Wo sich die deutschen Grünen zu billig verkaufen

Klimapolitik
Die Beschlüsse des Koalitionsausschusses zum Klimaschutz werden zu Recht scharf kritisiert. Sie sind aber nicht in erster Linie den Grünen anzulasten; deren Versagen liegt woanders, meint Bernd Ludermann.

Bernd Ludermann ist Chefredakteur von „welt-sichten“.

Die vorige große Koalition in Berlin hat gesetzlich festgehalten, dass Klimaschutz eine Aufgabe für die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft und daher auch für alle Teile der Regierung ist. Mit dem jüngsten Kompromiss der Ampel-Koalition signalisiert diese nun, dass man das in der Praxis nicht so ernst nehmen muss, besonders nicht beim Verkehr. Zudem legt das Ergebnis des Ringens zwischen SPD, FDP und Grünen offen, dass auch die selbsternannte Fortschrittskoalition Klimaschutz nicht als vorrangig behandelt, sondern als ein Ziel neben anderen – ja als nachrangig gegenüber dem Wirtschaftswachstum und der Schuldenbremse. Scharfe Kritik ist da berechtigt.

Heißt das, die Grünen sind eingeknickt? Richtig ist: Sie haben sich in zentralen Punkten nicht durchgesetzt. Verantwortlich dafür sind aber die FDP und besonders die Kanzlerpartei SPD. Beide begreifen offenbar noch immer nicht wirklich das Wesen der Umwelt- und Klimakrise: Sie machen uns weis oder denken tatsächlich, dass mehr Windräder, Wasserstoff und E-Autos Deutschland klimaneutral machen werden, ohne dass man den Energie- und Rohstoffverbrauch, die Flächenversiegelung, den Verkehr oder nur das Tempo auf Autobahnen begrenzen müsste. 

SPD und FDP begreifen noch immer nicht wirklich das Wesen der Umwelt- und Klimakrise

Aber Emissionen sinken nur, wenn man ihre Quellen stilllegt, also Kohlekraftwerke, Verbrennungsmotoren, Ölheizungen und so weiter. Wer ernsthaft klimaneutral werden will, muss offensichtlich alles abstellen, was fossile Brennstoffe nutzt – es sei denn, es steht genug emissionsfreier Ersatz zur Verfügung oder man kann Treibhausgase wieder einfangen. Dass beides Grenzen hat, auch wenn die nicht genau bekannt sind, wollen weder die FDP noch die SPD akzeptieren. Denn es heißt, man muss dem Luxus und irgendwo auch dem materiellen Breitenkonsum Grenzen setzen. Das wollen wahlentscheidende Teile der ganzen Gesellschaft nicht – und selbst manche Grüne. 

Vielleicht konnten die grünen Mitglieder der Ampelregierung also nicht mehr erreichen als diesen faulen Klima-Kompromiss. Vorwerfen muss man ihnen aber etwas anderes: Wenn sie um des Erhalts der Koalition willen jede Menge klimapolitische Kröten schlucken, dann müssten sie dafür wenigstens Zugeständnisse bei anderen entscheidenden Streitthemen verlangen, besonders bei der Finanzpolitik und der Verringerung der sozialen Ungleichheit. Klimaschädliche Subventionen wie etwa die Pendlerpauschale zu beenden, wäre das Mindeste. 

Über Finanzpolitik wird später beraten, als habe sie mit sozialverträglicher Klimapolitik nichts zu tun

Aber wenn Klimaschutz in Zeiten riesiger Vermögen und Kapitaleinkommen sozial sein soll, sind andere längst bekannte Schritte dringend nötig. Zum Beispiel sollte man die Sozialabgaben senken und das, etwa Renten, sowie öffentliche Dienste und kommunalen Wohnungsbau mit höheren Steuern auf Kapitaleinkommen finanzieren. Stattdessen haben die Grünen jetzt akzeptiert, dass über Finanzpolitik erst später beraten wird, als habe das mit sozial verträglicher Klimapolitik nichts zu tun. Sie haben anscheinend nicht einmal darauf bestanden, dass geklärt wird, wie zusätzliche Subventionen etwa für grüne Heizungen finanziert werden. Beim nächsten absehbaren Großkonflikt in der Koalition, der Finanzpolitik, bekommt so wieder die FDP gute Karten.

Es scheint, die Grünen wiederholen jetzt einen Fehler aus der ersten rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder. Damals haben sie Sozialpolitik den Sozialdemokraten überlassen, deren Hartz-Reformen durchgewunken und so dazu beigetragen, dass einfache Leute Klimaschutz als zusätzliche Last sehen, die ihnen „die da oben“ auferlegen. 

Und einen weiteren Vorwurf kann man Robert Habeck und seinen Mitstreiterinnen nicht ersparen: Sie reden den Kompromiss schön, statt zuzugeben, dass sie entscheidende Punkte nicht durchsetzen können. Das hängt mit ihrer Vorstellung zusammen, gestalten könne man nur in der Regierung. Die grüne Partei sollte sich dringend darauf besinnen, dass Fortschritte beim Umweltschutz dem Einsatz in der parlamentarischen wie der außerparlamentarischen Opposition zu verdanken sind. Nur so wurde auch erreicht, dass heute sogar Konservative Klimaschutz als nötig ansehen – zumindest so lange, bis er konkret wird.

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