Die größten Verlierer der Pandemie

Bildung
Politiker haben die Rechte der Schüler in der Pandemie zu lang ignoriert. Viele Mädchen und Jungs - vor allem im globalen Süden - werden die Folgen der Schulschließungen noch lange spüren, meint Melanie Kräuter.

Melanie Kräuter ist Redakteurin bei "welt-sichten".
Zu den Hauptleidtragenden der Pandemie gehören die Kinder – nicht zuletzt im Süden. In vielen Ländern wie Honduras, Brasilien und Indien waren die Schulen um die 80 Wochen geschlossen – laut der UNESCO, der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur, aber am längsten im ostafrikanischen Uganda. Erst am 10. Januar dieses Jahres, also fast zwei Jahre nach der Schließung im März 2020, durften die ugandischen Schüler und Schülerinnen wieder zurückkommen. Doch fast ein Drittel von ihnen wird laut Schätzungen der Behörden der Schule fernbleiben. Denn viele Mädchen wurden während des Lockdowns verheiratet oder geschwängert. Die ugandischen Behörden zählten in diesem Zeitraum deutlich mehr Geburten bei Teenagern als vor der Pandemie. Viele Kinder und Jugendliche mussten auch anfangen zu arbeiten, damit ihre Familien, die infolge der Einschränkungen ihr Einkommen verloren, über die Runden kamen. Einige Experten sprechen gar von einer „verlorenen Generation“.
 
Leider war die Zunahme von Zwangsehen, von Teenagerschwangerschaften, von häuslicher und sexualisierter Gewalt sowie von Kinderarbeit in vielen Ländern zu beobachten. Zwar haben alle 190 Länder, die während der Pandemie kürzer oder länger die Schulen schlossen, auf unterschiedliche Weise versucht, die Unterrichtsausfälle für die 1,6 Milliarden betroffenen Schüler auszugleichen. Aber Lernverluste gab es überall. Und die waren bei ärmeren und marginalisierten Kindern größer als bei jenen aus reicheren Familien und bei Mädchen größer als bei Jungs – vor allem in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Zudem war und ist es für arme Kinder kaum möglich, übers Handy am Fernunterricht teilzunehmen, weil sie entweder keinen Strom oder keinen Internetanschluss haben oder sich das Handy mit mehreren Geschwistern teilen müssen. 

Pandemie hat Bildungserfolge zunichte gemacht

Die soziale Ungleichheit und die der Bildungschancen haben sich in der Pandemie also noch verschärft.  Die UNESCO warnt, dass die Corona-Pandemie 20Jahre an Bildungserfolgen zunichtegemacht hat. Zudem haben Kinder und Jugendliche auch deshalb sehr unter den Schulschließungen gelitten, weil sie ihre Freunde nicht gesehen haben und nicht in der sicheren Schulumgebung waren. Im Süden fehlten ihnen besonders die regelmäßigen Mahlzeiten, viele waren in der Folge mangelernährt. Zugegeben, die Abwägung zwischen Gesundheitsschutz – auch der Schüler – und dem Recht auf Bildung war für Regierungen schwierig. Doch vielfach schien es, als ob Politiker viel einfacher die Rechte von Kindern ignorieren konnten als die von lautstarken Erwachsenen. Eine Ungerechtigkeit, die viel mehr Widerspruch erfordert hätte! 

Was muss jetzt getan werden? Zuallererst müssen die Kinder und Jugendlichen zurück in die Schulen und wieder in Präsenz unterrichtet werden. Auch sollten möglichst viele der arbeitenden Kinder, jungen Mütter oder schwangeren Mädchen wieder in die Schule dürfen. Davon müssen, wenn nötig, auch Eltern, Kirchenführer, Schulleiter oder Dorfälteste überzeugt werden. Immerhin richten die ugandischen Behörden laut einer Regierungsanweisung nun in allen Schulen Räume für stillende Mütter und schwangere Mädchen ein. 

Mehr Investitionen in digitale Infrastruktur und Technik

UNESCO, UNICEF und die Weltbank haben 2021 die Mission „Recovering Education“ (Bildung zurückgewinnen) gestartet, um zusammen mit nationalen Regierungen und Schulbehörden die Bildungsmisere zu bekämpfen. Dabei gibt es drei Prioritäten: die Schüler wieder zurück in die Schulen bringen; die Lernverluste aufarbeiten, etwa durch gezielte Nachholkurse und einen Fokus auf grundlegende Lese-, Rechen- und Schreibfähigkeiten; und die Lehrer für diese neue Situation besser ausbilden. Zusätzlich muss in digitale Technik investiert werden. Denn beides, das haben wir gelernt, kann eine Chance sein – auch wenn Schüler im normalen Schulalltag zum Beispiel durch Computerprogramme unterstützt werden. Das funktioniert allerdings nur, wenn alle richtig darauf vorbereitet und mit entsprechenden Geräten ausgestattet sind. Das hat ja leider noch nicht mal in einem hoch industrialisierten Land wie Deutschland geklappt. 

Weltweit betrachtet ist es erst recht ein riesiges Problem: Laut UN-Schätzungen hatten während der Schulschließungen 500 Millionen Schüler weltweit keine Möglichkeit, am Fernunterricht teilzunehmen. Die Hälfte der Weltbevölkerung, ungefähr 3,6 Milliarden Menschen, verfügt über keinen Internetanschluss. Das muss sich ändern: Gerade in ländlichen Gebieten im globalen Süden müssen Regierungen in digitale Infrastrukturen in Schulen und Dörfern investieren. Gerade mal zwei Prozent der humanitären Hilfe wird für Bildung ausgegeben. Die Corona-Pandemie hat verdeutlicht, wo mehr investiert werden muss, um das Bildungssystem krisensicherer zu machen. Neue Krisen werden kommen. Wir sollten jetzt alles dafür tun, dass es nicht wieder die Kinder und Jugendlichen am härtesten trifft. 

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erschienen in Ausgabe 3 / 2022: Tod und Trauer
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