Im nächsten Jahr will die Europäische Union (EU) ihre Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba wieder aufnehmen. Bereits im Sommer hatte sie die diplomatischen Sanktionen gegen Havanna aufgehoben. Vor allem Entwicklungskommissar Louis Michel hat sich für eine Annäherung stark gemacht. Andere Kommissionsmitglieder sehen das mit Skepsis.
Wenige Tage nach einem Treffen der „Troika“, also den Vorsitzenden im EU-Ministerrat, mit dem kubanischen Außenminister Péres Roque am 16. Oktober in Paris setzte Louis Michel kurz darauf in Havanna formell die EU-Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba wieder in Gang. Er unterzeichnete eine gemeinsame Erklärung mit Roque über den allgemeinen Rahmen der Zusammenarbeit und sagte Kuba unmittelbare Nothilfe von fast zwei Millionen Euro für den Wiederaufbau nach den verheerenden Stürmen des vergangenen Sommers zu. Ab 2009 will die EU 20 bis 25 Millionen Euro jährlich für Entwicklungsprojekte in den Bereichen Umwelt, Wissenschaft und Technik und für die Förderung von Handel sowie den kulturellen Austausch zur Verfügung stellen.
Michel selbst hat die Normalisierung mit am eifrigsten betrieben. Schon vor Jahren war der Motorradfan auf einer Harley-Davidson über Havannas Prachstraße gefahren – zum Erschrecken so manches EU-Diplomaten. Die hatten es in den vergangenen Jahren aufgrund der 2003 verhängten diplomatischen Sanktionen schwer, auf multilateraler Ebene mit Kubanern direkt zu reden, und mussten dazu gelegentlich Vermittler aus Ländern außerhalb der EU wie der Schweiz oder Norwegen bemühen. Michels Lobby-Arbeit bei den EU-Außenministern, die schließlich im vergangenen Juni die Sanktionen gegen die Karibikinsel offiziell außer Kraft setzten, wurde von seiner für die allgemeinen Außenbeziehungen zuständigen Kommissionskollegin Benita Ferrero-Waldner misstrauisch verfolgt. In ihrem Stab stand die Normalisierung mit Kuba keineswegs hoch auf der Tagesordnung – nicht zuletzt, um Streit mit den USA zu vermeiden.
Das gilt erst recht für die Mannschaft des ehemaligen Außenhandelskommissars Peter Mandelson, die das kommunistische Regime in Havanna ebenfalls lieber auf Distanz halten würde. Die Außenhändler fürchten außerdem, Kuba könnte womöglich Mitglied im Mercosur werden, der stärksten lateinamerikanischen Wirtschaftsgruppe von Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay, zu der sich jetzt auch Venezuela gesellt. Genau das könnte bald passieren: Am 13. November hat die „Rio-Gruppe“, die bereits alle anderen lateinamerikanischen Länder umfasst, Kuba als 22. Mitglied aufgenommen, und Brasilien hat inzwischen Gespräche über den Beitritt Kubas zum Mercosur angestoßen. Wenn Kuba und möglicherweise auch noch Bolivien und Ecuador Mitglieder des Mercosur würden, dann entstünde eine wirtschaftlich wie politisch gewichtige Regionalgruppierung, in der politisch links stehende Regierungen großes Gewicht haben. Das könnte das Vorhaben der EU, mit der Gruppe ein Freihandelsabkommen abzuschließen, erheblich erschweren. Schon bislang hat Brüssel sich daran die Zähne ausgebissen.
In Louis Michels Entwicklungsabteilung hingegen herrscht die Ansicht vor, es werde höchste Zeit, dass die EU ihre Beziehungen zu Havanna normalisiert, bevor Europa dort vollständig abgehängt wird. Noch ist zwar die EU Kubas größter Handelspartner, nicht der benachbarte Mercosur. Doch das könnte sich genau so schnell ändern wie die politische Landschaft Lateinamerikas, wo sich die Frontstellungen aus Zeiten des Kalten Krieges auflösen. Ohnehin schienen die EU-Sanktionen gegen Kuba eher kontraproduktiv; auch bei Anhörungen im EU-Parlament Anfang des Jahres hieß es, sie stärkten allenfalls die Betonköpfe, während sie die Reformer im komplizierten politischen Gefüge des Inselregimes eher behindert hätten.
Unterdessen vollzieht sich still und leise ein weiterer Wandel in Kubas auswärtigen Beziehungen: das Verhältnis zu China. Zwar hatte Fidel Castro schon einmal 2004 einen ersten Besuch vom chinesischen Präsidenten Hu Jintao, was damals als deutliches Zeichen für Tauwetter nach der jahrzehntelangen Eiszeit zwischen beiden Ländern gedeutet wurde. Inzwischen ist China zweitgrößter Handelspartner Kubas, und angesichts des pompösen Empfangs Hus zu einem zweitägigen Staatsbesuch im November rieben sich einige Europäer dann doch die Augen.
Heimo Claasen