Den Frauenhass der Taliban nicht dulden 

picture alliance / ASSOCIATED PRESS/Ebrahim Noroozi
Ein Taliban-Kämpfer hält Wache am 26. Dezember 2022 Wache, als eine Frau vorbeiläuft und ihn skeptisch beäugt. Das Arbeitsverbot für Frauen, aber auch das Verbot zu Studieren, stellt westliche Hilfsorganisationen vor die Frage, wie sie mit den Taliban umgehen sollen.
Afghanistan
Die extreme Frauenfeindlichkeit der Taliban ist zurück an der Macht. Humanitäre Organisationen sollten die Zusammenarbeit mit dem Regime beenden. Ein Kommentar.

Hugo Slim ist Senior Research Fellow am Las Casas Institute for Social Justice in Blackfriars Hall an der Universität von Oxford. Er hat sich auf die Untersuchung von Ethik, Krieg und humanitärer Hilfe spezialisiert.
Die noch im Jahr 2021 gezeigte Toleranz der Taliban in Sachen Geschlechtergleichstellung hat sich, wenig überraschend, als das herausgestellt, was sie von Anfang an war: eine Finte, um westliche Hilfsorganisationen zum Bleiben und vor allem zum Bezahlen zu bewegen. Indem die Taliban jetzt landesweit Frauen und Mädchen verfolgen und sie nahezu aus dem gesamten öffentlichen Leben und auch aus dem Bildungssystem vertreiben, zeigen sie ihr wahres Gesicht. Seit Weihnachten dürfen Frauen auch nicht mehr für humanitäre Organisationen arbeiten. Zwar scheinen sich laut dem UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths nach seinen Gesprächen mit einigen Taliban-Ministern inzwischen einige Lockerungen bei diesem Arbeitsverbot abzuzeichnen, eine Aufhebung ist jedoch nicht in Sicht. Deshalb stellt sich weiterhin die Frage, wie Hilfsorganisationen nun reagieren sollten. 

In einer Erklärung hat sich der internationale Ständige Ausschuss humanitärer Organisationen (IASC) im Dezember dafür eingesetzt, humanitäre Organisationen von dem Arbeitsverbot für Frauen auszunehmen. Der Ausschuss betont, wie wichtig die Arbeit von Frauen für die humanitäre Hilfe sei, erwähnt aber mit keinem Wort den Wert und die Rechte von Frauen als menschliche Wesen. 

Eine Ausnahme für Hilfsorganisationen reicht nicht 

Das ist unmoralisch und geht an der Sache vorbei. Frauen werden in Afghanistan als Gruppe verfolgt. Das müssen humanitäre Organisationen erkennen und benennen, und dem müssen sie sich widersetzen. Sie müssen klar und deutlich sagen, dass die Art und Weise, wie die Taliban den Islam auslegen, dazu führt, dass die Hälfte der Bevölkerung systematisch verfolgt wird. Es reicht auch nicht, sich damit zu begnügen – wie einige Vertreter von Hilfsorganisationen hinter vorgehaltener Hand argumentieren –, dass die Taliban in ungefähr einem Viertel des Landes wegschauen, wenn Frauen und Mädchen doch arbeiten oder zur Schule gehen. Denn damit würde man akzeptieren, dass drei Viertel der Frauen Afghanistans verfolgt werden. 

Dieser beschränkte Blick auf die Verfolgung von Frauen in Afghanistan, der sich nur auf die Angestellten von Hilfsorganisationen richtet, macht dem Gewissen vieler humanitärer Helfer zu schaffen: Sie erkennen, dass das Problem viel größer ist als seine Wirkung auf die Hilfsprojekte ihrer Organisationen. Wie recht sie haben!

Frauen werden wie Leibeigene behandelt 

Die Taliban verwehren Frauen ihren Status als Menschen. Ihre unmenschliche Theologie zwingt Frauen in Haus und Hof, wo sie für ihre Männer sorgen, Kinder bekommen und großziehen, den Haushalt führen und ansonsten ihren Anstand bewahren sollen. Für diese Aufgabe brauchen Frauen in den Augen der Taliban, wenn überhaupt, nur eine Grundschule zu besuchen und den öffentlichen Raum nur in Ausnahmefällen zu betreten. Die Stellung einer Frau in der Gesellschaft rangiert gemäß dieser Ideologie nur wenig über der eines treuen Pferdes oder eines köstlichen Granatapfels. Frauen haben das Recht, zu existieren – aber nur biologisch, nicht sozial oder spirituell. Sie haben keinen eigenen Willen, können keine eigene Persönlichkeit entwickeln oder gar an der Gesellschaft teilhaben. Sie werden aus dem öffentlichen Raum, aus der afghanischen Kultur und aus der Gesellschaft ausradiert.

Das entspricht nicht der Fülle menschlichen Lebens und erinnert eher an Leibeigenschaft als an Freiheit. Die Art, wie die Taliban Frauen verfolgen, ist sowohl in Bezug auf die Religion als auch auf das Recht eine Schande und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, in diesem Fall die weibliche Menschlichkeit. Gleichzeitig setzt sie auch die Menschlichkeit der afghanischen Männer herab, denn alle Menschen profitieren von der Teilhabe der Frauen am gesellschaftlichen Leben. Es ist eine nationale Katastrophe.

Humanitäre Komplizenschaft

Im Moment verfolgt der IASC die übliche Strategie der neutralen humanitären Hilfe, das heißt, er macht sich in gewissem Umfang zum Komplizen der Taliban, um humanitäre Ziele zu erreichen. Das Kalkül dabei ist, die Menschen überhaupt am Leben zu halten in der Hoffnung, dass sich die Qualität dieses Lebens vielleicht eines Tages bessert. Aus diesem Grund haben humanitäre Organisationen schon immer eng mit Terrorregimen zusammengearbeitet – es ging um die Menge der Leben, die gerettet werden sollten, ohne Rücksicht auf deren Lebensqualität. 

In diesem Sinne könnten humanitäre Organisationen ihre eingeschränkte Komplizenschaft mit den Taliban rechtfertigen, beispielsweise mit dem Argument: „Es gibt auch moderate Taliban, mit denen wir zusammenarbeiten können, trotz der Hardliner.“ Im Rahmen einer solchen Zusammenarbeit würden sie die inhumane Politik der Taliban gegenüber Frauen zwar nicht gutheißen. Aber sie würden die Taliban anerkennen, ihnen Respekt zollen, Tag für Tag mit ihnen Kompromisse schließen und so dafür sorgen, dass sich humanitäre Hilfsprogramme im Sinne der Taliban verändern. 

Ich kann diese Argumente verstehen und habe sie selbst viele Male vorgebracht. Und ich bin mir sicher, dass solche Kompromisse nach wie vor bei vielen humanitären Helfern verfangen, falls das Berufsverbot für Helferinnen nicht aufgehoben wird. „Immerhin“, so werden sie sagen, „können wir auch mit ausschließlich männlichen Mitarbeitern Leben retten und verbessern, deshalb müssen wir weitermachen.“ Ich nehme an, dass sowohl UN-Büros als auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) so argumentieren werden – aber das wäre in diesem Fall ein Fehler. Was also sollten internationale Hilfsorganisationen angesichts der flächendeckenden verbrecherischen Politik der Taliban tun?

Nur Afghaninnen und Afghanen können ihr Land verändern

Einige internationale nichtstaatliche Organisationen weigern sich, mit den Taliban weiter zusammenzuarbeiten, und legen ihre Projekte vorerst auf Eis. Für sie geht eine Zusammenarbeit mit einer islamistischen Diktatur, die alle Frauen und Mädchen verfolgt, eindeutig einen Schritt zu weit. Ich stimmte ihnen zu, und zwar aus zwei Gründen: Erstens geht es um die universelle Bedeutung der Geschlechtergerechtigkeit und der Menschenrechte von Frauen. Frauenrechte sind rund um die Welt ein wichtiges Fundament von Gerechtigkeit und ein grundlegendes Element von Menschlichkeit. Das ist etwas, für das man einstehen muss. Die Politik der Taliban wiederum ist kein tief in der Bevölkerung verwurzelter Ausdruck von Kultur und Brauchtum. Sie beschneidet katastrophal die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und deren Einfluss auf die breitere Gesellschaft. 

Wenn internationale Hilfsorganisationen gegenüber dieser extremen Form der Frauenverachtung in Afghanistan Kompromisse schließen, dann schwächen sie die moralische Stellung der Geschlechtergerechtigkeit und das Prinzip der Menschlichkeit, auf dem diese aufbaut. Humanitäre Helfer können nicht mit Ideologen zusammenarbeiten, die darauf beharren, dass nur Männer und Jungen vollwertige Menschen sind. 

Zweitens geht es um politischen Realismus. Liberale Werte verlieren im heutigen Afghanistan ihre Geltung, und westliche Hilfsorganisationen sind die letzten, die die Taliban dazu bringen werden, ihre Kernpolitik zu ändern. Die Taliban verachten den Westen. Politisch ist es nun an den Männern und Frauen in Afghanistan – und an den asiatischen Nachbarstaaten –, die Taliban zu beeinflussen und ein System humanitärer Hilfe aufzubauen. 

Viele mögen mir in diesem Punkt widersprechen und argumentieren, dass der Westen wegen des Kriegs der Nato in Afghanistan eine besondere Verantwortung trägt. Aber diese Verantwortung kann der Westen nicht übernehmen, wenn er dort als Macht nicht akzeptiert ist oder wenn Wiedergutmachung erfordert, dass internationale Organisationen und Behörden sich moralisch kompromittieren, indem sie einen ihrer zentralen Werte verletzen – die Geschlechtergerechtigkeit. 

In den vergangenen beiden Jahrhunderten haben Eingriffe des Westens in Afghanistan gezeigt, dass allein die Afghaninnen und Afghanen in der Lage sind, ihr Land zu ändern. Nur sie allein können eine angemessene Form der Geschlechtergerechtigkeit in der afghanischen Gesellschaft entwickeln. Bis dahin könnte manch eine internationale Hilfsorganisation ihr Budget möglicherweise darauf verwenden, den Hunger in Ostafrika zu bekämpfen, wo das mehr Erfolg verspricht und wo sie willkommener sind. 

Aus dem Englischen von Barbara Erbe.

Transparenzhinweis: Dieser Beitrag wurde in der Originalfassung am 10. Januar 2023 im Oxfam Blog „From Poverty to Power“ von Duncan Green  veröffentlicht. Wir haben am 30. Januar die neuesten Entwicklungen zu den Gesprächen zwischen den UN und den Taliban ergänzt. 
 

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eine politische und kulturelle Reorganisation sollte tatsächlich von innen, von der afgahnischen Bevölkerung kommen! Nur dann wird Veränderungsie erfolgreich und kann von den Akteuren (besonders von den bisherigen Machthabern!) akzeptiert werden. Wieviele Unschuldige unter dem Regime und den Veränderungsbemühungen zu leiden haben ist unbekannt. Wer liberal, bunt divers oder einfach nur freie Frau sein will, wird offensichtlich einfach erstickt. Alles Gute für die Menschen in Afgahnistan und für deren Zukunft!

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