Heute wichtiger denn je

Ökumene im 21. Jahrhundert
Ende August kamen rund 4000 Delegierte zur 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen zusammen. Ohne ihn wäre die Welt ärmer. Vor allem die Kirchen im globalen Süden würden noch weniger gehört, meint Katja Dorothea Buck.

Katja Dorothea Buck ist Religionswissenschaftlerin und Politologin sowie ständige Mitarbeiterin von "welt-sichten".

Den Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) niederzuschreiben geht einfach. Die Erwartungen waren hoch, als Ende August 4000 Delegierte aus 352 Mitgliedskirchen zur 11. Vollversammlung des ÖRK nach Karlsruhe kamen, um die Richtung des Rates für die kommenden Jahre vorzugeben. Eine „saubere Lösung“ im Umgang mit der Russisch-Orthodoxen Kirche sollte er finden; Israel solle wegen der Menschenrechtsverletzungen im besetzten Palästina als „Apartheidstaat“ verurteilt werden; und „der letzte göttliche Aufruf zur ökologischen Umkehr“ müsse in Karlsruhe endlich gehört werden. 

Wer den ÖRK an diesen Erwartungen misst, hat nach neun Tagen, die mehr als 16 Millionen Euro gekostet haben, weitere Argumente gegen ihn. Die Russen wurden nicht ausgeladen, waren sogar in voller Besetzung dabei. Öffentlich gesagt haben sie so gut wie nichts. Dafür aber die Ukrainer umso mehr, für deren elf Personen starke Delegation quasi auf den letzten Drücker eine Teilnahmemöglichkeit als beratende Gruppe gefunden wurde: Noch sind die ukrainischen Kirchen nicht Mitglied im ÖRK. Israel wurde auch nicht als „Apartheidstaat“ verurteilt. Die Evangelische Kirche in Deutschland hatte sich vehement und erfolgreich dagegen eingesetzt. Und ob das deutliche Statement zum Klimawandel diesen beeinflussen wird, liegt nicht in der Hand des ÖRK. Wozu also braucht es ihn dann noch? 

Kein Kirchenverbund ist vielfältiger

Seit seiner Gründung 1948 bringt der ÖRK Kirchen aus verschiedenen Kulturen und aus allen Ecken des Glaubensspektrums zusammen. Das ist heute mehr wert denn je. Denn in Karlsruhe saßen Menschen beieinander, deren Lebenswelten nicht unterschiedlicher sein können. Delegierte aus dem reichen Norden, die mit Beamtengehalt und gutem Reiseetat ausgestattet problemlos nach Karlsruhe reisen konnten, diskutierten mit Kolleginnen und Kollegen aus dem globalen Süden, die zwar auf Finanzspritzen aus dem Norden angewiesen sind, deren Kirchen aber in ihren Gesellschaften immerhin noch gehört werden – anders als die ihrer Brüder und Schwestern im reichen Norden. 

Wer beim ÖRK mitmacht, muss selbst in einem existenziellen Bereich wie dem Glauben aushalten können, dass der andere anders betet, singt und Theologie betreibt. Da diskutieren liberale evangelische Theologinnen mit orthodoxen Erzbischöfen, Metropoliten und Priestern, Laien mit Klerikern, junge mit alten Menschen – durchaus kontrovers. Sie ermahnen sich gegenseitig, fordern sich heraus. Doch alle überlegen gemeinsam, welche Rolle ihre Kirchen angesichts der vielen Krisen weltweit spielen können. Kein Kirchenverbund ist vielfältiger. Selbst die katholische Kirche und die Pfingstkirchen haben ihren Platz im ÖRK-Universum, wenn nicht als Mitglied, so doch als geschätzte Gesprächspartner. Der Wunsch, sich nicht als gegenseitige Konkurrenz zu sehen, sondern als große Verantwortungsgemeinschaft für die Menschheit und den Planeten, darf nicht unterschätzt werden in einer Zeit, in der Abgrenzung und Profilierung auf Kosten anderer vorherrschen. 

Probleme werden nicht auf dem Papier gelöst

Sicher kann man dem ÖRK vorhalten, dass ihm Schlagkraft und Profil fehlen. Am Ende kann er aber nur so stark sein, wie seine Mitglieder es zulassen. Und was wäre eigentlich der Mehrwert gewesen, wäre die russische Delegation ausgeladen worden? Die Nebengespräche zwischen der russischen und der ukrainischen Delegation hätten nicht stattgefunden. Auch hätten diejenigen, die das informelle Gespräch mit den Russen suchten, nicht erfahren, unter welchem Druck diese in der eigenen Heimat stehen, nur weil sie nach Karlsruhe gefahren sind. Und was wäre gewonnen gewesen, hätte der ÖRK Israel als „Apartheidstaat“ verurteilt? Eine gute Menschenrechtsarbeit in den palästinensischen Gebieten kommt auch ohne dieses Reizwort aus. Wer die Stärke des ÖRK an Statements misst, hat nicht verstanden, dass Probleme nicht auf dem Papier gelöst werden, sondern von Menschen, die handeln. Und die bringt der ÖRK zusammen. 

Wie lange er das noch kann, ist allerdings fraglich. Bereits das Treffen in Karlsruhe war in dieser Form nur möglich, weil unter anderem die deutsche Bundesregierung mehrere Millionen zugeschossen hat. Und die reichen Kirchen, die bisher einen Großteil der Arbeit des ÖRK finanzieren, leiden stark an Mitgliederschwund und bedienen bei rückläufigen Mitteln eher ihre Pensionsfonds als die Ökumene. 

Wenn die Kirchen im globalen Norden es intern nicht schaffen, Ökumene als zwingende Notwendigkeit im 21. Jahrhundert begreifbar zu machen, wird der ÖRK zunehmend in der Bedeutungslosigkeit versinken. Und dann werden die Kirchen aus dem globalen Süden noch weniger Gehör finden, wenn es darum geht, gemeinsame Antworten auf die großen Menschheitsfragen zu finden.

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