Mit Kreativität lässt sich auch in Entwicklungsländern Geld verdienen
Von Griet Newiger-Addy
Der Anteil des Handels mit kreativen Gütern und Dienstleistungen am Welthandel wächst. Davon könnten auch afrikanische Länder mit ihren reichen kulturellen Traditionen profitieren. Der Mangel an Kapital, moderner Technik und Vermarktungsstrategien erschwert es afrikanischen Kulturproduzenten jedoch, im internationalen Wettbewerb zu bestehen.
Nomoda Djaba „Cedi“ häufelt mit ruhiger Hand weißes, blaues und grünes Pulver aus zerstoßenem Altglas in eine kleine Tonform. Dann schiebt er die Form auf einem langen Brett in den Brennofen. Eine halbe Stunde später ist eine dekorative weiße Glasperle mit Rautenmuster fertig. Cedis Perlenfabrik in der Nähe des Akosombo-Staudamms am Volta-See in Ghana beschäftigt 24 Angestellte. Der monatliche Umsatz liegt bei 4000 US-Dollar, etwa vierzig Prozent davon stammen aus Exporten in die USA, nach Deutschland oder Südafrika. Cedis Kunsthandwerk hat eine lange Tradition. „Ich komme aus einer Familie von Perlenmachern“, sagt er. „Früher bestimmte die Art der Perlen, die jemand trug, seinen Status in der Gesellschaft.“
500 Kilometer weiter östlich in Nigeria in der Stadt Ikeja, dem Zentrum der Computerindustrie des Landes, sitzt Madu Chikwendu. Er ist Regionalleiter der panafrikanischen Föderation der Filmemacher und arbeitet seit Mitte der 1990er Jahre als Produzent in Nigerias aufstrebender Videofilmindustrie. „Nollywood“ produziert jedes Jahr mehr als 1000 Streifen für den nationalen und internationalen Markt. „Das Hauptproblem ist der Vertrieb“, sagt Chikwendu. Vor einem halben Jahr hatte er eine neue Geschäftsidee: Über eine Internetseite verkauft er „die interessantesten drei Minuten eines Films“ als eine Art visuellen Klingelton an Handybesitzer. Damit ist er Teil einer Vermarktungskette, die Filmemacher, Mobilfunkfirmen und die Besitzer der Internet-Plattform umfasst. Der Gewinn für alle Beteiligten liegt schon jetzt bei 15.000 US-Dollar im Monat.
Chikwendu und Cedi sind Unternehmer in einem Wirtschaftszweig, dessen entwicklungspolitisches Potenzial zunehmend ins Blickfeld gerät: den so genannten „creative industries“. Zählt man neben der klassischen Kunst auch Branchen wie Medien, Design und Kunsthandwerk dazu, ergeben sich beträchtliche Wachstumsraten. Der Anteil der Güter und Dienstleistungen der kreativen Industrien am Welthandel wuchs zwischen 2000 und 2005 jährlich im Durchschnitt um 8,7 Prozent und lag 2005 mit 424,4 Milliarden US-Dollar bei 3,4 Prozent. Das geht aus dem „Creative Economy Report 2008“ hervor, den die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) zusammen mit anderen UN-Organisationen im April veröffentlicht hat. In der Studie werden erstmals Daten zum Handel mit kreativen Gütern und Dienstleistungen weltweit in einem vergleichenden Überblick zusammengestellt.
Von dem Wachstum profitieren vor allem die Industrieländer, aber auch Länder in Asien und im Mittleren Osten nutzen den Boom. Mit einem Anteil von 18,3 Prozent war China 2005 weltweit noch vor Italien und den Vereinigten Staaten der größte Exporteur kreativer Güter. Der Anteil der restlichen Entwicklungsländer lag bei 22 Prozent. Die weit gefasste und nicht unumstrittene UNCTAD-Definition der „creative industries“ umschließt vier Bereiche: Kulturerbe wie traditionelle Feste, Kunsthandwerk, Museen und Denkmäler; bildende und darstellende Künste; Medien; sowie Design, etwa Innendekoration, Schmuck, Modeaccessoires und kreative Dienstleistungen, darunter Architektur und Werbung.
Kreative Industrien verwandeln die kulturellen Traditionen eines Landes in marktfähige Produkte und Dienstleistungen und integrieren moderne Technologie in die Herstellung und den Vertrieb. Ein Beispiel hierfür sind die Karnevaltraditionen in Lateinamerika und der Karibik: traditionelle Rituale, lokale und internationale Musiktrends, Tanz, Theater, Mode und Geschäft verschmelzen jährlich zu einem neu gestalteten Event, das zugleich kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung hat.
Die UNCTAD setzt sich dafür ein, die Dynamik des kreativen Sektors entwicklungspolitisch nutzbar zu machen. „Die kreativen Industrien befinden sich an der Schnittstelle von Kunst, Kultur, Wirtschaft und Technologie“, sagt Programmleiterin Edna dos Santos. „Wenn wir sie stärken wollen, müssen wir auf mehreren Ebenen vorgehen. Die internationale Handelspolitik ist genauso gefragt wie die nationale Industrie- und Technologiepolitik. Kultur und Bildung spielen ebenso eine Rolle wie der Tourismus und die Stadt- und Regionalplanung.“ Die Autoren der Studie schlagen unter anderem vor, staatliche und private Akteure der Kulturindustrien besser zu vernetzen und die relevanten Politikfelder stärker zu koordinieren; außerdem das ökonomische Potential kreativer Branchen in einzelnen Ländern genauer zu analysieren, kleine und mittlere Unternehmer durch Finanzierungs- und Ausbildungshilfen zu unterstützen und die Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte zu sichern. „Es lohnt sich, kreative Industrien zu unterstützen. Das fördert die Integration nationaler Ökonomien in den Weltmarkt, schafft Arbeitsplätze und stärkt gleichzeitig die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“, sagt Edna dos Santos. „Ökonomische und kulturelle Entwicklung sind nicht voneinander unabhängig. Sie gehen Hand in Hand.“
Künstlerische Traditionen erhalten
Die Botschaft der UNCTAD-Studie ist gerade für afrikanische Länder wichtig. Ihr Anteil am weltweiten Handel mit kreativen Gütern betrug 2005 mit 1,7 Milliarden US-Dollar zwar nur 0,4 Prozent. Er hat sich aber in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt und ist vermutlich höher, wenn man Probleme der statistischen Erfassung berücksichtigt. Zentren der kreativen Industrien liegen in Dakar und Kairo, Lagos und Kapstadt. Zu den größten Exporteuren zählen Südafrika, Namibia, Tunesien, Marokko und Kenia. 2005 verabschiedeten afrikanische Kulturminister den „Nairobi Action Plan on Cultural Industries in Africa“. Doch öffentliche Kulturinstitutionen sind in vielen afrikanischen Ländern schwach und unterfinanziert. Ihr Hauptaugenmerk liegt oft auf dem Erhalt des kulturellen Erbes.
„Wenn Menschen arm sind, fragen sie sich zuerst, wie sie ihre Mägen füllen können. Sie glauben nicht, dass man auch von der Kunst satt werden kann“, sagt Ablade Glover. Der angesehene Maler und Kunstprofessor aus Ghana leitet die Artist Alliance, eine museumsartige Galerie direkt an der Küste in Accra. Das Angebot ist überwältigend: Bilder zeitgenössischer Maler, nach traditionell ghanaischer Art gewebte Kente-Stoffe, antike Skulpturen, moderne Möbel im afrikanischen Design. Die Galerie strotzt vor Gestaltungskraft und Ideenreichtum. Die Originalität der afrikanischen Produkte stellt einen komparativen Vorteil dar, der auch von Kleinstunternehmen genutzt werden kann. „Die Leute auf dem Land kennen noch die künstlerischen Dorftraditionen. Jedes Mädchen weiß, wie man wunderschöne Töpfe herstellt“, erklärt Glover.
Der Weg vom Dorfhandel zum Weltmarkt ist allerdings weit. Die Hersteller kreativer Güter kämpfen mit den gleichen Problemen, die auch andere afrikanische Wirtschaftszweige plagen: schlechte Infrastruktur, wenig Zugriff auf Kapital und innovative Technologie, erdrückende Weltmarktkonkurrenz und unzureichende Vermarktung. Hinzu kommen besondere Schwierigkeiten. Im Musikgeschäft beispielsweise dominieren globale Firmen die Vertriebswege. Ein Großteil der Einkünfte erfolgreicher Musiker landet daher oft nicht in den Herkunftsländern. Raubkopien und die Missachtung von Copyrights sind weitere Hürden für Kunstschaffende in der Musik- und Filmindustrie. „Die nigerianische Filmindustrie verliert weltweit 500 Millionen US-Dollar durch Piraterie. Wir kämpfen sogar darum, dass Fernsehanstalten in unseren Nachbarländern für die Senderechte unserer Filme bezahlen“, schimpft Madu Chikwendu aus Nigeria.
Die Brücke vom lokalen zum globalen Markt lässt sich zum Beispiel durch geschicktes Marketing bauen: Das International Trade Center (ITC) von UNCTAD und der Welthandelsorganisation WTO finanziert ein Programm, das afrikanische Hersteller von ökologisch und sozial verträglich produzierter Mode mit internationalen Firmen vernetzt. Gleichzeitig erhalten die Produzenten, darunter Frauengruppen in Uganda und Kenia, Hilfe bei der Produktentwicklung und Qualitätssicherung. Der Markt für so genannte „ethische Mode“ wächst schnell. „Das ist inzwischen der aufregendste Teil der Londoner Fashion Week. Viele bekannte Modemacher sind auf den Zug aufgesprungen“, sagt Tamsin Lejeune vom Ethical Fashion Forum in London.
Produkte der afrikanischen Kulturindustrie werden international immer beliebter
Der ghanaische Modedesigner Kofi Ansah sieht den Trend hingegen kritisch. „Das ist zu sehr Nischenproduktion und hübsche PR. Ich will eine textile Massenproduktion in Ghana aufbauen, technisches Know-how mit unserem natürlichen Talent für Mode verbinden und für den Mainstream wettbewerbsfähig werden.“ Andere Stimmen warnen davor, afrikanische Kulturformen ausschließlich aus der kommerziellen Perspektive zu betrachten. „Die Leute in Afrika singen und tanzen nicht, weil sie Teil der Unterhaltungsindustrie sind, sondern weil wir auf diese Weise ausdrücken, wer wir sind“, erklärt Bience Gawanas, die Kommissarin für soziale und kulturelle Angelegenheiten der Afrikanischen Union. „Jedes Lied und jeder Tanz hat eine besondere Bedeutung, die wir lebendig halten sollten.“
Wirtschaftsförderung für kreative Industrien ersetzt weder Kulturförderung noch Kunsterziehung an Schulen. Umgekehrt kann eine kulturfreundliche Politik und Gesellschaft wichtige Impulse für die Entwicklung kreativer Industrien geben. „ Ein Teil der Profite aus kreativen Industrien könnte dazu verwendet werden, den kulturellen Reichtum der Länder zu erhalten“, schlägt die ITC-Direktorin Patricia Francis vor.
Nicht zu übersehen ist jedenfalls, dass Produkte der afrikanischen Kulturindustrie, von André Hellers Afrika-Show bis zum sogenannten Ethno-Trend in der Mode, international immer beliebter werden. Afrikanische Künstler und Produzenten müssen diese Popularität ökonomisch nutzen, sonst werden es mit Sicherheit andere an ihrer Stelle tun. Für Kofi Ansah ist klar: „Eine gute Idee steht niemals still. Wenn sie erst mal da ist, kommt jemand vorbei und rennt damit los.“
Griet Newiger-Addy ist Politikwissenschaftlerin und arbeitet als freie Autorin und als Consultant in Accra.
welt-sichten 6-2008