Die Zweifel am umstrittenen Ilisu-Staudamm in der Türkei wachsen
Seit Jahren protestieren nichtstaatliche Organisationen (NGO) aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gegen den geplanten Ilisu-Staudamm im Südosten der Türkei. Nun verliert auch die Politik die Geduld: Zugesagte Exportkreditgarantien in dreistelliger Millionenhöhe sind gefährdet, wenn sich die Türkei weiter weigert, die Auflagen der Kreditagenturen zu erfüllen. Doch entschieden ist noch nichts.
Der Ilisu-Damm soll den Fluss Tigris kurz vor der Grenze zum Irak und zu Syrien zu einem See aufstauen, der zur Stromerzeugung genutzt werden soll. Im ersten Anlauf war das Projekt 2002 gescheitert, weil soziale, ökologische und kulturelle Standards nicht eingehalten worden waren. Ein Jahr später startete die Türkei einen neuen Versuch. Deutschland, Österreich und die Schweiz sind mit Exportkreditbürgschaften in Höhe von insgesamt 450 Millionen Euro an dem rund 2 Milliarden Euro teuren Staudamm-Projekt beteiligt. Nutznießer sind vor allem der deutsche Baukonzern Züblin und seine Konsortialpartner in den beiden Nachbarländern.
Ein von den Regierungen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz in Auftrag gegebener Expertenbericht hat im März festgestellt, dass die Türkei in allen wichtigen Punkten – Umsiedlung, Umweltschutz, Erhalt von Kulturgütern – gegen die Auflagen verstößt, die sie bis Ende 2007 erfüllen sollte. Auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag zu dem Bauprojekt war die Antwort der deutschen Bundesregierung nun eindeutig: Das Verhalten der Türkei sei „nicht akzeptabel“. Die Standards der Weltbank für derlei Projekte würden nicht eingehalten. Wenn sich das nicht in Kürze ändere, so ein hoher Vertreter des Wirtschaftsministeriums, müssten „vertragskonforme Konsequenzen“ geprüft werden – bis hin zum Ausstieg aus dem Projekt.
Die zunehmend skeptische deutsche Haltung deckt sich mit den Einschätzungen in Bern und Wien. Zwar hat Ankara mit dem Bau des Staudamms noch nicht begonnen. Doch bei einem Treffen Ende Juni in Wien, an dem neben Vertretern der Exportagenturen auch entwicklungspolitische NGOs aus den drei Ländern teilnahmen, wurde deutlich, dass die Türkei die Auflagen der Kreditagenturen offenbar nicht erfüllen will.
Die betroffene Bevölkerung, nach unterschiedlichen Schätzungen bis zu 55.000 Menschen, werde zunehmend unter Druck gesetzt, kritisieren die NGOs. Sie würde bedrängt, ihr Land ohne die versprochene Entschädigung zu verlassen; zwei Dörfer seien bereits geräumt worden. Zudem drohe der Verlust eines einzigartigen Kulturdenkmals, der antiken Stadt Hansankeyf. Die Errichtung von Zufahrtsstraßen und Militärstationen zur Absicherung der Baustelle sei bereits in vollem Gange.
Die Entscheidung in Deutschland scheint noch offen. Kurz vor dem Wiener Treffen stellte im Entwicklungsausschuss des Bundestages (AWZ) die Linkspartei den Antrag, die bereits erteilte deutsche Hermesbürgschaft in Höhe von 93,5 Millionen Euro für die Züblin AG zurückzuziehen. Die Abgeordneten der Regierungsfraktionen lehnten das mit der Begründung ab, die Hermesbürgschaft sichere deutsche Arbeitsplätze.
Dagegen kam der Menschenrechtsausschuss am 26. Juni zu einem weniger klaren Ergebnis. Die störrische Haltung der türkischen Regierung habe bei Unions- und SPD-Parlamentariern eher „Nachdenklichkeit“ ausgelöst, hieß es nach der Sitzung. Internationale Standards auf dem Gebiet der Umwelt, der Menschenrechte und des Denkmalschutzes müssten selbstverständlich eingehalten werden, machte eine Vertreterin des Entwicklungsministeriums geltend. SPD-Abgeordnete schnitten das heikle Thema regionaler politischer Konflikte mit Syrien und Irak an: Dort drohe Wasserknappheit, wenn die Flüsse Tigris und Euphrat auf türkischer Seite aufgestaut werden. Alle Fraktionen wollten wissen, wie es um die Fristen für die Einhaltung der Auflagen und einen möglichen Ausstieg Deutschlands aus dem Projekt steht. Eine klare Stellungnahme der Bundesregierung lässt jedoch auf sich warten.
Johannes Schradi
welt-sichten 8-2008