Für eine Verhandlungslösung in Darfur sind die Bedingungen denkbar schlecht
Von Peter Woodward
Das Friedensabkommen für den Südsudan von 2005 wurde von vielen Faktoren begünstigt, darunter einem militärischen Patt zwischen zwei verhandlungsfähigen Kriegsgegnern und starkem Druck von außen. Keine dieser Bedingungen ist im Fall Darfur erfüllt. Eine Verhandlungslösung ist deshalb hier sehr viel schwieriger.
Der Krieg in Darfur begann 2003 – gerade als die Regierung des Sudan mit der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (Sudan People’s Liberation Army, SPLA) über einen Friedensvertrag verhandelte. Mit dem Comprehensive Peace Agreement (CPA) setzten beide 2005 dem Bürgerkrieg im Süden des Landes ein Ende. Die Voraussetzungen, die das möglich machten, fehlen jedoch weitgehend im Fall Darfur.
Die Angriffe der Rebellen aus Darfur Anfang 2003 trafen die Regierung des Sudan völlig unvorbereitet. Deren Aufmerksamkeit galt den Friedensverhandlungen mit der SPLA im Süden, und sie wusste wenig über die neuen Feinde im Westen des Landes. Deren anfängliche Erfolge gegen die Regierungstruppen zogen brutale Gegenmaßnahmen nach sich, darunter den Einsatz von lokalen Milizen, der so genannten Dschandschawid. Diese Taktik hatten mehrere Regierungen bereits im Krieg im Südsudan eingesetzt. Anders als während des Krieges dort sehen sich beide Konfliktparteien in Darfur bisher nicht in einer ausweglosen Situation und damit veranlasst, sich ernsthaft auf Friedensverhandlungen einzulassen. Infolgedessen wurden die Kämpfe auch während der erfolglosen Verhandlungen fortgesetzt.
Die politischen Standpunkte der Kontrahenten stellen ein weiteres Hindernis für den Friedensprozess dar. Nachdem die Regierung der SPLA weitgehende Zugeständnisse gemacht hat, ist ihre Bereitschaft, die Darfur-Rebellen an der Macht zu beteiligen, weitaus geringer. Auf der anderen Seite haben einige Gruppierungen in Darfur ihre Forderungen immer weiter hochgeschraubt bis hin zum Ruf nach einem eigenen Staat (darüber hat die Regierung in Khartum dem Südsudan ein Referendum in 2011 zugestanden). Es gibt also keine von beiden Seiten akzeptierte Verhandlungsbasis, wie sie sich zwischen der Regierung und der SPLA im Laufe der Jahre herausgebildet hatte.
Eine zusätzliche Schwierigkeit ist, dass sich die Konfliktparteien nicht gegenseitig anerkennen. Im Süden musste die Regierung nach jahrelangen Kämpfen die SPLA als gleichrangigen Verhandlungspartner akzeptieren, die Darfur-Rebellen hat sie nicht entsprechend anerkannt. Das Problem wird durch die Aufsplitterung der Rebellengruppen noch verschärft. An den bisher wichtigsten Friedensverhandlungen in Abuja (Nigeria) 2006 waren im Wesentlichen zwei große Gruppierungen beteiligt, die Sudan Liberation Army (SLA) und das Justice and Equality Movement (JEM). Am Ende spaltete sich die SLA: ein Teil unterzeichnete das Friedensabkommen (Darfur Peace Agreement, DPA), der andere und das JEM lehnten es ab. Seitdem hat sich die Aufsplitterung der Rebellen fortgesetzt – nach Schätzungen gibt es heute bis zu 18 bewaffnete Gruppierungen von unterschiedlicher Stärke. Man hat versucht, diese Gruppen, von denen etwa vier als entscheidend gelten, zusammen zu bringen. Auf ihre Anführer, die sich außerhalb des Sudan aufhalten, wird international Druck ausgeübt, an den Verhandlungstisch zurückzukehren – bisher weitgehend erfolglos.
Schließlich tritt auch die Staatengemeinschaft auf regionaler wie auf globaler Ebene bisher nicht so geschlossen auf wie im Friedensprozess im Südsudan. So gibt es im UN-Sicherheitsrat weiterhin Differenzen zwischen den USA und Großbritannien auf der einen und China und Russland auf der anderen Seite.
Einen Weg aus der Krise zu finden ist in vieler Hinsicht schwierig. Verständlicherweise richteten sich die Erwartungen auf die internationalen Organisationen, aber deren Möglichkeiten sind beschränkt. Zunächst engagierte sich die Afrikanische Union (AU) im Fall Darfur. Sie sah hier eine erste Gelegenheit, ihr neues Selbstverständnis zu demonstrieren. Die erfolglosen Gespräche in Abuja, die unter ihrer Schirmherrschaft standen, haben aber deutlich gemacht, dass die AU wenig Neues in den schwierigen Verhandlungsprozess einzubringen hat. Sie schickte auch erstmals eine Friedenstruppe nach Darfur, die African Mission in Sudan (AMIS), doch die erzielte kaum Wirkung. Mit nur 7000 Mann war die Truppe für das riesige Gebiet zu klein, ihre logistischen Kapazitäten waren unzureichend und sie hatte nur ein beschränktes Mandat: Sie sollte einen Waffenstillstand überwachen, der zwar unterschrieben war, aber in der Praxis nicht eingehalten wurde.
Die UN wollten sich nicht direkt in Darfur engagieren, da sie an der Umsetzung der militärischen Teile des Friedensplans im Süden beteiligt war. Die Schwierigkeiten, während der fortwährenden Kämpfe humanitäre Hilfe zu leisten, bewogen die UN aber letztlich zu der Entscheidung, mit der AU gemeinsam eine neue Truppe aufzustellen, die United Nations African Mission in Darfur (UNAMID). Sie soll bis Ende 2008 auf 26.000 Personen aufgestockt werden. Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg – Mitte 2008 waren erst 9000 Soldaten im Einsatz. Zudem ist die Truppe inzwischen angegriffen worden und hat einige Verluste erlitten.
Ein weiterer internationaler Schauplatz ist der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag, an den der UN-Sicherheitsrat den Fall Darfur vor einiger Zeit verwiesen hat. Wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord hat der Chefankläger des IStGH im Juli diesen Jahres Haftbefehl gegen Präsident Omar al-Bashir beantragt. Es wird befürchtet, dass dies die Lage weiter kompliziert: Khartum könnte sich den UN gegenüber noch feindseliger verhalten und deren Interventionen noch stärker behindern als bisher. Von mancher Seite heißt es sogar, dass die Anklage sich auch auf den Friedensprozess im Südsudan schädlich auswirken könnte – das Ziel der Gerechtigkeit werde um den Preis der Gefährdung des Friedens verfolgt.
So haben China und Russland die Initiative des Chefanklägers kritisiert, weil sie ein gemeinsames internationales Vorgehen in Darfur zusätzlich erschwere. Unterdessen ruft der Sudan seine arabischen Nachbarn auf, bei den UN gegen die Anklage zu protestieren. Demnächst wird die Entscheidung des Richtergremiums erwartet, ob der Antrag des Chefanklägers hinreichend begründet ist, um ein Verfahren zu rechtfertigen.
In der Praxis hängt vieles davon ab, wie weit die verschiedenen Regierungen gehen wollen. Die USA setzen sich für Sanktionen ein, doch Zyniker meinen, dass Präsident Bush damit hauptsächlich die lautstarken Forderungen in den USA nach einem Eingreifen zugunsten Darfurs beschwichtigen will. Die Europäische Union (EU) unterstützt humanitäre Maßnahmen in Darfur und die internationalen Bemühungen vor Ort. Sie ist aber vorerst nicht bereit, sich in der Region militärisch zu engagieren. Viele Beobachter sind besonders enttäuscht, dass die EU-Mitgliedsländer weder der AMIS- noch der UNAMID-Truppe logistische Unterstützung gewährt haben.
China, das zum stärksten Handelspartner des Sudan geworden ist und besonders von den dessen Ölexporten profitiert, wurde wegen seiner offensichtlichen Gleichgültigkeit gegenüber den Vorgängen in Darfur heftig kritisiert. Es hat daraufhin die sudanesische Regierung zu einer größeren Verhandlungsbereitschaft gedrängt. Seine starke Position im Sudan wird es zugunsten von Darfur aber kaum aufs Spiel setzen. Russland verkauft weiterhin Kriegsmaterial in den Sudan und scheint noch weniger von der Situation in Darfur berührt als China.
Es kommt aber nicht nur auf die Großmächte an, sondern auch darauf, was in der Region geschieht. Afrikas schwache Staaten sind sehr verwundbar für Grenzübergriffe aus ihren Nachbarländern. Im Süden des Sudan hat sich sehr günstig ausgewirkt, dass die Nachbarn den Friedensprozess gestützt haben.
Für Darfur kommt es vor allem auf die Anrainerstaaten im Westen an, vor allem den Tschad, aber auch die Zentralafrikanische Republik und Libyen. Im Tschad haben die beiden letzten Regierungen unter Hissène Habré und Idriss Déby die Macht von Darfur aus erobert, und Déby hat bereits gesagt, dass Khartum ihn auf ähnliche Weise stürzen wolle. In den vergangenen zwei Jahren wurde Tschads Hauptstadt N’Djamena zwei Mal von Rebellen aus dem Osten angegriffen. Déby kam jedes Mal nur mit knapper Not davon und machte den Sudan für die Aktionen verantwortlich. Im Mai 2008 unternahmen die Darfur-Rebellen ihren ersten Angriff auf die sudanesische Hauptstadt, wofür die Regierung wiederum dem Tschad die Schuld gab. Solche offenen Feindseligkeiten stellen für den Frieden in Darfur ein großes Hindernis dar.
Auch Libyen ist auf regionaler Ebene sehr wichtig. Es interveniert seit über zwanzig Jahren sowohl im Tschad als auch in Darfur, und seine Rolle ist zur Zeit zwiespältig. Die sudanesische Regierung hat behauptet, Libyen habe beim Angriff der Darfur-Rebellen auf Omdurman und Khartum im Mai seine Hände im Spiel gehabt. Libyen seinerseits möchte als Unterstützer der Friedensarbeit an der Basis in Darfur gesehen werden und hat Stammesführer aus Darfur zu gemeinsamen Gesprächen eingeladen. Das erwies sich aber als schwierig, denn die traditionellen Führungsstrukturen sind im Verfall begriffen und es ist unklar, wer im gegenwärtigen gesellschaftlichen Umbruch einflussreiche Führer sind. Außerdem hat Libyen sich bemüht, Gespräche zwischen verschiedenen Rebellengruppen zu organisieren. Ein Teil war zur Teilnahme bereit, die anderen zeigten sich misstrauisch und blieben den Gesprächen fern.
Die Komplexität der Krise macht es ungemein schwierig, in Darfur Frieden zu schaffen. Dazu sind gleichzeitige Entwicklungen an mehreren Fronten erforderlich. So könnten internationaler Druck auf die Rebellen und eine eventuelle Anklage gegen Präsident al-Bashir vor dem IStGH dazu führen, dass die Gespräche wieder aufgenommen werden. Dabei müssten die wichtigsten Rebellengruppen auch gedrängt werden, ihre Positionen und Verhandlungsstrategien besser abzustimmen.
Die Umsetzung jeglichen Abkommens setzt aber die vollständige Entsendung der UNAMID-Truppe voraus. Wenn sie für mehr Sicherheit in Darfur sorgt, müsste es auch möglich sein, mehr humanitäre Hilfe zu leisten. Dann könnten die Menschen in Darfur anfangen, darauf zu vertrauen, dass wirklich ein Friedensprozess im Gang ist. Sie werden außerdem wollen, dass über kurzfristige Hilfsleistungen hinaus erkennbar dauerhafte Entwicklungsmaßnahmen beginnen. Entscheidend dafür ist, dass die Probleme der Landverteilung angegangen werden, die sich in dieser Region seit mindestens 25 Jahren zuspitzen. Die Landfrage liegt vielen Klagen über ethnische Säuberungen oder Völkermord zugrunde.
Dies wäre das günstigste Szenario, auf das man zur Zeit leider nicht viel Hoffnung setzen kann. Keine der nötigen Voraussetzungen für den Friedensprozess ist erfüllt. Nach fünfjährigen Kämpfen gibt es wenig Grund, optimistisch auf eine Lösung in der nahen Zukunft zu vertrauen. Auch der Krieg im Süden des Sudan wurde erst nach Jahrzehnten beigelegt, und der Friede dort ist noch immer nicht stabil.
Aus dem Englischen von Anna Latz.
Peter Woodward ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Reading in Großbritannien. Er ist Spezialist für Afrika und den Nahen Osten und hat unter anderem in Kosti (Sudan) sowie in Südafrika und an der amerikanischen Universität Kairo gelehrt.
welt-sichten 9-2008