„Die UN brauchen mehr Verantwortung in der Steuerpolitik“

Steuergerechtigkeit
Die Organisationen Eurodad und Global Alliance for Tax Justice schlagen eine UN-Konvention zur Regulierung der internationalen Steuerpolitik vor. Was würde die bringen? Und wie realistisch ist es, dass die Staaten sich darauf einigen?

David Kern-Fehrenbach ist wissenschaftlicher Referent beim Netzwerk Steuergerechtigkeit in Berlin und dort zuständig für die Bereiche Steuern und Entwicklung sowie Unternehmenssteuern.
Herr Kern-Fehrenbach, warum braucht es eine bei den Vereinten Nationen (UN) angesiedelte Steuerkonvention?
Es gibt inhaltliche und institutionelle Gründe. Inhaltlich wird eine Steuerkonvention gebraucht, weil das bestehende globale Steuersystem eine wesentliche Ursache für die Ungleichheit in der Welt ist. Es erlaubt, dass Konzerne ihre Gewinne von einem Land ins nächste verschieben und dort versteuern, wo die Steuersätze am niedrigsten sind. Die Länder im globalen Süden, wo die Konzerne produzieren oder ihre Produkte verkaufen, bekommen nur ein kleines Stück des Steuerkuchens. Das muss geändert werden.

Ist das nicht auch der Zweck der Steuerreform, die die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vergangenes Jahr beschlossen hat?
Ja, aber die OECD-Reform zielt nur darauf ab, einen sehr kleinen Teil der globalen Besteuerungsrechte fairer zu verteilen und mit einer Mindeststeuer den Steuerwettlauf nach unten zu bremsen. Sie beschränkt kaum die Möglichkeiten der Gewinnverschiebung; die Verteilungsfrage wird nicht grundsätzlich gestellt. Die OECD-Reform ist wichtig, weil sie die beschriebenen Probleme anzugehen versucht. Zugleich aber reformiert sie das bestehende System nicht grundsätzlich und berücksichtigt die Interessen der Länder im globalen Süden zu wenig. Das macht einen institutionellen Wandel in Form einer UN-Steuerkonvention umso notwendiger: Die Länder des globalen Südens haben bei den UN mehr Mitsprache. Gegenwärtig ist es so, dass über Steuerfragen auf zwischenstaatlicher Ebene oder eben in der OECD verhandelt wird, wo ärmere Länder in der Regel in der schwächeren Position sind.

Wie realistisch ist es, dass sich die fast 200 UN-Mitglieder auf eine Steuerkonvention einigen?
Das Thema hat in den vergangenen Jahren mehr Aufmerksamkeit gewonnen, denn eine stärkere Rolle der UN hätte einige Vorteile. Die Länder des globalen Südens wären stärker beteiligt und die Verhandlungen wären transparenter, bei der OECD finden sie oft hinter verschlossenen Türen statt. Eine UN-Steuerkonvention hätte zudem ein eigenes Sekretariat, das anders als das allgemeine OECD-Sekretariat nicht primär den OECD-Mitgliedstaaten rechenschaftspflichtig wäre, sondern allen unterzeichnenden UN-Mitgliedern. Es gibt also gute Gründe, den UN mehr Verantwortung in der internationalen Steuerpolitik zu geben, und viele Länder unterstützen das auch, etwa Indien, Nigeria, Norwegen und Südafrika.

Das sind Vorzüge aus Sicht einiger Länder im globalen Süden und von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Viele einflussreiche Länder hingegen wollen doch gar nicht mehr Transparenz und mehr Einfluss ärmerer Länder.
Tatsächlich sind viele wichtige Industrieländer dagegen, darunter war bisher auch Deutschland. Es passiert aber etwas. So haben SPD, Grüne und die Linke vor der Bundestagswahl eine stärkere Rolle der UN gefordert. Im Koalitionsvertrag findet sich dazu allerdings nichts. Insofern ist tatsächlich fraglich, inwieweit die neue Bundesregierung das unterstützt. Bisher hat sie sich nicht dazu geäußert.

Aber dennoch bewegt sich Ihrer Ansicht nach etwas in der globalen Steuerpolitik?
Ja, ich denke schon. Einige Länder des globalen Südens hatten große Hoffnungen in die OECD-Reform gesetzt und sind jetzt ziemlich ernüchtert, weil ihre Interessen nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Sie sehen das als verpasste Chance, die globalen Gewinne und Reichtümer in der Welt gerechter zu verteilen. Es muss also weiter daran gearbeitet werden, und in den vergangenen Jahren haben wir in der Steuerpolitik wiederholt gesehen, dass Dinge beschlossen wurden, die zuvor noch als völlig unrealistisch angesehen wurden. Ein Beispiel ist das „public country-by-country reporting“ in der Europäischen Union, also dass Unternehmen öffentlich darlegen müssen, in welchem Land sie wirtschaftlich aktiv sind und wie viel Steuern sie dort zahlen. So sehe ich das auch mit Blick auf eine UN-Steuerkonvention: Sie wird voraussichtlich nicht in den nächsten Jahren verabschiedet, aber ich bin zuversichtlich, dass da noch etwas passiert.

Der von Eurodad und der Global Alliance for Tax Justice vorgelegte Vorschlag geht inhaltlich weit über einen Stopp der Gewinnverschiebung und anderer Praktiken zur Steuervermeidung von Unternehmen hinaus. Gefordert wird unter anderem auch ein globales Vermögensregister. Verringert das nicht die Chancen, dass ernsthaft über den Vorschlag gesprochen wird?
Der Vorschlag geht ziemlich weit. Er skizziert umfassend, was es bräuchte, um das globale Steuersystem fairer zu machen. Die Idee ist, alle wichtigen Reformen, die dafür nötig wären, unter einem Dach zu vereinen, statt sie nur vereinzelt über regionale Abmachungen oder zwischenstaatliche Verträge anzugehen. Viele Fragen, die der Vorschlag aufgreift, etwa die nach der Transparenz von Vermögensverhältnissen oder von Steuersystemen, werden ja seit geraumer Zeit diskutiert. Wie viel dann in einen solchen Vorschlag aufgenommen wird, ist auch eine strategische Frage. Ich finde es sinnvoll, institutionellen Reformaspekten einen wichtigen Stellenwert zu geben, also darauf hinzuarbeiten, dass Fragen zur internationalen Steuerpolitik stärker bei den UN besprochen werden. Das wäre schon mal ein großer Schritt. Zwar würde das nicht automatisch die globalen Machtverhältnisse ändern, die Rahmenbedingungen für Verhandlungen gegenüber den Ländern des globalen Südens würden aber fairer werden. Und das könnte die Chancen erhöhen, dass wichtige inhaltliche Reformen angepackt werden.

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.

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erschienen in Ausgabe 4 / 2022: Streiten für die Menschenrechte
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