„Endlich wieder in der Stadt“

Großstadtleben
Aus den verschiedensten Gründen ziehen Menschen in große Städte; die meisten erhoffen sich dort bessere Jobs. Vier Frauen und Männer aus drei Kontinenten erzählen, warum sie in der Stadt leben und ob sie dort glücklich sind.

„Ich bin ein urbaner Schamane“

Fernando Abiel Rodriguez Elizondo, 47 Jahre, betreibt in Monterrey ein Zentrum mit Massagen, Whirlpool, Gesprächstherapie und prähispanischem Schwitzbad.
Einige Jahre habe ich als Kommunikationswissenschaftler an Universitäten in verschiedenen Städten Mexikos gearbeitet. Vor zehn Jahren bin ich dann aber in meine Geburtsstadt zurückgekehrt, nach Monterrey. Das hat mit der Familie zu tun und mit der Vertrautheit. Ich kenne hier jede Ecke und total viele Leute, das ist einfach ein tolles Gefühl von Heimat. Ich habe inzwischen zwei kleine Kinder, und da ist der Rückhalt durch die Familie ein riesiger Vorteil. Hier gibt es zudem gute Schulen und Universitäten. So müssen die Kinder später nicht zum Studieren in eine andere Stadt ziehen. Was mir an der Stadt nicht so gefällt, ist die Luftverschmutzung und die Immobilien­spekulation, die die Mieten verteuert hat.

Monterrey ist eine Art großes Dorf, das schnell stark gewachsen ist und nun viele urbane Subgruppen wie Studenten, Landflüchtlinge oder Start-up-Unternehmer beherbergt, die untereinander aber kaum in Kontakt sind. Es ist ein Ort, an der vor allem der materielle Erfolg zählt. Hier lebt man, um Geld zu machen und andere auszustechen. Das führt zu einer recht aggressiven Stimmung, die man etwa im Straßenverkehr zu spüren bekommt. Jeder will immer der Erste sein. Ich sehe mich da als einen Gegenpol, der ein spirituelles, ausgleichendes Element in diese Kultur trägt. Das ist für mich auch eine persönliche Herausforderung, aber ich stoße damit auf großes Interesse. Mir würde es gefallen, wenn es hier mehr Gemeinschaftssinn gäbe. Am Wochenende suche ich mit meiner Frau und den Kindern den Ausgleich in der Natur, etwa in den Dörfern, die rundherum in der Wüste liegen, oder bei einer Wanderung auf dem Cerro de la Silla, dem Hausberg von Monterrey.

Aufgezeichnet von Sandra Weiss.

„Hier gibt es Kinos, Theater, Buchläden und eine Universität“

Marta Cuambe, 34, arbeitet in Mosambiks Hauptstadt Maputo als Office Managerin für eine ausländische Institution.
Als ich letztes Jahr in meine Mietwohnung einzog, ließ ich mich aufs Sofa fallen und dachte: ‚Endlich wieder in der Stadt!‘ Ich bin hier aufgewachsen. Als Teenager habe ich meinem Vater in seiner Bar beim Kellnern geholfen und als Sekretärin Papierkram erledigt. In einer Fachschule und später im Studium habe ich Buchhaltung und Rechnungsprüfung gelernt.

Das Stadtleben hat viele Vorteile für mich, es bringt Ruhe in mein Leben, weil ich viel leichter überall hinkomme. Aber als Berufsanfängerin landete ich 2016 erst mal in der Provinz, zunächst in Tete in der Verwaltung einer Kinderhilfsorganisation und dann in Xai-Xai. In Maputo habe ich mich auf verschiedene Stellen beworben, weil ich unbedingt in meine Heimatstadt zurückkehren wollte. Hier gibt es Kinos, Theater, Buchläden und eine Universität, zu der ich nach der Arbeit zu Fuß gehen kann. Ich studiere im zweiten Jahr Psychologie. Ich würde gerne noch Französisch oder Deutsch lernen. In der Stadt ist das möglich.

Als ich von Xai-Xai zurück nach Maputo kam, wohnte ich zunächst bei meinen Eltern außerhalb der City. Der Weg von dort zur Arbeit dauerte meist eine Stunde und auf dem Rückweg oft viel länger. Heute schaffe ich es in 15 Minuten mit dem Sammeltaxi ins Büro. Auch mit dem Fahrrad wäre das möglich, aber der Verkehr ist zu gefährlich. Es gibt eben auch Nachteile in der Stadt. Einmal, am Abend, versuchten einige Jugendliche, mir auf dem Heimweg die Handtasche zu stehlen. Zum Glück konnte ich entkommen. Ich hatte Gott um Hilfe angerufen, und mehrere Leute rannten herbei, um mich zu unterstützen. Was ich in der Stadt vermisse? Einen Garten. Und das leckere Essen meiner Mutter.

Aufgezeichnet von Stefan Ehlert.

„Die Politik müsste die verlassenen Gebäude in Sozialwohnungen umwandeln“

Ivaneti de Araújo, 50 Jahre, ist Koordinatorin der Bewegung für den Wohnungsbau im Kampf für Gerechtigkeit. Sie koordiniert vier Gebäudebesetzungen in São Paulo, Brasilien.
Ich bin in einer kleinen Stadt im Bundesstaat São Paulo geboren. Als ich dort eine Stelle als Reinigungskraft oder Köchin suchte, fand ich keine Arbeit. Vor 30 Jahren bin ich dann nach São Paulo gezogen, weil mein damaliger Mann dort einen Job bekam. Doch nach wenigen Monaten verlor er ihn wieder, und wir konnten die Miete nicht mehr bezahlen. Mit unseren beiden Töchtern lebten wir dann auf der Straße. Wir hatten nicht einmal Geld für Essen und mussten betteln gehen. Drei Monate lebten wir in dieser furchtbaren Situation, bis wir von der Wohnbewegung erfuhren und uns an der Besetzung eines verlassenen Gebäudes beteiligten. Es hatte ein Krankenhaus werden sollen, doch die Arbeiten daran wurden nie abgeschlossen. Weil es verlassen und ungenutzt rumstand, wurde es das Zuhause von Hunderten obdachloser Familien.

Mit unserem sozialen Kampf und dem Druck auf die Behörden haben wir schließlich das Recht auf angemessenen Wohnraum errungen. Damit in Zukunft auch andere Familien dieses Recht haben, habe ich mich der Wohnbewegung angeschlossen. In den großen Städten Brasiliens gibt es wenig öffentliches Interesse, Wohnungsbauprogramme umzusetzen. Viele Menschen bekommen keine Hilfe, auch darum gibt es so viele Obdachlose. In São Paulo sind es mehr als 80.000. Es wäre wichtig, dass der Staat diesen Menschen zuhört und versteht, was sie brauchen. Vor allem müsste die Politik die vielen verlassenen Gebäude in Sozialwohnungen umwandeln.

Großstädte bieten viele Möglichkeiten, einschließlich des Kampfes für soziale Rechte. Erst dort habe ich Menschen getroffen, die anders waren als ich, und verstanden, dass ich das Recht habe, in Würde zu leben.

Aufgezeichnet von Sarah Fernandes.

„In meinem Dorf werde ich mich zur Ruhe setzen“

Rahima Khatun, 36 Jahre, lebt mit ihrem Mann, zwei Kindern und ihrer Mutter in Dhaka. Sie hat drei Jobs als Hausmädchen, ihr Mann ist Fahrer.
Ich lebe lieber in den städtischen Slums von Dhaka in Baracken als in meinem Dorf. Denn in der Stadt gibt es viel mehr Arbeitsmöglichkeiten. Ich bin Analphabetin und wollte nicht, dass meine Kinder mein trauriges Leben führen müssen. In dieser Hinsicht haben sich meine 23 Jahre Arbeit als Küchenmädchen in Dhaka ausgezahlt: Mein Sohn geht an die Universität und arbeitet als Auszubildender bei einer Versicherungsgesellschaft. Meine Tochter, die ein Highschool-Stipendium hat, sitzt gerade an ihren Abschlussprüfungen und träumt davon, Krankenschwester zu werden. Um die Ausbildung meiner Kinder zu finanzieren, musste ich viele Überstunden machen. Außerdem ernähre ich mich nur von einer Mahlzeit pro Tag. 

Seit ich mit 13 Jahren meinen Cousin mütterlicherseits geheiratet habe, lebe ich in Dhaka und arbeite als Teilzeit-Hausmädchen an drei verschiedenen Orten, zu denen ich zu Fuß gehe. Inzwischen verdiene ich fast 30.000 Taka (circa 255 Euro) im Monat. Mein Mann war früher Rikschafahrer, jetzt arbeitet er als Fahrer und verdient 20.000 Taka. Meine kranke Mutter lebt bei uns in einer kleinen Zweizimmerwohnung am Rande der Stadt. Sie ist früh verwitwet und allein zurückgeblieben, um für sich und mich zu sorgen. Als ich noch ein Kind war, arbeitete sie in Ziegelbrennereien; später zog sie nach Dhaka, um bessere Chancen zu haben. Hier arbeitete sie ebenfalls als Hausmädchen, um mir finanziell zu helfen, meine junge Familie zu versorgen.

In dieser Stadt der Träume habe ich nun einen Banksparplan laufen. Mit der Rente meiner Mutter und meinen Ersparnissen baue ich gerade eine kleine Hütte mit Bad und angrenzender Veranda in meinem Dorf. Dort werde ich mich zur Ruhe setzen, sobald meine Kinder sesshaft geworden sind.

Aufgezeichnet von Raffat Rashid. 

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erschienen in Ausgabe 3 / 2023: In der Stadt zu Hause
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