudan nicht so. Viele – wenn auch nicht aus den obersten Ebenen der Kirchenführung – erklären, dass die Religion gegenüber der Stammeszugehörigkeit sekundär ist. Das erschwert den Einsatz für Versöhnung. Vorrang hat im Übrigen für die Kirchen die Versöhnung im Süden; der Einsatz für Versöhnung mit dem Norden ist weniger stark.
Hat der Krieg das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen vergiftet?
Mit Sicherheit hat er es erschwert. Die Einführung der Scharia, des islamischen Rechts, hat ja den zweiten Bürgerkrieg 1983 ausgelöst. Die muslimische Bevölkerungsgruppe im Südsudan ist schwach, und viele haben die Region, in der man zuvor einigermaßen gedeihlich zusammengelebt hatte, während des Krieges verlassen.
Hat der Zusammenschluss der beiden Kirchenräte des Nord- und des Südsudan die Spannungen in den Kirchen verstärkt?
Die EKD hat den Zusammenschluss außerordentlich begrüßt, weil damit ein verbindendes Element in der Arbeit der Kirchen gestärkt zu werden schien. Wir haben uns davon eine Stärkung der Position der sudanesischen Kirchen gegenüber dem Staat versprochen. Wir hören jetzt aber im Süden, dass man mit großem Respekt an den früheren, südsudanesischen New Sudan Council of Churches(NSCC) zurückdenkt. Der hat funktioniert, während sich jetzt der Sudan Council of Churches (SCC) in Khartum ungleich schwerer tut. Der Wille zur Zusammenarbeit scheint bei den Kirchen nicht mehr so ausgeprägt. Der SCC hat viel geringere Mittel und musste Personal entlassen. Das gemeinsame Engagement im Bildungs- und Gesundheitswesen ist erkennbar geschwächt, manches haben einzelne Kirchen übernommen.
War der Zusammenschluss der Kirchenräte nicht ein problematisches politisches Signal angesichts des für 2011 vorgesehenen Referendums über die Eigenstaatlichkeit des Südsudan? Wenn sich die Bevölkerung dafür entscheidet, muss man den vereinten Kirchenrat wieder auseinandernehmen.
Wir haben den Zusammenschluss begrüßt und versuchen weiterhin, das Gemeinsame zu stärken. Wenn man die Absicht des Friedensabkommens Ernst nimmt und der Einheit des Landes eine Chance geben will, muss die Kirche das zunächst nachvollziehen, auch in ihrer Struktur. Doch jetzt prallen die verschiedenen Kulturen aufeinander: Die Kirchen im Süden sind mit Fragen der Befreiung und des Bürgerkrieges beschäftigt und die im Norden müssen mit der übermächtigen Regierung Kompromisse im Sinne des eigenen Überlebens finden. Deshalb tut man sich schwer, eine gemeinsame Zukunft zu formulieren.
Welche Unterstützung wünschen sich die Kirchen im Sudan von uns?
Sie wünschen sich, dass unsere Hilfswerke die Projektarbeit fortführen und weiter wie bisher Respekt zeigen vor den lokalen Initiativen und Fähigkeiten. Darüber hinaus wird das Miteinander von Kirche zu Kirche über die Grenzen hinweg sehr geschätzt. Das spüre ich als geistlicher Gesprächspartner, der nicht als Vertreter der Hilfswerke kommt, immer wieder. Begegnungen mit Kirchenleitungen und Gemeinden in ihrem eigenen Lebensbereich schaffen Vertrauen und lassen uns sensibler werden für die Lage im Sudan und das, was dort erwartet wird.
Welchen Stellenwert hat der Sudan in der Arbeit des AACC und des ÖRK?
Für den ÖRK hat der Sudan hohe Priorität. Ein Indiz dafür ist, dass noch nie eine so große Delegation in ein Land geschickt worden ist, um dort die Solidarität der Ökumene deutlich zu machen.
Wie hat die Regierung in Khartum darauf reagiert?
Die Delegation hatte Schwierigkeiten, im Nordsudan hochrangige Gesprächspartner zu finden. Termine wurden vernachlässigt oder im letzten Moment abgesagt. Die Delegation ist, wenn man ihren hohen Rang bedenkt, in Khartum ein wenig schnöde behandelt worden. Das Gespräch führte Bernd Ludermann.
Gerrit Noltensmeier ist Sudan-Beauftragter des Rates der EKD und Vorsitzender der Core Group des Sudan Ecumenical Forum, eines ökumenischen Netzwerks zum Sudan. Er war bis 2005 Landessuperintendent der LippischenLandeskirche und ist Mitglied des Rates der EKD.
Brüchiger Frieden: Das Abkommen zur Beilegung des Bürgerkriegs im Südsudan
Der Sudan befand sich seit seiner Unabhängigkeit 1956 die meiste Zeit im Bürgerkrieg. Ein entscheidender Grund dafür ist, dass die arabisch-islamische Elite aus dem Gebiet um Khartum von Beginn an den Staat und die Wirtschaft beherrschte. Sie verweigerte anderen Gebieten die Mitsprache und vernachlässigte deren Entwicklung. Schon 1955 brach im Süden des Landes, in dem schwarzafrikanische Kulturen dominieren, eine Revolte aus. Dieser Konflikt konnte 1972 mit Hilfe einer Autonomieregelung für den Südsudan beigelegt werden.
Als dort Erdöl gefunden wurde, unterhöhlte die Regierung in Khartum die Autonomie. Dass sie 1983 zudem das islamische Recht, die Scharia, einführte, löste den zweiten Bürgerkrieg aus. Angesichts ihrer schwachen Kontrolle über das riesige und kaum erschlossene Land führte die Zentralregierung den Krieg im Südsudan – ebenso wie seit 2003 in Darfur – mit Hilfe informeller lokaler Milizen und schürte Kämpfe unter verschiedenen Volksgruppen, um ihre Gegner zu schwächen.
Vermittlungsversuche der Nachbarstaaten und starker Druck aus den USA führten ab Mitte 2002 zu einer Serie von Vereinbarungen zwischen Khartum und der südsudanesischen Befreiungsbewegung Sudan People’s Liberation Movement (SPLM). Sie mündeten Anfang 2005 in das Umfassende Friedensabkommen (Comprehensive Peace Agreement, CPA). Danach soll nach einer sechsjährigen Übergangsphase – also 2011– ein Referendum im Südsudan entscheiden, ob das Gebiet Teil des Sudan bleibt. Bis dahin soll die SPLM den Südteil des Landes regieren.
In Khartum wurde mit dem CPA die Macht während der Übergangszeit geteilt: Der Führer des SPLM ist nun erster Vizepräsident, seine Partei sowie andere Oppositionsgruppen (auch aus dem Nordsudan) sind im Parlament vertreten. Bis 2009 sollen freie Wahlen stattfinden. Die Öleinnahmen des Südsudan stehen laut CPA zu gleichen Teilen dem Norden und dem Süden zu. Die Scharia gilt im Südsudan nicht mehr und wird im Nordsudan nur noch auf Muslime angewandt. Die Umsetzung des Abkommens wird von einer großen internationalen Mission überwacht.
Die Konflikte im arabisch-muslimisch geprägten Nordsudan sind im CPA jedoch ausgeblendet, die Opposition im Nordsudan war an den Verhandlungen nicht beteiligt. Dies hat zum Ausbruch der Revolte in Darfur gegen die Zentralregierung im Februar 2003 beigetragen.
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welt-sichten 5-2008