Klimaschutz darf nicht zur Energie-Apartheid führen

picture alliance / AP Photo/Rebecca Blackwell
Die Folgen des Klimawandels sind - wie hier in Form von Überschwemmungen - weltweit spürbar. Ihnen entgegenzuwirken ist wichtig und richtig, darf aber nicht auf Kosten der Armutsbekämpfung gehen, fordern unsere Autoren.
Armutsbekämpfung
Finanzinstitutionen wie der Internationale Währungsfonds und die Weltbank verlagern ihre Arbeitsschwerpunkte zunehmend von der Armutsbekämpfung auf den Klimaschutz. Die Geberländer wollen das so. Dem Klima bringt das nicht viel und den ärmeren Ländern gegenüber ist es grob ungerecht.

Zu den Hauptaufgaben von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) gehört es, Kredite und Zuschüsse für Entwicklungsprojekte zu vergeben und so armen Ländern zu helfen, Währungskrisen zu überwinden und ihre Finanzen zu stabilisieren. Nun aber wollen die reichen Geberstaaten von den beiden Institutionen etwas anderes: Mehr als auf wirtschaftliche Entwicklung und Armutsbekämpfung sollen sich Weltbank und IWF auf die Reduzierung der CO2-Emissionen konzentrieren. Der IWF schlug deshalb kürzlich die Einrichtung eines 50 Milliarden Dollar schweren Resilience and Sustainability Trust vor, der die Unterstützung von Ländern bei der Bewältigung des Klimawandels von deren Anstrengungen zur Emissionssenkung abhängig machen könnte. Die Weltbank wiederum hat einen Klimaaktionsplan vorgestellt, der alle künftigen Projekte mit dem Pariser Klimaabkommen in Einklang bringen soll. Dazu hat sie bereits ihre Investitionen in Erdgasprojekte stark eingeschränkt und ihre Praxis beendet, in Entwicklungsländern das Erkunden, Erschließen, Fördern oder Transportieren von Erdgas zu finanzieren. 

In ihrem Eifer, die Emissionsziele zu erreichen, verkennen die reichen Länder, dass vor allem die Länder mit hohen und mittleren Einkommen für den Großteil der Treibhausgasemissionen verantwortlich sind und diese senken müssen. In ärmeren Ländern hingegen ist eine Anpassung an die Klimaerwärmung wichtiger, sogar lebensrettend, um ihre Widerstandsfähigkeit zu verbessern. Für solch eine Anpassung braucht es vor allem Investitionen in Wohnraum, Verkehrsmittel, Bildung, Infrastruktur, Wassermanagement und landwirtschaftliche Technologien. Derlei Investitionen in Entwicklung und Armutsbekämpfung waren bisher das gewöhnliche Instrument der Weltbank und anderer Entwicklungsinstitutionen. Indem sie die Finanzierung nun aber auf die Emissionsminderung verlagern, nehmen sie den armen Ländern Geld weg und machen sie so weniger belastbar.

Jeder Dollar, der für die CO2-Reduzierung ausgegeben wird, fehlt in der Bildung und Ernährungssicherheit

Die Verlagerung des Entwicklungsschwerpunkts von der Armut auf das Klima ist ungerecht, ineffektiv und für die Armen der Welt katastrophal. Sie ist ungerecht, weil die reichen Länder die Weltbank und den IWF zwingen, der Armutsbekämpfung weniger Priorität einzuräumen. Dabei ist diese unerlässlich für den Schutz der Entwicklungsländer vor den Klimakatastrophen, die von den Emissionen der reichen Länder verursacht werden. Die Verlagerung ist ineffektiv, weil die armen Länder nur sehr wenig zu den weltweiten Emissionen beitragen. Ihr Anteil wird auch dann gering bleiben, wenn ihr Verbrauch von fossilen Brennstoffen schnell steigt. Und schließlich bedeutet der Kurswechsel eine Katastrophe für die drei Milliarden Menschen, die noch immer mit weniger als 5,50 US-Dollar pro Tag auskommen müssen und die darum kämpfen, dem Elend zu entkommen. Denn jeder Dollar, der für die neue Aufgabe der CO2-Reduzierung ausgegeben wird, steht nicht mehr für Bildung, medizinische Versorgung, Ernährungssicherheit und wichtige Infrastruktur zur Verfügung.

Autoren

Vijaya Ramachandran

Vijaya Ramachandran ist Direktorin für Energie und Entwicklung am Breakthrough Institute in Oakland, Kalifornien.

Arthur Baker

Arthur Baker ist stellvertretender Direktor des Development Innovation Lab der University of Chicago.
Die reichen Länder, die in IWF und Weltbank Mehrheiten haben, sind dafür verantwortlich, dass die Armutsbekämpfung in den Hintergrund rückt. So fordert die US-Regierung, dass die Weltbank eine Vorreiterrolle bei der Senkung der Emissionen spielen solle. Vorschläge anderer europäischer Staaten erwähnen zwar die Anpassung an den Klimawandel, zeigen aber wenig Verständnis dafür, dass energieintensive Investitionen in Wohnungsbau, Verkehrsinfrastruktur und landwirtschaftliche Technologien nötig sind, um die Widerstandskraft armer Länder zu stärken. Denn Resilienz geht Hand in Hand mit wirtschaftlicher Entwicklung und höheren Einkommen einher, die wiederum die Verfügbarkeit von billiger, zuverlässig und reichlich vorhandener Energie voraussetzen.

Die Priorisierung der CO2-Reduktion über Anpassung und Armutsbekämpfung in Entwicklungs- und Schwellenländern stellt – zum Nachteil der Armen – die Beziehung zwischen Klimawandel und Entwicklung auf den Kopf. Es ist kaum zu leugnen, dass die Ärmsten der Welt am wenigsten gegen die Folgen der Erderwärmung ausrichten können. Reiche Länder dagegen haben mehr Mittel zur Verfügung, ihre Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Nichts veranschaulicht dies besser als der rasche Rückgang der Todesfälle durch wetterbedingte Ereignisse wie Überschwemmungen und Stürme in den Industrieländern. Dort leben die Menschen eben nicht mehr in Slums und Hütten; Meere und Flüsse sind weitgehend durch Deiche eingedämmt, Krankenhäuser verfügen zuverlässig über Strom und Notdienste sind zur Stelle, wenn sie gebraucht werden. Wenn Organisationen, die sich angeblich für Entwicklung einsetzen, Mittel von der Klimaresilienz und -anpassung abziehen, um sie für die Reduzierung von Treibhausgasemissionen auszugeben, werden sich die Schäden des Klimawandels für die Armen der Welt noch verschärfen.

Kritik kommt aus dem Globalen Süden

Die Entwicklungsländer lehnen derlei Änderungen entschieden ab. Indem der Westen den afrikanischen Ländern den Klimaschutz aufzwingt, macht er „Afrikas Versuche zunichte, sich aus der Armut zu befreien“, warnte der ugandische Präsident Yoweri Museveni im vergangenen Oktober. Lazarus Chakwera, Präsident von Malawi, erinnerte die reichen Länder daran, dass sie für die Klimakrise verantwortlich sind und den armen Ländern Mittel für die Anpassung zur Verfügung stellen müssen. Der nigerianische Vizepräsident Yemi Osinbajo hat wortgewandt beschrieben, warum ein Verbot der Finanzierung fossiler Brennstoffe für Afrika verheerend wäre.

Und Rose Mutiso, eine kenianische Aktivistin und Wissenschaftlerin, sagte in einem TED-Talk, der 1,4 Millionen Mal angesehen wurde, dass der Zwang zur Emissionsreduktion für die Armen der Welt die wirtschaftliche Ungleichheit vergrößert und einer „Energie-Apartheid“ gleichkommt. Sie fuhr fort: „Bei meiner Arbeit im Bereich globale Energie und Entwicklung höre ich oft die Aussage: Wegen des Klimas können wir es uns nicht leisten, dass alle Menschen unseren Lebensstil leben. Diese Sichtweise ist schlimmer als herablassend. Sie ist eine Form von Rassismus und führt zu einem zweigeteilten globalen Energiesystem mit Energieüberfluss für die Reichen und winzigen Solarlampen für die Afrikaner.“

Um den Klimawandel zu bekämpfen, müssen die reichen Länder ihre Emissionen reduzieren und gleichzeitig die ärmsten Länder dabei unterstützen, die Armut zu verringern und widerstandsfähiger zu werden. Die ärmsten Länder, die berechtigt sind, zinsgünstige Kredite in Anspruch zu nehmen, sollten nicht gezwungen sein, sich auf die Emissionsreduzierung zu konzentrieren, um sich weiterhin für Kredite zu qualifizieren. Die Klimamaßnahmen in diesen Ländern sollten sich auf die Armutsbekämpfung, einen besseren Zugang zu Energie und die Stärkung der Resilienz durch Investitionen in Wohnen, Transport, Infrastruktur und landwirtschaftliche Technologien konzentrieren.

Aus dem Englischen von Luise Sonntag. 

Der Beitrag ist zuerst in der Zeitschrift „Foreign Policy“ erschienen.

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erschienen in Ausgabe 6 / 2022: Afrika schaut auf Europa
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