„Die gesamte Region ist gefährdet“

Jes Aznar/Getty Images
Fischer und Umweltschutzaktivisten protestieren im April 2022 in der Verde Island Passage gegen den geplanten Bau von insgesamt fünf Flüssiggas-Terminals.
Philippinen
Die Verde Island Passage im Norden der Philippinen beherbergt ein sensibles Meeresökosystem. Ausgerechnet hier will die Regierung Gaskraftwerke und Flüssiggas-Terminals bauen. Der katholische Priester Edu Gariguez und Avril de Torres von der Umweltorganisation CEED kämpfen gegen das Vorhaben.

Pater Edu Gariguez ist katholischer Priester und war Geschäftsführer der Caritas Philippinen. Er engagiert sich seit vielen Jahren für die Rechte der indigenen Bevölkerung in seiner Heimat und für den Umweltschutz.

Pater Edu, Ende Februar ist in der Meerenge Verde Island Passage vor der Insel Mindoro, auf der Sie leben, ein Tanker mit 900.000 Litern Industrieöl havariert. Wie sieht es in dem Unglücksgebiet derzeit aus?
Edu Gariguez: Die Lage wird zusehends schlimmer. Nach den jüngsten Angaben der Regierung sind mehr als 24.000 Fischer betroffen, viele Familien sind jetzt ohne Einkommen. Die Leute leben von der Fischerei, jetzt brauchen sie finanzielle Unterstützung von der Regierung. Geschädigt sind außerdem Meeresschutzgebiete und Dutzende Touristenorte. Das Unglück ist in der Region mit der größten Artenvielfalt in den Philippinen passiert: Die Verde Island Passage ist ein Schatz maritimer Biodiversität, wir nennen sie den Amazonas der Ozeane. Es ist wirklich eine Katastrophe. 

Tun die Regierung und die San Miguel Corporation, die den Tanker gechartert hatte, genug, um die Ölpest einzudämmen und für die Schäden geradezustehen?
Gariguez: Die Regierung leistet Hilfe, aber der Konzern hat bislang noch keinerlei Entschädigung angeboten. Das Wrack wurde noch nicht geborgen, es tritt weiter Öl aus. Es fehlt an geeigneter Bergungstechnik, wir brauchen Hilfe aus dem Ausland. 

Jetzt soll in derselben Region die Infrastruktur für die Energieerzeugung aus Gas ausgebaut werden. Was steckt dahinter?
Gariguez: Es gibt bereits fünf Gaskraftwerke an der Küste der Batangas-Bucht gegenüber von Verde Island, acht weitere sind geplant sowie acht Terminals für den Import von Flüssiggas (LNG). 

Avril de Torres ist Juristin und stellvertretende Geschäftsführerin der Umweltorganisation und Denkfabrik Center for Energy, Ecology and Development (CEED) in Quezon City auf den Philippinen.

Avril de Torres: Die Gaskraftwerke sind für die Stromversorgung auf den Philippinen, ebenso das Flüssiggas, das über die Terminals eingeführt wird. Die Regierung hat zudem die Vision, die Philippinen zu einem wichtigen Umschlagplatz für Flüssiggas im asiatisch-pazifischen Raum zu machen.

Welche Risiken enthält das?
Gariguez: Die Ölkatastrophe zeigt es ja: Wenn die Zahl der Tanker und Frachtschiffe, die durch die Verde Island Passage fahren, weiter wächst, steigt das Risiko von Unfällen. Die Passage ist schon jetzt eine der am meisten befahrenen Schifffahrtsstraßen des Landes. Zudem zeigen Untersuchungen des Center for Energy, Ecology and Development (CEED) und der Caritas Philippinen, dass Idustrie und Schiffsverkehr heute schon die Wasserqualität in der Passage deutlich verschlechtert haben und das Ökosystem an der Küste schädigen. Die gesamte Region ist gefährdet.

Sie haben in London, Frankfurt, Zürich und Paris Finanzinstitutionen besucht, die in die Gasprojekte oder die beteiligten Firmen investieren. Was haben sie denen gesagt?
De Torres: Wir haben ihnen unsere Studien vorgelegt und die Einwände gegen die Projekte und die daran beteiligten Unternehmen erklärt. Wir haben sie außerdem darauf hingewiesen, dass die umweltpolitische Regulierung durch die philippinische Regierung sehr schwach ist. Ein Beispiel ist unsere Studie zur Wasserqualität in der Passage dort, wo die Gasinfrastruktur ausgebaut werden soll. Auf dieser Grundlage haben lokale Gemeinschaften die Behörden darauf hingewiesen, dass die Wasserqualität schon jetzt nicht mehr den staatlichen Richtlinien genügt. Sie wollen, dass sämtliche Aktivitäten gestoppt werden, die zu weiterer Verschmutzung führen könnten. Das Umweltministerium sagt aber, dafür gebe es kein Verfahren.

Wie haben die Investoren reagiert?
De Torres: Unterschiedlich. Einige haben gesagt, sie würden mit unseren Informationen zu den Unternehmen gehen und sich anhören, was die dazu sagen. Andere haben sich dafür bedankt, dass wir den weiten Weg von den Philippinen zu ihnen gekommen sind, um sie zu informieren und die Beschwerden der Anwohner mit ihnen zu teilen. Etliche haben sich aber auch auf die Position zurückgezogen, sie seien an den Projekten in der Verde Island Passage nicht unmittelbar beteiligt, sondern nur an den Unternehmen, die die Kraftwerke und die Terminals bauen wollen. Wir haben sie darauf hingewiesen, dass sie aber auch dann Verantwortung tragen für das, was in der Passage passiert. 

Warum steigen die Philippinen überhaupt derart stark in die Energieerzeugung aus Gas ein?
Gariguez: Vor drei Jahren hat die Regierung ein Moratorium für Kohlekraft verhängt. Sie sagt, Strom aus Gas ist immer noch besser als aus Kohle, aber wir sind da anderer Ansicht. Wenn die Gasinfrastruktur jetzt so ausgebaut wird wie geplant, dann zementiert das die Energieversorgung in den Philippinen aus fossilen Quellen für viele Jahrzehnte. Gas ist keine saubere Energie. Und die Philippinen haben ein riesiges Potenzial an erneuerbaren Energien.

Wie steht die Bevölkerung zur Energiefrage?
Gariguez: Das Bewusstsein für das Potenzial an erneuerbaren Energien ist nicht sehr groß. Die Stromversorgung ist ein großes Problem, ständig gibt es Stromausfälle. Das ist es, was die Leute beschäftigt. Es gibt keine größeren öffentlichen Debatten über den Weg zu einer klimafreundlicheren Energieversorgung. Wir müssen die Leute besser über die Alternativen zu fossilen Energiequellen aufklären.

De Torres: Wir müssen erklären, dass Gas längerfristig das Energieproblem nicht löst. In den Philippinen gibt es ein einziges Gasfeld und das geht zur Neige. Das Gas muss also teuer importiert werden. Erneuerbare Energien sind schlicht die bessere Alternative. Derzeit sind landesweit Kapazitäten für 26 Gigawatt Strom installiert, davon 7,9 Gigawatt aus erneuerbaren Quellen. Das Potenzial liegt laut dem Energieministerium aber bei mehr als 800 Gigawatt Strom aus Wind, Sonne, Wasser, Geothermie und Biomasse. Wir sind also nicht nur ein Paradies an Biodiversität, sondern auch für erneuerbare Energien.

Sieht die Regierung das genauso?
De Torres: Es tut sich etwas. Präsident Ferdinand Marcos Junior hat gesagt, der Ausbau erneuerbarer Energien stehe ganz oben auf der Prioritätenliste der Regierung. Besonders spannend ist, dass es jetzt ein Verfahren gibt, nach dem die Installation von Anlagen zur Produktion grüner Energien vergeben wird, das Green Energy Auction Programme. Demnach müssen jedes Jahr zwei Gigawatt Strom aus erneuerbaren Quellen ins Netz eingespeist werden; Firmen können sich um die Installationen bewerben. Das bedeutet, dass in nur fünf Jahre weitere zehn Gigawatt an Kapazität für erneuerbare Energien installiert werden. Hinzu kommt, dass die Regulierungsbehörde für die Energieversorgung neue Richtlinien für Netzbetreiber veröffentlicht hat, die nun erstmals eine rechtliche Grundlage für dezentrale und kommunale Kraftwerke enthalten. Das ist ein Fortschritt, denn derzeit entscheiden de facto wenige große Konzerne wie San Miguel über den Energiemix in den Philippinen. Wenn lokale Gemeinschaften und Kommunen ihren Strom selbst aus erneuerbaren Quellen produzieren und ins Netz einspeisen können, haben wir eine ganz neue Situation.

Das heißt, die neue Regierung tut wirklich was?
De Torres: Ja, auf dem Papier schon. Da spricht sie sich klar für erneuerbare Energien aus. Gleichzeitig fördert sie aber die Gasprojekte. Das ist sehr kurzfristig gedacht; die Regierung sollte sich an die schwierige Zeit während der Ölkrise in den 1970er Jahren erinnern. Als das Öl knapp wurde, sind die Philippinen auf importierte Kohle umgeschwenkt, jetzt soll es importiertes Gas sein. Hat die Regierung nichts aus der Geschichte gelernt?

Pater Edu, Sie engagieren sich schon lange für die Umwelt. Haben sich unter der neuen Regierung die Bedingungen dafür verbessert?
Gariguez: Ich habe mich als Priester zunächst lange mit Entwicklungsvorhaben beschäftigt und mit der Frage, wie sich diese Projekte auf die indigene Bevölkerung in meiner Heimatprovinz Mindoro auswirken. Zum Umweltschutz bin ich gekommen, als Bergbaukonzerne in Mindoro anfingen, nach Nickel zu suchen. Da wurde mir der Zusammenhang zwischen Umweltschutz und Entwicklung klar. Auch unter der neuen Regierung ist es nicht leicht, sich für Umweltschutz und gegen zerstörerische Geschäfte wie den Bergbau einzusetzen. Der Regierung geht es immer noch darum, Konzernen gute Profitmöglichkeiten zu geben. Wer sich für die Umwelt oder für die Rechte der armen Bevölkerung einsetzt, wird weiterhin von der Regierung mit Anschuldigungen überzogen oder gar bedroht. Ich selbst wurde vor Jahren von der Regierung schon mal als „dissidenter Terrorist“ denunziert, kurz DT.

Haben Sie in der Kirche Rückhalt für Ihre Arbeit?
Gariguez: Ja, in der katholischen Kirche der Philippinen gibt es im Vergleich zu vielen anderen Ländern viele progressive Bischöfe. Die Enzyklika „Laudato sí“ von Papst Franziskus hat geholfen, dass in unserer Kirche die Verantwortung für die Umwelt als Teil unseres Mandats als Christen wahrgenommen wird. In meiner Diözese in Mindoro hat die Kirche die Leute ermutigt, sich gegen die Bergbauprojekte zu wehren – mit dem Ergebnis, dass sich einige Finanzinstitutionen zurückgezogen haben. 

Welche Art Unterstützung aus Deutschland würde Ihnen helfen?
De Torres: Deutschlands Finanzinstitute sollten Projekte wie die Gaskraftwerke an der Küste der Verde Island Passage und beteiligte Unternehmen nicht mehr unterstützen und auch nicht die Unternehmen, die solche Projekte durchführen. Das wäre ein großer Fortschritt. 

Gariguez: Und ein starkes Lieferkettengesetz in der Europäischen Union wäre gut. Wir von der katholischen Kirche der Philippinen unterstützen die Kampagne europäischer glaubensbasierter Organisationen dafür.

Das Gespräch führten Tillmann Elliesen, Bernd Ludermann und Melanie Kräuter.

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