Die EU und der Völkermord in Ruanda

REUTERS/Baz Ratner
Andenken mit schlechtem Gewissen: Der damalige Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, entzündet im April 2019 in Kigali zusammen mit dem ruandischen Präsidenten Paul Kagame (Mitte) eine Flamme zum Gedenken an den Völkermord 25 Jahre zuvor.
Erinnerungskultur
Der Genozid in Ruanda liegt mehr als ein Vierteljahrhundert zurück, doch wirkt er noch heute nach. Beobachter sehen darin einen Grund, warum Brüssel die Menschenrechtslage in dem Land nicht deutlicher anspricht.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hielt Ende Oktober 2021 im ruandischen Bezirk Bugesera eine emotionale Ansprache. Es brauche viel Mut zur Versöhnung, sagte er mit Blick auf die Arbeit des Interpeace Project, das dort an der Bewältigung der Folgen des Völkermords von 1994 mitarbeitet. Borrell gab sich zugleich kritisch gegenüber Europa und der internationalen Gemeinschaft. Diese habe den Genozid nicht verhindert: „Man kann schuldig werden durch Handeln oder man kann schuldig werden durch Nichthandeln.“

Dass Borrell den Völkermord anspricht, wirft ein Schlaglicht auf die Beziehungen der EU zu Ruanda. Der Genozid bleibe ein „Referenzpunkt für jeden, der Partner der ruandischen Regierung sein und mit ihr arbeiten will“, teilt eine EU-Sprecherin auf Anfrage mit. Unter anderem unterstützt Europa deshalb Versöhnungsprozesse in der Bevölkerung. Im Bugesera-Bezirk hat das Interpeace Project beispielsweise im Mai mit 42 jungen Leuten ein Kommunikationstraining absolviert. Die Schulung diente dazu, die Fähigkeiten zur Förderung von Frieden und Versöhnung und kritisches Denkvermögen zu stärken, erklärt die Organisation auf ihrer Website. Denn beim Genozid von 1994 hätten viele junge Leute deshalb mitgemacht, weil sie die von den Machthabern verbreitete Hasspropaganda nicht als solche erkannt hätten.

Human Rights Watch berichtet von willkürlichen Verhaftungen

Allerdings ist öffentliche Kritik auch heute in Ruanda nicht selbstverständlich. Human Rights Watch schreibt im jüngsten Bericht zur Lage der Menschenrechte weltweit, dass die regierende Ruandische Patriotische Front (RPF) weiterhin Menschen verfolge, die sie als Bedrohung wahrnehme. Die RPF hatte unter dem heutigen Präsidenten Paul Kagame einst den Völkermord beendet und herrscht seitdem in Ruanda. „Willkürliche Verhaftung, Misshandlung und Folter in offiziellen und inoffiziellen Haftanstalten setzten sich fort“, heißt es bei Human Rights Watch zum Berichtsjahr 2020. Standards für faire Gerichtsverfahren seien in politisch heiklen Fällen immer wieder missachtet worden.

Die EU-Kommission macht beim Blick auf die Menschenrechte hingegen „positive Entwicklungen in vielen Bereichen“ aus, teilt die Sprecherin mit. Sie verweist auf Ruandas „starkes Engagement“ im Rahmen des UN-Menschenrechtsmechanismus Universal Periodic Review. Die EU selbst verfolge bei allen Aktivitäten in Ruanda einen menschenrechtsbasierten Ansatz und fördere die Menschenrechte unter anderem mit Projekten zur Meinungsfreiheit und zum Minderheitenschutz. 

Nach Einschätzung der Friedensfachkraft David Fechner hält sich die EU in Ruanda allerdings mit Kritik zurück. „Man traut sich nicht, offensiv an die Demokratieförderung ranzugehen“, sagt Fechner. Der Deutsche arbeitet im Auftrag der Vereinten Evangelischen Mission und von Brot für die Welt in Ruanda sowie in Burundi und dem Ostkongo. Bei Veranstaltungen etwa der EU-Delegation zu den Menschenrechten werde Ruanda eher für seine Fortschritte gelobt als für Missstände kritisiert, hat Fechner beobachtet, der seit bald fünf Jahren im Land lebt. Fechner führt dies auch auf das Versagen der Europäer beim Genozid zurück. Wenn die Europäer heute in Ruanda Kritik an der Menschenrechtslage äußerten, begegne ihnen von einheimischer Seite immer noch das Argument „ihr habt uns im Stich gelassen“. Dennoch könnte die EU auf diesem politisch sensiblen Feld mehr tun, meint Fechner. „Man muss dabei zwar aufpassen, dass man Ruanda nicht von oben herab behandelt. Aber derzeit ist es eher so, dass Ruanda von oben herab handelt.“ 

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erschienen in Ausgabe 2 / 2022: Riskante Geschäfte mit der Chemie
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