Viele Initiativen, wenig Koordination

Die Welternährungskrise legt Defizite der internationalen Steuerung im Ernährungsbereich offen

Von Michael Windfuhr

Der Anstieg der Nahrungsmittelpreise hat neue Initiativen zur Hungerbekämpfung und Landwirtschaftsförderung ausgelöst. Doch sie sind kaum koordiniert, weil die zuständige UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO in der Krise steckt. Deren Konkurrenten innerhalb der UN sowie private Stiftungen und Konzerne nutzen das, um ihren Aufgabenbereich auszuweiten. Es hilft aber wenig, in der Ernährungspolitik das Rad immer wieder neu zu erfinden.

Das Thema Welternährung ist endlich zurück auf der internationalen Tagesordnung. Erstaunlich lange wurden Hunger, Mangelernährung und ländliche Entwicklung nur am Rande der Entwicklungspolitik behandelt. Gut drei Jahrzehnte lang gingen die Investitionen in ländliche Entwicklung und Agrarentwicklung in Entwicklungsländern zurück. Der Anteil des Agrarbereichs an der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit sank von 18 Prozent 1978 auf einen historischen Tiefstand von 3 Prozent 2007. Erst als die Ernährungskrise mit dem scharfen Preisanstieg für Lebensmittel in den Städten spürbar wurde, wurde sie wieder zum globalen Thema.

In verschiedenen Ländern ist inzwischen eine erfreuliche Trendwende zu beobachten. Im Jahr 2003 hatten die afrikanischen Regierungen bei einem Treffen der Afrikanischen Union in Maputo beschlossen, die Ausgaben für ländliche Entwicklung auf zehn Prozent der verfügbaren Haushaltsmittel zu steigern. Noch sind viele Regierungen weit von diesem Ziel entfernt, aber einige wie in Benin oder Mali haben inzwischen die Zielmarke überschritten. Die Geberstaaten haben eine Plattform gegründet, die für mehr Investitionen in ländliche Regionen werben soll. Die Weltbank hat ihren Weltentwicklungsbericht 2008 dem Thema Agrarentwicklung gewidmet. Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hat beim Gipfel zur Welternährungskrise in Rom im Juni zugesagt, 500 Millionen Euro für ländliche Entwicklung zusätzlich bereit zu stellen, die sie durch Umschichtungen im Haushalt ihres Ministeriums gewinnen will. Die Versprechen müssen erst noch umgesetzt werden, aber viele Anzeichen deuten darauf hin, dass ländliche Entwicklung und Hungerbekämpfung wieder ein stärkeres Gewicht in der Entwicklungspolitik erhalten.

Die aktuelle Welternährungskrise hat zugleich offen gelegt, wie schwach die internationale Steuerung (die „Governance“) im Bereich Welternährung und Weltagrarentwicklung ist. Keine der drei damit befassten Sonderorganisationen der Vereinten Nationen (UN) in Rom – die Welternährungsorganisation (FAO), das Welternährungsprogramm (WFP) und der Internationale Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) – vermochte das Management der Welternährungskrise zu übernehmen. Statt dessen haben die Chefs aller Unter- und Sonderorganisationen der UN im April 2008 eine eigene „Hochrangige Arbeitsgruppe zur Globalen Nahrungskrise“ (HLTF) gegründet. Ihre Koordination  wurde dem Koordinator der Vereinten Nationen für humanitäre Angelegenheiten, John Holmes, übertragen.

Die Einrichtung der HLTF zeigt, dass der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon die Ernährungskrise sehr ernst nimmt und den Umgang damit zur Chefsache gemacht hat. Die FAO, das WFP und der IFAD sind in die HLTF eingebunden. Dennoch kommt die Frage auf, warum das existierende Netz von internationalen Organisationen unter der Leitung der FAO nicht in der Lage war oder nicht beauftragt wurde, das Krisenmanagement für die UN zu übernehmen.

Dies ist auch ein Ausdruck dafür, dass die FAO selbst in einer Krise steckt. Sie befindet sich mitten in einem Reformprozess, nachdem ihr eine unabhängige Evaluierung miserable Noten gegeben hat: Der 2007 abgeschlossene Bericht, der auf der Homepage der FAO einsehbar ist, beschreibt deren Zustand als sehr kritisch („at the brink“). Die FAO werde zwar in bestimmten Bereichen dringend benötigt, weil sie wichtige öffentliche Dienstleistungen erbringe – etwa beim Setzen internationaler Standards, beim Beobachten von Welternährungstrends und beim Wissensmanagement in Bezug auf ländliche Entwicklung. Aber gleichzeitig attestiert die Evaluierung der FAO, dass sie miserabel geführt werde und in der Arbeit vor Ort in den Entwicklungsländer gravierende Schwächen habe. Die weitreichenden Reformvorschläge des Berichts werden derzeit diskutiert, die FAO-Konferenz im November soll über weitere Reformschritte befinden. Inzwischen sinken seit Jahren die regulären Finanzmittel, die der FAO jährlich von den Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt werden.

Für die Stärkung der FAO war es sicherlich nicht hilfreich, dass diese seit Dezember für ein Sonderprogramm geworben hat, mit dessen Hilfe sie Saatgut und Düngemittel an Kleinbauern verteilen wollte. Angesichts der schlechten Evaluierungsergebnisse für die praktische Arbeit vor Ort hat die Organisation in der Krise genau das Falsche angeboten: Programme vor Ort statt Koordinierung der UN. So erstaunt es auch nicht weiter, dass bei den Geldzusagen, die auf dem Krisengipfel im Juni in Rom gemacht wurden, die FAO weitgehend leer ausging. Das WFP dagegen hat die Krise genutzt, um sich als verlässlicher Notfallmanager zu präsentieren, und erhält erhebliche zusätzliche Mittel. Der IFAD hält sich – einer Evaluierung folgend – an die Rolle einer Finanzierungsinstitution, die sich auf Kleinbauern konzentriert. Mehrfach hat der IFAD bereits Foren durchgeführt, zu denen alle führenden internationalen Bauernorganisationen eingeladen wurden. Konsequent verstärkt der Fonds den Dialog mit seinen Zielgruppen.

Insgesamt fehlt den UN ein Kopf im Ernährungsbereich. Es ist zu hoffen, dass die FAO-Reform Verbesserungen bringt und die Organisation im Bereich der Frühwarnung, bei der Politikberatung und bei der Gesamtsteuerung eine zentrale Rolle bekommt. Denn sonst werden die anderen Beteiligten wichtige Aufgaben der FAO übernehmen und langfristig wäre eine Zerfaserung der Reaktion auf die Welternährungskrise zu befürchten.

Zum Beispiel wurde vor dem G8-Gipfel in Japan im Juli ernsthaft diskutiert, Getreidenotlager aufzubauen, obwohl bereits die Konvention über Nahrungsmittelhilfe (Food Aid Convention) die Bereitstellung von Nahrungsmitteln in Ernährungskrisen verpflichtend regelt. Die drängenden Aufgaben im Hinblick auf die Welternährung sind zu groß, als dass man Zeit hätte, immer wieder das Rad neu zu erfinden. Statt dessen muss man die bestehenden Organisationen für die Bearbeitung der sich verändernden Probleme fit machen.

Zudem drängt die Weltbank darauf, auch im Agrarbereich eine Vorreiterrolle im UN-System zu übernehmen. Schon jetzt stellen private philanthropische Organisationen wie die Bill und Melinda Gates-Stiftung (BMGF) fast mehr Mittel zur Verfügung als die FAO. Die Stiftung will zunächst in Zusammenarbeit unter anderem mit dem Saatgutkonzern Monsanto eine afrikaweite Saatgutversorgung aufbauen. Und die neue Allianz für eine grüne Revolution in Afrika wurde vom größten Düngemittelkonzern der Welt einberufen, Yara International. Zwar ist erfreulich, dass zusätzlich zu öffentlichen auch private Mittel gefunden werden können. Aber umso wichtiger ist es sicherzustellen, dass sie für die zentralen Aufgaben der Hungerbekämpfung genutzt und nicht interessengeleitet eingesetzt werden.

Im Hintergrund schwelt ein Streit über die besten Konzepte zur Förderung ländlicher Entwicklung. Die Weltbank und auch private Akteure wollen die Förderung vor allem auf wettbewerbsfähige bäuerliche Einheiten konzentrieren. So empfiehlt die Weltbank im neuen Weltentwicklungsbericht, konkurrenzfähige Agrarproduzenten zu fördern und den Teil der Subsistenzlandwirtschaft, der relativ gut mit Ressourcen ausgestattet ist, mit sozialen Transferprogrammen zu stabilisieren. Andere Subsistenzbauern sollen aber die ländlichen Regionen verlassen.

Nichtstaatliche Organisationen (NGOs) wie „Brot für die Welt“ fordern demgegenüber, die jahrzehntelange Vernachlässigung ländlicher Regionen zu beenden. Die meisten Kleinbauernbetriebe, gerade auch die von Frauen geführten, wurden noch nie gefördert. Sie leiden oft unter unsicheren Pachtverhältnissen und haben keinen Zugang zu Krediten, Agrarberatung oder Märkten. Die wenigen staatlichen Institutionen, die es im ländlichen Raum früher gab – etwa Vermarktungsbehörden, die die Ernte bei den Bauern abholten, oder tierärztliche Dienste –, wurden in den vergangenen Jahrzehnten im Rahmen der Strukturanpassungsprogramme eingestellt oder privatisiert, so dass in ländlichen Regionen oft nur noch ein Skelett des Staates zu finden ist. Eine private Versorgung mit patentiertem Saatgut kann zusätzliche Abhängigkeiten schaffen und die Produktionskosten langfristig steigen lassen. Viele NGOs fordern deshalb, benachteiligte Produzenten gezielt zu unterstützen – etwa mit Subventionen und einer entsprechenden handelspolitischen Absicherung.

Unterstützung haben diese Forderungen zuletzt vom Weltagrarrat erhalten. Die dort versammelten Wissenschaftler sehen ein enormes Wachstumspotential für landwirtschaftliche Erträge, wenn besonders Kleinbauern gefördert werden. Das hat die Empfehlungen im neuen umfassenden Aktionsrahmen (Comprehensive Framework for Action) beeinflusst, den die von Ban Ki-moon einberufene HLTF am 18. Juli der UN-Generalversammlung übergeben hat – auch wenn noch große Widersprüche zum handelspolitischen Teil des Papiers bestehen.

Es ist nicht wünschenswert, dass ein permanenter ideologischer Streit eine angemessene Reaktion auf die Welternährungsprobleme behindert. Unterstützung für leistungsfähige Betriebe sollte natürlich möglich sein. Dennoch ist es wichtig, dass die Förderung für ländliche Entwicklung klar auf Hungerbekämpfung und besonders benachteiligte Gruppen ausgerichtet wird. Dies ist die vorrangige Aufgabe der UN und dazu sollten deren Institutionen ein ausreichendes Mandat und genug Geld bekommen.

Das Recht auf Nahrung bietet hier einen guten Orientierungsrahmen. Es verpflichtet Staaten, keine Maßnahmen zu ergreifen, die zu Hunger führen, und ihre eigene Politik und ihre Haushaltsmittel auf die besonders Betroffenen zu konzentrieren. Diese müssen auch Partizipations- und Beschwerderechte erhalten. Die 158 Staaten, die den Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte von 1966 ratifiziert haben, sind zur Beachtung des Rechts auf Nahrung verpflichtet. Zudem haben Ende 2004 alle 187 FAO-Mitgliedstaaten freiwillige Leitlinien zur Umsetzung des Rechts auf Nahrung verabschiedet und sich damit zur Orientierung an den Grundprinzipien dieses Rechts bekannt.

Zu einer neuen „Steuerungsstruktur für Ernährungssicherheit“ (food security governance) wird es auf der Ebene der UN nur kommen, wenn einzelne Mitglieder wie etwa Deutschland eine Führungsrolle mit Blick auf das Gesamtsystem übernehmen. Derzeit nehmen zu viele Staaten eine Schwächung der bestehenden Organisationen billigend in Kauf, ohne zu überlegen, was ohne Koordination seitens der UN passiert. Die Bundesregierung ist in einzelnen Bereichen bereits tätig: Das Landwirtschaftsministerium (BMELV) beteiligt sich daran, für die FAO ein gutes Reformpaket zu schnüren; das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) kümmert sich um die Neuverhandlungen der Food Aid Convention, um diese in eine leistungsfähigere neue Konvention zu überführen. Es wäre sehr wünschenswert, dass das Thema zur Chefsache wird und Deutschland beziehungsweise die Europäische Union sich stärker um eine neue Ernährungssicherungsarchitektur in den UN kümmert.

Michael Windfuhr ist Leiter des Teams Menschenrechte bei „Brot für die Welt“.

 

Netzwerk will afrikanische Regierungen in die Pflicht nehmen

Als Reaktion auf die Welternährungskrise haben Bauern- und Menschenrechtsgruppen sowie soziale Organisationen aus 18 Ländern Afrikas Mitte Juli ein afrikanisches Netzwerk für das Recht auf Nahrung gegründet. „Wir wollen als afrikanische Zivilgesellschaft unseren Regierungen deutlich machen, dass armutsorientierte Entwicklung nur möglich ist, wenn elementare Menschenrechte beachtet werden“, unterstrich die Vorsitzende des Netzwerks, Huguette Akplogan Dossa aus Benin. Die afrikanischen Staaten sollen in die Pflicht genommen werden, sich selbst mehr um Hungernde und Arme zu kümmern. Skeptisch äußerte sich Dossa über die Ankündigungen der Vereinten Nationen, der Weltbank und der Gebernationen, die Landwirtschaft in Afrika wieder stärker zu fördern. Die Lage könne sich verschlechtern, wenn die „ungerechten Strukturen zementiert bleiben“ und die Mittel nicht den wirklich Hungernden zugute kämen, warnte sie. Das Netzwerk wird von „Brot für die Welt“ und der Menschenrechtsorganisation FIAN unterstützt.

(gwo)

welt-sichten 8-2008

 

erschienen in Ausgabe 8 / 2008: Die Macht der Religionen
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