Wer redet, wird vom Job abgezogen

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Vor dem Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York sitzt dieses Fabelwesen als Wächter für Frieden und Sicherheit, ein Geschenk der Regierung von Oaxaca (Mexiko). Doch wenn es darum geht, Korruption und Misswirtschaft in den eigenen Reihen zu verfolgen, fletscht die UN selbst die Zähne gegen Whistleblower.
Rechenschaftspflicht bei der Klimafinanzierung
In Klimaschutzprojekten des UN-Entwicklungsprogramms gibt es Misswirtschaft. Wer darauf hinweist, muss mit Nachteilen rechnen.

Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Development Programme, UNDP) sieht sich Vorwürfen ausgesetzt, es habe Missstände bei einem Programm in Russland nicht genügend untersucht. Es geht um die Einführung standardisierter Ökolabel zur Information der Verbraucher (Standards and Labels project), das die Energieeffizienz in Russland erhöhen sollte. Finanziert hat es die Globale Umweltfazilität, einer der wichtigsten Klimafonds der Vereinten Nationen (UN). Das UNDP hat sich im März von einem Mitarbeiter getrennt, der nach eigener Aussage wiederholt Alarm wegen des 7 Millionen US-Dollar umfassenden Programms geschlagen hatte. 

Die abschließende Evaluierung des Ökolabel-Projekts ist 2017 zu dem Ergebnis gekommen, dass es keinerlei Beitrag zur Reduzierung der Treibhausgase leiste. Recherchen der Zeitschrift „Foreign Policy“ zu dem Projekt haben 2019 ergeben, dass „im Verlauf von fast einem Jahrzehnt annähernd ein Dutzend ehemalige UN-Angestellte, Auditoren und Berater vor Misswirtschaft und Veruntreuung in Höhe von Millionen Dollar warnten“. Im März 2021 ging dem UNDP dann ein anonymes Memo zu, das die Einnahmen und Ausgaben des Projekts auflistet. Es stellt fest, dass Aufträge im Umfang von rund 4 Millionen US-Dollar an Freunde und Familienmitglieder von Verantwortlichen vergeben worden waren, und hält fest, dass bereits 2013 auf möglichen Betrug hingewiesen worden war. Nun hat das UNDP John O’Brien gekündigt, dem früheren technischen Berater für die Region, der als Whistle­blower wiederholt Alarm geschlagen hatte.

Das UNDP vergibt die Mittel für 45 Prozent der Projekte der Globalen Umweltfazilität (Global Environment Facility, GEF) und für 10 Prozent der Projekte des Grünen Klimafonds (Green Climate Fund, GCF), dem zweitwichtigsten Fonds im System der Vereinten Nationen. Eine genauere Betrachtung der Mechanismen zur Korruptionsvermeidung, die auf das Ökolabel-Projekt angewendet wurden, lässt vermuten, dass es im UNDP an Rechenschaftspflicht mangelt. 

Kompliziertes Vergabesystem mit vielen beteiligten Stellen

Mit wachsendem Geldbedarf für Klimaprogramme nimmt auch die Komplexität des von den UN angeführten Systems der Klimafinanzierung zu – und auch die Probleme, um sicherzustellen, dass das Geld angemessen ausgegeben wird. „Die Vergabe von Klimamitteln folgt einem komplizierten System mit vielen beteiligten Stellen“, sagt Timmons Roberts, Professor für Umweltstudien und Soziologie an der Brown University in Rhode Island, ein Experte für die Finanzierungswege von Klimaprojekten. „Es gibt in diesem Bereich sehr wenig Koordination. Selbst über die Finanzierungsversprechen gibt es wenig verlässliche Daten; noch dürftiger sind Zahlen darüber, was in Entwicklungsländern ankommt und wie es dort eingesetzt wird.“

Einer der wenigen Fixpunkte dessen, was Roberts als das „Nichtsystem“ der Klimafinanzierung bezeichnet, bildet die UN-Klimarahmenkonvention von 1992. Darunter haben die Globale Umweltfazilität und der Grüne Klimafonds den Auftrag, Mittel für Klimaschutz und Klima-Anpassung aufzutreiben und zu verteilen. Die Umweltfazilität GEF wurde 1991 als Teil der Weltbank gegründet, die nach wie vor Verwaltungsarbeit für die mittlerweile autonom arbeitende Organisation übernimmt. Der Klimafonds GCF wurde 2011 eingerichtet und arbeitet unabhängig von Südkorea aus. Beide Fonds setzen Projekte über außenstehende Partner um, üblicherweise als „Durchführungsorganisationen“ bezeichnet.

„Der Bedarf liegt in der Größenordnung von einigen Billionen Dollar“, wenn das Ziel erreicht werden soll, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, sagt Charlene Watson. „Die Entscheidungsprozesse, die hinter der Finanzierung von Klimavorhaben stehen, erfordern größte Effizienz“, meint die Wissenschaftlerin, die am Overseas Development Institute (ODI) arbeitet, einer britischen Denkfabrik, die auch zu Klimarisiken und Klimaresilienz forscht. Der Nachweis, dass bisher ausgegebene Mittel Wirkung zeigen, ist laut Watson von entscheidender Bedeutung dafür, „die Billionen loszueisen“, die der Privatsektor in den Klimaschutz investieren kann.

Missstände trotz Warnungen

Autorin

Anna Bianca Roach

ist investigative Journalistin in New York. Sie hat in Kanada, Armenien und den Vereinigten Staaten gearbeitet und schreibt für OpenDemocracy, die Washington Post und die Deutsche Welle.
Die Probleme des UN-Entwicklungsprogramms mit dem Ökolabel-Projekt sind gut dokumentiert, auch dank des Artikels von „Foreign Policy“ aus dem Jahr 2019 zu Vorwürfen der Korruption. Der 2021 veröffentlichte Abschlussbericht der UNDP zu diesem Projekt hält fest, dass die ernsten Probleme bereits zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels in „Foreign Policy“ bekannt waren. „Es kam nicht aus Mangel an Warnungen zu Missständen, sondern trotz solcher Warnungen“, schreibt sein Verfasser Amitav Rath, inzwischen Leiter eines Unternehmens, das auf die Evaluierung und Implementierung von Klimaprogrammen spezialisiert ist. Mangel an Sorgfalt und die „erstaunliche Gleichgültigkeit einiger Einzelpersonen“ hätten den Fortbestand von Interessenkonflikten ermöglicht.

Rath merkt auch an, dass Untersuchungen zu Vorwürfen von Whistleblowern, sie seien vom UNDP gemaßregelt worden, nur „schleppend“ vorankommen und insgesamt „unbefriedigend“ verlaufen. „Mir wurde nach vier Jahren Untersuchung gekündigt“, sagt O’Brien, der technische Berater, dessen Vertrag mit dem UNDP im März 2022 beendet wurde. Begründet wurde dies mit einem Interessenkonflikt, da er Aktien eines neuseeländischen Unternehmens besitze, außerdem soll er über seinen Computer unangemessenes Material aufgerufen haben. O‘Brien weist die Anschuldigungen zurück und erklärt, als er 2009 beim UNDP angefangen habe und seine Beteiligung an dem Unternehmen gemeldet habe, sei ihm gesagt worden, es bestehe kein Interessenkonflikt. Ein UNDP-Sprecher erklärte auf Anfrage, die Trennung von O‘Brien sei „keine Vergeltungsmaßnahme und hat nichts damit zu tun, dass er Bedenken zum Ökolabel-Projekt geäußert hat“.

Das anonyme Memo, das dem UNDP im März 2021 zugespielt wurde, hat den Titel „Weitverbreitetes Fehlverhalten 2“. Es listet Fehlverhalten in mindestens 18 der von der Globalen Umweltfazilität und dem Grünen Klimafonds finanzierten und vom UNDP betreuten Projekte in Osteuropa und Zentralasien auf. Den Schilderungen zufolge herrschte dort eine „Kultur der Verschleierung von Betrug“, zudem wurde eine „unrealistisch hohe Messlatte“ für den Nachweis von Fehlverhalten angelegt, so dass kaum Konsequenzen ergriffen wurden.

Ferner stellt das Memo fest, dass Whistleblower üblicherweise von den fraglichen Projekten abgezogen wurden, statt dass man ihnen Gehör schenkte. Es zählt neun Länder auf, in denen UNDP-Angestellte entweder trotz erkannter Interessenkonflikte beschäftigt wurden oder einfach entlassen wurden, wenn sie die Aufmerksamkeit auf problematische Finanzvorgänge lenkten. Das Memo stützt sich im Wesentlichen auf „eine wichtige Whistleblower-Quelle“. Es erwähnt, es scheine „ein Netzwerk von Personen innerhalb des UNDP (auf internationaler Ebene) zu geben, das sich bei Betrug und dessen Vertuschung gegenseitig unterstützt“. Wo es möglich war, hat „welt-sichten“ die Information aus dem Memo durch Abgleich mit Daten aus öffentlich zugänglichen Dokumenten überprüft.

Kultur der Angst

„Whistleblower sind das wichtigste Element bei der Bekämpfung von Betrug und Korruption“, sagt O‘Brien. „Aber wer den Mund aufmacht, bekommt keine Unterstützung.“ Die Aussicht, den Job zu verlieren, habe eine „Kultur der Angst“ unter denen erzeugt, die gegen Missstände vorzugehen versuchen.

Ben Swanson, der stellvertretende Generalsekretär des Amts für interne Aufsicht (Office of Internal Oversight Services, OIOS), räumt in einem als Tondokument vorliegenden Gespräch ein, dass von 24 Meldungen von Whistleblowern, die sein Büro zwischen 2016 und 2018 erreichten, lediglich zwei Disziplinarmaßnahmen zur Folge hatten. „Die ganzen Bestrafungsmaßnahmen haben das Potenzial, uns riesige Probleme zu bereiten“, erläutert Swanson. Einige Fälle seien „schrecklich kompliziert“ und „lohnten die Mühe der Untersuchung nicht“. In der Aufzeichnung gibt Swanson auch an, sein Amt habe die Absicht, „der UN die Amerikaner vom Hals zu halten, also dafür zu sorgen, dass sie ihre Beiträge nicht reduzieren“.

Auf solche Vorwürfe angesprochen, hat die Pressestelle des UNDP am 24. Januar 2022 per E-Mail geantwortet, die Organisation habe „ein umfassendes Audit durch das unabhängige Office of Audit and Investigation des UNDP durchlaufen“. Die Portfolios der GEF und des GCF seien von externen Audit-Unternehmen geprüft worden. Die E-Mail erwähnt weiter mehr als 30 Audits auf Länderebene, mehr als 120 auf Projektebene und über 100 Zwischen- und Abschlussberichte zu Projekten – Berichte wie den, der gefunden hat, dass das Ökolabel-Projekt keine Verringerung der Treibhausgasemissionen erreiche. „Das UNDP ist zuversichtlich, dass die entschlossenen Maßnahmen, die wir ergreifen, unsere Position als engagierte Partner der Globalen Umweltfazilität und des Globalen Klimafonds weiter stärken werden“, hieß es in der E-Mail-Antwort. Eine Frage über das Memo „Weit verbreitetes Fehlverhalten 2“ ließ die Pressestelle unbeantwortet.

Selbstregulierung funktioniert nicht

Peter Gallo, ein früherer Ermittler des Amts für interne Aufsichtsdienste der UN, meint dazu: „Das Problem ist, dass man es der Organisation selbst überlässt, sich zu beaufsichtigen, und wir haben 75 Jahre solide Erfahrung damit, dass solche Selbstregulierung nicht funktioniert.“ Charlene Watson, die am ODI zum Erfolg von Klimaprogrammen arbeitet, ergänzt: „Jeder, der in diesem Bereich arbeitet, weiß, dass es Fehler und Missstände gibt. Wir sagen seit zehn Jahren, dass das so nicht funktionieren kann … aber geändert hat sich nichts.“

Ein mögliches Modell zur Verminderung des Korruptionsrisikos sieht Joe Thwaites vom World Resources Institute, einer auf Fragen der Nachhaltigkeit spezialisierten Forschungsorganisation, in Projekten mit Direktzugang zu den Fördermitteln des Grünen Klimafonds. Thwaites sagt, die zielten darauf ab, „die Best Practice umzusetzen, Innovation zu fördern und die Regeln zu ändern“. Eine Möglichkeit dazu ist, das Geld des Fonds nicht über Dritte wie den UNDP zu vergeben, sondern direkt an Organisationen in Entwicklungsländern – an staatliche Stellen, nichtstaatliche Organisationen oder Unternehmen.

„Wenn man den Empfängergemeinschaften größeren Einfluss auf die Projekte und die Finanzierung gibt, stellt man fest, dass sie in der Regel ihre eigenen Bedürfnisse viel besser kennen als internationale Organisationen“, sagt Thwaites. Als Beispiel nennt er ein Projekt des GCF in der Mongolei, das von der dort ansässigen XacBank getragen wurde. Nur 15 Monate nach der Bewilligung eines Kredits von 8,7 Millionen US-Dollar konnte dort eine Solaranlage von 10 Megawatt in Betrieb genommen werden – ein bedeutender Schritt auf dem Weg zur Unabhängigkeit vom Energieträger Kohle. „Es ist fantastisch, wie schnell sie das hinbekommen haben“, sagte Thwaites. „Für eine lokale Organisation sind 10 Millionen Dollar, die für ein Entwicklungsprojekt eigentlich keine große Summe sind, eine Menge Geld, und sie wollten es einfach nicht herumliegen lassen.“

Das Geld in lokale Hände geben

Der Grüne Klimafonds arbeitet mit 113 akkreditierten Organisationen zusammen; fast zwei Drittel davon sind auf lokaler oder regionaler Ebene angesiedelt – im Unterschied zu Hilfsorganisationen, die in reichen Ländern sitzen, oder internationalen Organisationen wie dem UNDP. Aber dem Dokument des Grünen Klimafonds über die Ende 2021 vorliegenden Finanzierungsvorschläge lässt sich auch entnehmen, dass lokale Gruppen nur auf 20 Prozent der Gesamtfördersumme zugreifen können.

Organisationen mit direktem Finanzierungszugang sind normalerweise für kleinere Projekte zuständig als die internationalen Fonds, unterliegen laut Thwaites aber dennoch strengeren Rechenschaftspflichten und Vorkehrungen gegen Korruption. Charlene Watson vom ODI erklärte die Art von Fragen an lokale Organisationen, die internationale Klimamittel bekommen wollen: „Wie viel Geld können sie managen? Sind Beschwerdemechanismen für Personen vorgesehen, die vertreten werden sollen?“ Laut Watson sind kleine lokale Organisationen mit solchen Sorgfaltspflichten oft überfordert. „Dennoch führt an ihrer Finanzierung kein Weg vorbei“, sagt sie.

Eine mögliche Lösung wäre zu überdenken, wie viel Risiko man bei verschiedenen Projektträgern toleriert. „Hier besteht derzeit ein Ungleichgewicht. Man müsste gerade die internationalen Organisationen stärker unter die Lupe nehmen“, meint Thwaites. Denn die managen größere Projekte, bei denen es naturgemäß um mehr Geld geht. Vorhaben, die von Organisationen der Entwicklungsländer selbst durchgeführt werden, „sind eher klein und stellen ein geringeres Risiko dar. Selbst wenn etwas schiefgeht, ist der Schaden nicht so groß“. Watson stimmt dem zu: „Wir müssen das Geld unbedingt in lokale Hände geben, das geht viel zu langsam voran.“

Aus dem Englischen von Thomas Wollermann.

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erschienen in Ausgabe 6 / 2022: Afrika schaut auf Europa
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