China hat in Afrika kein Interesse an einer militärischen Rivalität mit den USA
Von Jonathan Holslag
Das wachsende Gewicht Chinas und seine Geschäftsinteressen in Afrika verändern auch seine Sicherheitsstrategien auf dem Kontinent. Im Alleingang kann Peking aber seine Interessen in Afrika nicht militärisch absichern – das wäre riskant und teuer. Peking wird eher mit afrikanischen Regierungen sowie den USA, Europa oder Indien zusammenarbeiten, um in Afrika Stabilität zu fördern.
Verschanzt hinter Stacheldraht und Sandsäcken schauen zwei Soldaten auf die grüne Landschaft der Kivu-Provinz im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo. Die waldigen Hügel der Umgebung sind ruhig, aber die Soldaten bewachen ein Zentrum vielfältiger Geschäftigkeit. Ordentlich geparkte Militärfahrzeuge umgeben ein paar Dutzend Soldaten, die um eine Flagge in der Mitte eines staubigen Exerzierplatzes stehen – eine chinesische Flagge. „Wir sind hier, um Ordnung und regionale Stabilität aufrechtzuerhalten“, erklärt ein junger Leutnant in exzellentem Französisch.
Die im rohstoffreichen Herzen Afrikas stationierte Einheit ist nur ein kleiner Teil der Truppen, die China in sechs afrikanische Staaten entsandt hat. Alle chinesischen Militäreinheiten in Afrika sind Bestandteil von Friedensmissionen der Vereinten Nationen im Rahmen von UN-Mandaten – im Gegensatz zu den etwa 1400 US-Soldaten der Combined Joint Task Force-Horn of Africa (CJTF-HOA), die im Rahmen des von der Bush-Regierung geführten weltweiten Krieges gegen den Terror unilateral operieren.
Die Frage ist, ob China sein militärisches Auftreten weiterhin auf Friedenstruppen beschränken oder eine unilaterale Sicherheitsstrategie anstreben wird, um seine Interessen mit mehr Nachdruck zu schützen. Da China zum industriellen Zentrum der Weltwirtschaft geworden ist, überrascht es nicht, dass es sich nun auch den Zugang zu Rohstoffen sichern will. Man kann erwarten, dass es ein neuer Aspekt von Chinas Außenwirtschaftspolitik werden wird, auch fern von China militärische Stärke zu zeigen.
In jüngerer Zeit sah sich die Volksrepublik in Afrika einem doppelten Sicherheitsrisiko gegenüber. Einerseits erregt das zunehmende militärische Engagement der USA, das sich im CJTF-HOA, in Anti- Terror- und Trainingsmanövern, Marineeinsätzen und der Schaffung eines afrikanischen Kommandos des Pentagon (AFRICOM) manifestiert, den Argwohn chinesischer Fachleute und Entscheidungsträger. Ihrer Ansicht nach will Washington ein Gegengewicht zu Chinas wachsendem Einfluss in der Region schaffen. „Je mehr China von afrikanischen Ressourcen abhängig wird, desto mehr werden sich die USA auf ihre militärische Präsenz als strategisches Druckmittel stützen“, sagt ein höherer Beamter des Außenministeriums in Peking.
Auch Indien zeigt militärische Muskelspiele. Es hat Verteidigungsabkommen mit verschiedenen afrikanischen Ländern entlang der Küste des Indischen Ozeans geschlossen, die regelmäßige militärische Austauschprogramme, gemeinsame Übungen, Anlegerechte für seine Flotte sowie Informationsaustausch vorsehen. Inselstaaten wie Mauritius und Madagaskar sind zu Antennen geworden, mit deren Hilfe die indische Marine Informationen sammelt. Der Indische Ozean wird mehr und mehr zu einem indischen Meer, in dem indische Soldaten wichtige Schifffahrtsrouten überwachen, von denen auch Chinas Versorgung mit Rohstoffen abhängt.
Andererseits bringt das wirtschaftliche Engagement in Afrika selbst für China neuartige und ernste Sicherheitsprobleme. Zwischen 2004 und 2007 wurden in vier verschiedenen Ländern chinesische Arbeiter entführt. Im Sudan, in Kenia und Äthiopien haben Rebellenbewegungen Erdölanlagen angegriffen. Im Sudan, in Nigeria, Äthiopien, Sambia und im Kongo haben Aufständische oder Oppositionsgruppen damit gedroht, gegen chinesische Firmen vorzugehen. China hat darauf zumeist zurückhaltend reagiert. Angesichts von Washingtons Schwierigkeiten, die Einrichtung von AFRICOM zu rechtfertigen, wollte Peking nicht zu sehr in Erscheinung treten und den USA Argumente liefern.
China hat verschiedenen afrikanischen Ländern Militärhilfe geleistet. Aber das wurde bloß als eine weitere Form der Zusammenarbeit behandelt, nicht mit spezifischen Risiken in Zusammenhang gebracht. Chinas Militärdiplomatie hat mit der Entwicklung seiner Wirtschaftspolitik nicht Schritt gehalten. Der Austausch zwischen hohen Militärs hat zwar zugenommen, aber nicht dramatisch. Militärattachés sind nur in 15 afrikanischen Ländern vertreten. Peking fürchtet, sich mit einem zu starken militärischen Engagement die Finger zu verbrennen, und besteht darauf, dass wichtige Sicherheitsfragen im Rahmen multilateraler Foren wie der Afrikanischen Union und der UN gelöst werden sollten.
Chinas Haltung zu UN-Friedenstruppen hat sich deutlich gewandelt. Während es in den 1980er Jahren dem Engagement der UN in Afrika sehr kritisch gegenüberstand, verflüchtigte sich dieser Widerstand im Lauf der 1990er Jahre und wandelte sich später in aktive Unterstützung. 2003 nahm China zum ersten Mal an einer friedenssichernden Mission teil – es schickte Militäringenieure nach Liberia. Heute ist die Volksrepublik eines der Länder, die die größten Truppenkontingente zu UN-Aktionen in Afrika beisteuern. Kürzlich hat Peking angekündigt, dass es erwägt, die finanzielle Unterstützung von Blauhelm-Missionen aufzustocken.
Allerdings könnte der Druck, auf Gewalttaten zu reagieren, die zunehmend seine wirtschaftlichen Interessen in Afrika beeinträchtigen, sowie wachsendes Misstrauen gegenüber den US-amerikanischen Absichten in Afrika Peking bewegen, seine Fähigkeit zu militärischem Eingreifen zu stärken. Kürzlich ist ein Frühwarnsystem installiert worden, mit dem Chinas Botschaften sorgfältig nach möglichen Gefahren für chinesische Interessen Ausschau halten. Die rechtzeitige Evakuierung chinesischer Bürger aus dem Tschad zeigt, dass dieses System schon funktioniert.
CHINA STREBT EINE AKTIVE SICHERHEITSPOLITIK AN
Chinas Teilnahme an UN-Friedensmissionen kann in vieler Hinsicht als eine Art Schule angesehen werden, in der es gelernt hat, Operationen in Übersee zu planen und durchzuführen. Mehrere Teile der chinesischen Armee sind zu kleineren, hoch spezialisierten Einheiten umgebaut und für schnelle Übersee- Einsätze ausgerüstet worden. Chinas strategische Lufttransport-Kapazitäten wurden erhöht. 2006 ging das erste chinesische Kriegsschiff für Landeoperationen (Landing Platform Dock) T-071 in Bau. Es hat eine Reichweite, die weit über Taiwan hinausgeht, und soll Flottenunterstützung für Anlandungen und Einsätze an Land sowie für Katastrophenhilfe und Evakuierungen gewährleisten. Diese Hochseeschiffe tragen Luftkissenboote und Hubschrauber, werden von einer neuen Generation großer Versorgungsschiffe unterstützt und können von verschiedenen Typen moderner Fregatten und Zerstörer begleitet werden. China will kein Aufsehen erregen, baut aber seine Fähigkeit aus, in Afrika eine selbstbewusstere und unabhängigere Sicherheitspolitik zu verfolgen.
In Folge der politischen Option für eine aktivere und autonomere Sicherheitsstrategie verändert auch Chinas Diplomatie ihr Gesicht. Peking dämmert, dass ihm das bequeme Mäntelchen der Schwäche, in dem es sich der Welt präsentiert hat, und sein Auftreten als x-beliebiges Entwicklungsland nicht mehr passen. Seine afrikanischen Partner haben Chinas Selbstdarstellung, ökonomisch ein Riese, aber politisch ein Zwerg ohne militärische Macht zu sein, nie für bare Münze genommen. Wenn politische Unruhen ausbrechen, setzen afrikanische Regierungen China fast unweigerlich unter Druck und fordern materielle und diplomatische Hilfe. Die politischen Eliten sehen China oft als ehrlichen Vermittler. Sein pragmatisches Vorgehen ist für sie im Vergleich zum Interventionismus des Westens das kleinere Übel.
Auch Chinas Selbstwahrnehmung ändert sich. Seine Führer haben gelernt aus dem Erfolg ihrer Nachbarschaftsdiplomatie in Asien, die Spannungen verringert und ihren Einfluss gesteigert hat. Zusätzliches Selbstvertrauen schöpft die Volksrepublik aus der erfolgreichen Entwicklung wichtiger neuer Verteidigungssysteme. China sieht, wie sich sein diplomatischer Einfluss geographisch ausdehnt – über die Straße von Formosa über Asien auf die übrigen Entwicklungsländer. Sein Selbstvertrauen in Sicherheitsfragen wird wohl ebenfalls zunehmen.
Wachsende Interessen, größere militärische Stärke und diplomatisches Selbstvertrauen deuten darauf hin, daß die Volksrepublik bald den Weg des möglichst unauffälligen Engagements verlassen wird. Dennoch wird die Ausweitung ihrer militärischen Präsenz in Afrika von mehreren Faktoren behindert. Die Versorgungswege zur See sind für China extrem lang und führen über Meere, auf denen andere Flotten das Sagen haben. Flottenstärke im Indischen Ozean zu zeigen würde Indien beunruhigen und eher zusätzliche Sicherheitsrisiken schaffen als sichere Versorgungswege.
Im Atlantik und im Golf von Guinea dominiert die US-amerikanische Marine. China wird kaum daran gelegen sein, diese Dominanz, die allen eine gewisse Sicherheit bietet, in Frage zu stellen. Wie auch immer die Militärpräsenz, die China aufbauen will, aussehen mag, ohne die Kooperation wichtiger Mitspieler wie der USA oder Indiens wird sie Chinas langfristigen Sicherheitsinteressen nicht dienen.
Hinzu kommt, dass Chinas wirtschaftliche Interessen quer über den afrikanischen Kontinent verstreut sind. Chinas Unternehmungen und Investitionen sind vielfältiger als die anderer auswärtiger Mächte und beschränken sich nicht auf abgegrenzte Einflusssphären. Sollte China versuchen, im Alleingang seine Sicherheitsrisiken in Afrika zu bewältigen, wäre eine schädliche Überdehnung die Folge.
Das sollte die USA und Europa beruhigen: China wird in Afrika nicht auf eine Strategie nach dem Muster des Kalten Krieges zurückgreifen, die von Wettbewerb mittels Waffenlieferungen und von Stellvertreterkriegen gekennzeichnet war. Die Kosten und Risiken einer unilateralen Militärstrategie bleiben zu hoch. Peking wird starkes Interesse daran haben, mit afrikanischen und auswärtigen Mächten zusammenzuwirken, um Frieden und Stabilität zu fördern. Washington und Brüssel sollten daher in ihre Dialoge mit China über Afrika nach und nach breiter gefasste Sicherheitsfragen einschließen, nicht nur das Thema Darfur. Nötig sind gemeinsame Bemühungen, um die Fähigkeit der Afrikanischen Union zu stärken, Gewaltkonflikten vorzubeugen und auf sie einzuwirken.
In den vergangenen Jahren hat China in Langfang und Peking moderne Ausbildungszentren eingerichtet, um Polizeibeamte und Soldaten auf Übersee-Einsätze vorzubereiten. Das gibt westlichen Spezialisten eine Gelegenheit, ihr Fachwissen weiterzugeben und chinesische Militärs mit Erfahrungen vertraut zu machen, die man bei vergangenen Einsätzen gemacht hat. Ausgehend von gemeinsamen Interessen muss eine Einigung in Fragen wie Waffenhandel, gute Regierungsführung und Transparenz beim Abbau von Bodenschätzen gefunden werden. Die Zusammenarbeit in Afrika setzt auch die Einsicht Chinas voraus, dass es mit Blick auf Sicherheitsfragen in anderen Regionen eine konstruktive Haltung einnehmen muss – auch was die Beziehungen zu Taiwan und Problemländer wie Myanmar, Iran und Nordkorea angeht. In China wie im Westen sollten die Entscheidungsträger sich bewusst machen, dass unterschiedliche Interessen nicht zu Zusammenstößen führen müssen. Pragmatische Zusammenarbeit ist ebenfalls möglich.
Übersetzung: Christian Neven-du Mont
Jonathan Holslag ist Leiter der Forschungsabteilung des Brussels Institute of Contemporary China Studies (BICCS) und Spezialist für chinesisch-afrikanische Beziehungen.
welt-sichten 7-2008