Aufstand gegen das tägliche Gift

Simon Marks/Bloomberg via Getty Images
Kleinschürfer mit goldhaltigem Gestein in Atbara 2021. Das meiste Erz wird im Sudan in Handarbeit gewonnen.
Sudan
Im Sudan zeichnet sich nach einem blutigen Jahr möglicherweise eine Rückkehr zur Demokratie ab. In der Vergangenheit prägten unerbittliche Proteste das Land, unter anderem gegen die enorme Giftbelastung aus dem Goldbergbau. Aber Kleinbergbau ist auch für viele Menschen ihre Lebensgrundlage.

Ende Oktober haben die Einwohner von al-Fida‘a in Abu-Hamad, einer Gemeinde im sudanesischen Bundesstaat River Nile State, sieben Firmen lahmgelegt, die dort goldhaltige Minenabfälle verarbeiten. Die Protestierenden bestanden darauf, dass der Betrieb erst wieder aufgenommen würde, wenn diese Unternehmen die Verwendung verbotener Stoffe einstellten, die Umweltschutzvorschriften strikt einhielten und nicht weiter auf Wohngebiete übergriffen. Ähnliches hatte sich im August in der Stadt El Ibeidiya zugetragen, einem der größten Dienstleistungs- und Logistikzentren für den Goldsektor im Sudan: Aktivisten und die Gemeinde dort organisierten ein dreiwöchiges Sit-in und verlangten Schutz vor giftigen Stoffen, die im traditionellen und im industriellen Bergbau verwendet werden. Außerdem verlangten sie, dass ein größerer Teil der staatlichen Einnahmen aus der Industrie in die vernachlässigten öffentlichen Dienste der Region fließen sollte.

In beiden Fällen kappten die Sitzblockaden die Einnahmen der staatlichen Sudanese Mineral Resources Company (SMRC), die dem Bergbauministerium untersteht. Sie unterbrachen auch die Goldgewinnung der Unternehmen, indem sie die dafür nötige Zufuhr von Bergwerksabraum und Wasser behinderten. Zu den Betroffenen gehörte ein russisches Unternehmen namens Merowe Gold, dessen Nutznießer und Eigentümer die russische Söldnertruppe Wagner sein soll

In beiden Fällen konnten die Proteste auch wichtige Zugeständnisse von der Regierung und den goldproduzierenden Unternehmen erkämpfen. So haben die Gemeinden nun Anspruch auf einen Fonds für soziale Verantwortung, dessen Höhe prozentual nach dem Einkommen der Unternehmen berechnet wird, statt dass diese Zahlungen freiwillig sind. An einigen Orten haben Gemeindegruppen auch das Recht erstritten, die Umweltschutzpraktiken der Unternehmen und die Einhaltung von Standards für den sicheren Umgang mit Giftstoffen zu überwachen. 

Ziviler Widerstand

Die Proteste in al-Fida‘a und El Ibeidiya waren nur die jüngsten in einer langen Serie. In ihnen zeigt sich die tiefe Besorgnis lokaler Gemeinschaften, die von der unkontrollierten Verwendung von Quecksilber und Cyanid im stetig wachsenden Kleinbergbau betroffen sind. Besorgt sind sie auch, weil einheimische und ausländische Unternehmen in ihre traditionellen Abbaugebiete eindringen, in denen sie seit Jahren selbst mit rudimentären und gefährlichen Techniken Gold schürfen.  

Sit-ins und andere Protestformen – wie Blockaden von Nationalstraßen und das Abschalten von Pumpstationen für die sudanesische Ölraffinerie – sind zu einem gängigen und immer häufigeren Mittel des zivilen Widerstands geworden. Sie richten sich dagegen, dass der mächtige und kleptokratische Zentralstaat sowie dessen Partner in der Wirtschaft lokale Ressourcen vereinnahmen – darunter Privatunternehmen, die mit den sudanesischen Sicherheitskräften und deren ausländischen Geschäftsfreunden verbunden sind. Zentrale Anliegen der an den Sitzstreiks beteiligten lokalen Gemeinschaften sind, dass der Staat mit Investitionen das zusammengebrochene öffentliche Gesundheits- und Bildungswesen wiederbeleben und weitere grundlegende Dienstleistungen bereitstellen soll – etwa eine regelmäßige Versorgung mit sauberem Wasser und elektrischem Strom.

Autor

Suliman Baldo

ist Experte für Menschenrechte und Peace Building und stammt aus dem Sudan.

Die meisten Sit-ins der letzten Jahre konnten ihre Forderungen kurzfristig durchsetzen. Oder sie haben zumindest Versprechen der Behörden erreicht, darauf einzugehen, was die dann leider selten einhalten, sobald ein Sitzstreik beendet ist. Erwirkt haben lokale Gemeinschaften jedoch, dass Verarbeitungsbetriebe geschlossen wurden, in denen Gold aus Erz gewonnen wird und die unmittelbar die Gesundheit gefährden. Ein Beispiel dafür ist die Schließung der Al-Dawliya-Fabrik in Sawarda im nördlichen Bundesstaat, die mit dem sudanesischen Geheimdienst GIS verbunden ist. Sitzblockaden haben auch die Schließung von Verarbeitungsbetrieben in Um Bader in Nord-Kordofan sowie in Al-Tatar, Talodi und Kalluqi in Süd-Kordofan erzwungen.

Gut organisierte und vernetzte Forderungsgruppen

Diese Protestformen werden hauptsächlich von lokalen Jugendverbänden, Menschenrechts- und Umweltaktivisten sowie Bauern- und Unternehmerverbänden organisiert. Sie alle sehen das kollektive Wohl und die Rechte ihrer Gemeinden bedroht. In vielen Fällen gehen die Organisationen unter dem losen Dach von „Forderungsgruppen“ vor. Jede hat eine Vollversammlung auf lokaler Ebene, die vierteljährlich tagt und ein aus zehn Mitgliedern bestehendes Exekutivgremium wählt. In den meisten Bundesstaaten gibt es ein Koordinationsgremium dieser Forderungsgruppen für den jeweiligen Staat, und die wiederum halten jährlich ein nationales Treffen aller Staatenvertreter ab. 

Forderungsgruppen im ganzen Land sind also zu gut organisierten und vernetzten Vereinigungen geworden, die sich gegen große Entwicklungsprojekte der Zentralregierung wehren, bei denen die Rechte und Interessen der örtlichen Bevölkerung ignoriert werden. Dazu gehören Staudämme, Großfarmen und Bergbaukonzessionen, die ohne Konsultation der Gemeinden vergeben werden. Die Gruppen lenken Wut und Frustration oft in eine konstruktive Energie für Bewusstseinsbildung und gezielte Anwaltschaft und geben so den Stimmlosen eine Stimme. 

Es ist kein Wunder, dass die sichtbarsten und lautstärksten Proteste heute in Goldabbaugebieten stattfinden. Den Gemeinschaften dort drohen tödliche Gefahren, weil sie über lange Zeit giftigen Stoffen ausgesetzt sind. Seit Beginn eines regelrechten Goldrausches um 2008/2009 ist die sudanesische Goldproduktion vom Kleinbergbau dominiert. Mehr als eine Million Sudanesen schuften in kleinen Minen in abgelegenen Gegenden von fünfzehn der achtzehn Bundesstaaten des Landes. Stoßen sie auf Gold, dann schicken sie ihren Familien Geld. In den meisten Minenzonen ist die gesamte Bevölkerung im handwerklichen Bergbau tätig, einschließlich Frauen und Kinder. Sie nutzen primitive Werkzeuge und sind ungeschützt den Elementen ausgesetzt. In den wasserarmen und dünn besiedelten Bundesstaaten am Roten Meer, im Norden und am Nil sind die im Bergbau Tätigen vorwiegend Wirtschaftsmigranten aus dem ganzen Sudan und auch aus westlichen Nachbarstaaten der Sahelzone.

Funde eines Goldsuchers in Atbara. Kleinschürfer nutzen Quecksilber, um das Gold aus dem Erz zu lösen.

Von den 689 Tonnen Gold, die von 2011 bis 2020 gefördert und offiziell registriert wurden, kamen nach Angaben des Bergbauministeriums etwa vier Fünftel aus dem handwerklichen Bergbau. Kleinschürfer gewinnen Gold, indem sie das Erz in mit Quecksilber versetztem Wasser waschen und es so an das Quecksilber binden. Einem Bericht der Weltbank zufolge war der Sudan von 2010 bis 2015 der größte Quecksilberimporteur in ganz Afrika südlich der Sahara; 38 Prozent der Quecksilbereinfuhren dieser Region gingen laut UN-Handelsstatistiken in den Sudan. Noch schlimmer ist es, wenn eine Warnung der einheimischen Anti-Korruptions-Organisation Sudan Transparency and Policy Tracker (STPT) vom Oktober 2022 zutrifft: Danach haben Beamte des Bergbauministeriums einer Reihe Unternehmen, die seit dem Militärputsch vom Oktober 2021 gute politische Verbindungen haben, die Einfuhr der atemberaubenden Menge von 4000 Tonnen Quecksilber erlaubt. Das entspricht dem Viereinhalbfachen des gesamten weltweiten Quecksilberhandels im Jahr 2020, das sich auf 891 Tonnen belief.

Bergbauabfälle werden mit Cyanid behandelt

Gleichzeitig hat der Sudan den Ausbau von Aufbereitungsanlagen gefördert, in denen Millionen Tonnen der Bergbauabfälle, die Kleinschürfer zurücklassen, mit Cyanid behandelt werden. Quecksilber bindet nur etwa 30 Prozent des Goldgehalts; 70 Prozent bleiben im Erz zurück, mit handwerklichem Bergbau kann man das nicht extrahieren. Laut dem alarmierenden Bericht von STPT ignorieren viele Betreiber von Abraumverwertungsanlagen die Standards der Industrie für den Umgang mit Cyanid, und es gibt keine staatlichen Aufsichts- und Durchsetzungsmechanismen. 

Eine neue Entwicklung der jüngsten Jahre macht das Problem noch gravierender: Immer mehr Kleinschürfer verkaufen ihre Abfälle nicht länger an Betreiber von Anlagen, in denen Cyanid eingesetzt wird. Stattdessen gehen viele, die über die nötigen Mittel verfügen, dazu über, den Abraum selbst aufzubereiten. Und um mehr Gold aus dem Erz zu lösen, verwenden sie die giftige Substanz Thioharnstoff. Sie gilt als krebserregend und schädlich für Ungeborene.

Eine Vorstellung, wie groß dieses Problem ist, vermittelt ein Bericht der Sudanesischen Gesellschaft für Umweltschutz, des Höheren Rates für Umwelt und Naturressourcen sowie der Universität Nilein vom Januar 2022. Sie haben mit Hilfe von Satellitenaufnahmen auf Anwesen und Bauernhöfen in Dörfern im Bundesstaat River Nile nicht weniger als 700 Haufen Bergbauabfälle festgestellt – auf einer Strecke von nicht mal 65 Kilometern entlang des Nils. Die Forscher schätzen, dass auf diesen Halden 450.000 Tonnen Bergbauabfälle lagern, die mit 1,9 Tonnen Quecksilber kontaminiert sind. Die Einheimischen hatten sie aus entfernten Bergbaugebieten herangeschafft und benutzten rund 7000 sehr einfache Thioharnstoff-Mischer, um daraus Gold zu extrahieren. 

Die Vision der lokalen Gemeinschaften

Forderungsgruppen prangern die laxe staatliche Aufsicht über die Verwendung dieser Giftstoffe an und verstärken die Proteste für den Schutz der öffentlichen Gesundheit und der Umwelt in ihren Orten. Die Vision der lokalen Gemeinschaften wurde schon auf der ersten Bergbaukonferenz im Dezember 2019 deutlich, aus der ein umfassender Plan zur Lösung dieser Probleme hervorgegangen ist. Danach muss man an einer Änderung der Politik und der Managementstrukturen ansetzen. Auf der Konferenz wurden zahlreiche Empfehlungen angenommen; eine der wichtigsten ist, den lokalen Gemeinschaften das Recht auf die Umweltaufsicht zu übertragen. Vor allem wegen der politischen Turbulenzen im Sudan hat die Regierung die Vision der Forderungsgruppen nicht aufgegriffen. 

Basisproteste von Gemeinden sind heute im Sudan an der Tagesordnung. Die Menschen, die sich daran beteiligen, wollen ihr Recht auf die Ressourcen in ihrem Gebiet verteidigen und ihre Gesundheit, Umwelt und Lebensgrundlagen vor dem rücksichtslosen Einsatz giftiger Stoffe schützen. Die Proteste sind ein Teil des Widerstands der Bevölkerung gegen die Aneignung der Naturschätze des Landes durch die herrschenden Eliten, die Sicherheitskräfte und ihre ausländischen Verbündeten. 

Es wäre jedoch mehr als nur sporadisch aufflammender Widerstand an der Basis nötig, um der zügellosen kleptokratischen Plünderung der Bodenschätze im Sudan ein Ende zu setzen. Kleinschürfer und manche lokale Gemeinschaften haben sich mit einigem Fatalismus daran gewöhnt, einer Quecksilberbelastung ausgesetzt zu sein; sie nehmen das Risiko in Kauf, weil es keine besseren Alternativen gibt, den Lebensunterhalt zu verdienen. Nur eine reformorientierte, von Zivilisten geführte Regierung, die sich von der Einmischung des Militärs in Politik und Wirtschaft freimacht, könnte endlich die enormen Missstände angehen, unter denen die Menschen im Sudan schwer leiden.

Aus dem Englischen von Anja Ruf.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2022: Schlaue Maschinen
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