Tuvalu versinkt im Meer und bittet die Europäische Union um Hilfe
Der Inselstaat im Pazifik droht als erstes Land vom steigenden Meersspiegel von der Landkarte gespült zu werden. Die Regierung hat deshalb einen Botschafter nach Brüssel entsandt, der um europäische Unterstützung werben soll – unter anderem für den völkerrechtlichen Schutz von Klimaflüchtlingen.
Auf den neun ehemals britischen Ellice-Inseln in Melanesien wohnen noch knapp zwölftausend Menschen, die meisten auf der Hauptinsel Funafuti. Seit dreißig Jahren versinken die Inseln stetig mehr im Meer, 2001 war Tuvalu bei Hochwasser schon einmal für einen halben Tag vollständig überflutet. Deshalb hat die zum Commonwealth gehörende Monarchie dieses Jahr einen Botschafter nach Brüssel geschickt. Sein Auftrag: Tuvalus Volk retten, bevor die Inseln vollständig verschwunden sind.
Botschafter Panapasi Nelesone ist einer von nur zwei Tuvalu-Diplomaten auf dem internationalen Parkett. Der andere sitzt seit Tuvalus Beitritt zu den Vereinten Nationen in New York. Der UN-Beitritt war ein kluger Schritt, denn seitdem gerät der Fall des ersten Staates, der Opfer des Klimawandels und des steigenden Meeresspiegels zu werden droht, zunehmend in den Blick der politischen Öffentlichkeit weltweit.
Als Mitglied der mit der EU assoziierten AKP-Länder (Afrika, Karibik, Pazifik) kann Tuvalu mehr Resonanz erwarten, als dem viertkleinsten Land der Welt (nach Monaco, dem Vatikan und dem benachbarten Nauru) im Brüsseler EU-Betrieb sonst vergönnt wäre. Der winzige Anteil Tuvalus am EU-Entwicklungsfonds EEF hilft natürlich etwas, aber die wichtigste Einnahmequelle ist der Verkauf von Nutzungsrechten über die Internet-Domäne „.tv“ an einen kanadischen Internet-Dienstleister. Das Geschäft hat dem Inselstaat insgesamt 50 Millionen US-Dollar gebracht, aus denen die Regierung unter anderem die Gebühren für den UN-Beitritt bezahlt hat.
Der höchste Punkt Tuvalus liegt kaum dreieinhalb Meter über Normalnull, im Durchschnitt sind es nur wenige Zentimeter. Seit fünfzig Jahren steigt der Meeresspiegel um Tuvalu um einen fünftel Zentimeter pro Jahr. Das Thema steht schon lange auf der EU-AKP-Tagesordnung, die Regierung hat bereits vom EEF geförderte Maßnahmen ergriffen und zum Beispiel Häuser auf Pfähle gestellt, die aber immer wieder erhöht werden müssen. Noch schlimmer ist, dass Meerwasser ins Grundwasser der Atolle dringt, aufgrund längerer Trockenperioden die Frischwasservorräte schrumpfen und Gärten und Kokospalmen deshalb absterben. Selbst wenn die Erderwärmung heute angehalten würde, würde Tuvalu laut dem International Panel on Climate Change in spätestens fünfzig Jahren im Meer versinken.
Botschafter Nelesone pocht darauf, dass die Verursacher des Schadens – die reichen Länder – sich auch an der Behebung beteiligen. Es gibt zwar technische Lösungen wie Landerhöhungen, um wenigstens einige der Inseln zu halten. Die sind aber viel zu teuer für den winzigen Staat und würden zudem längst nicht alle Tuvaluer retten. Doch für die Klimaflüchtlinge gibt es bisher kein Recht auf Asyl. Das der Inselgruppe nächstgelegene Festland Neuseeland lässt jährlich höchstens 75 Zuwanderer aus Tuvalu zu, Australien gar keine mehr.
Nelesone dringt deshalb darauf, die UN-Flüchtlingskonvention auf Opfer des Klimawandels auszudehnen. Dafür ist derzeit allerdings ein schlechter Zeitpunkt in der EU: Brüssel hat vor kurzem mit dem „Europäischen Pakt zu Einwanderung und Asyl“ die Abwehr unerwünschter Zuwanderung verstärkt und zeigt keine Neigung, auf multilateraler Ebene für weitere Schutzrechte zu sorgen. Auch die deutsche Regierung, die noch vor ein paar Jahren Überlegungen vorgestellt hatte, wie „Meeresflüchtlinge“ in die UN-Verfahren aufgenommen werden könnten, hat sich in der Debatte über die neuen EU-Regeln nicht mehr dazu geäußert.
Heimo Claasen
welt-sichten 11-2008