Ein Gegengift für die Bienen?

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Zwei Männer in weißer Schutzkleidung für Imker und mit gelben Gummistiefeln unterhalten sich auf einem Gelände mit Bienenkästen in Kolumbien.
Universidad del Rosario
Der Imker Abdón Salazar (rechts) wollte wissen, was seine Bienen tötet, und gab den Anstoß für eine Untersuchung.
Kolumbien
In Kolumbien sterben jedes Jahr Tausende Bienenvölker an Pestiziden aus der Landwirtschaft. Umweltschützer und Imker wollen ein Verbot der giftigsten Stoffe, und Forscher versuchen, die Widerstandskraft der Bienen zu stärken.

Yohan Jury Ledezma ist ein stolzer Biobauer aus La Sierra, einer Kommune im Süden Kolumbiens. Die Stadt liegt gut 1600 Meter über dem Meeresspiegel und Ledezma baut hier wie viele andere Kaffee an. Schattenspendende Bäume und Kaffeesträucher dominieren seine zwei Hektar große Farm – und auch ein paar Dutzend bunte, aus Holzlatten zusammengezimmerte Bienenkästen. Zum einen schwört Ledezma auf guten Honig, zum anderen ist er sicher, dass seine Kaffeeerträge dank der summenden Bestäuber höher sind als zuvor. 

Dafür hat er gute Argumente. Zwar ist Kaffee ein Selbstbestäuber und nur auf den Wind angewiesen. Aber Studien des Smithsonian Tropical Research Institute aus Panama belegen, dass die Kaffeeerträge rund 20 bis 30 Prozent höher ausfallen, wenn Insekten wie Bienen und Hummeln bei der Bestäubung helfen. Unter anderem deshalb haben mehr und mehr Kaffee-Genossenschaften, so wie die von Ledezma, mittlerweile Honig im Angebot. Sie wollen so auch dem Bienensterben etwas entgegensetzen. 

Dass dies auch in Kolumbien beachtet wird, ist Imkern wie Abdón Salazar aus dem weiter nördlich liegenden Armenia zu verdanken. Dort schlossen sich 2016 die ersten Imker zusammen, um den Ursachen des Sterbens ganzer Bienenvölker auf den Grund zu gehen. „Bei uns in Quindío starben 2016 in neun Monaten 3420 Bienenvölker, jedes einzelne mit bis zu 80.000 Tieren“, erklärt Salazar. Ihn hat das Massensterben der Bienen an den Rand der Pleite geführt. Salazar gehört zu denjenigen, die damals tote Bienen auf eigene Rechnung zur Analyse ins Labor an die Universität Quindío schickten. „Wir haben uns zusammengeschlossen, um Beweise für das zu bekommen, was wir schon lange geahnt haben“, sagt er.

Als der Avocado-Anbau zunahm, begann das Bienensterben

Schon 2004 war dem Imker mit heute vierzig Jahren Berufserfahrung aufgefallen, dass die Zahl der toten Bienen in den Kästen zunahm, dass viele Tiere nicht den Weg zurück in die Bienenkästen fanden und dass die Bienen weniger Honig und Pollen produzierten. Schon früh vermutete er, dass Pestizide dafür verantwortlich sein könnten. Deren Einsatz war mit der Ausbreitung des Avocado-Anbaus in der Region ausgeweitet worden. 

2016 wurde aus der Vermutung Gewissheit, die Analysen der Universität Quindío waren eindeutig: „Fipronil fand sich in mehr als 60 Prozent der eingelieferten Proben toter Bienen, aber auch Neonikotinoide wie Imidacloprid wurden eindeutig nachgewiesen“, sagt der Imker. Er bietet auch Imkerbedarf und Beratung an und hat rund dreihundert Bienenvölker auf Gartengrundstücken und Freiflächen. 

Ein Etappensieg für Salazar und seine Mitstreiter

Der mittlerweile landesweit bekannte Verteidiger der Bienen hat weitere Tausend Bienenvölker nach Meta, einen anderen Verwaltungsbezirk, geschafft. Denn die Erträge in Quindío sind immer noch sehr niedrig; die hochtoxischen Insektizide machen sich weiter bemerkbar. Allerdings deutlich weniger, denn Salazar und seine Mitstreiter haben einen Etappensieg errungen: Seit Februar 2024 ist Fipronil in Kolumbien verboten. Es darf nach einer Übergangsphase von zwölf Monaten nicht mehr verkauft werden. „Nun brauchen wir noch effiziente Kontrollen, um das auch durchzusetzen“, sagt Salazar. Die fehlen in Kolumbien weitgehend, und das will der Imker mit seiner Organisation Abejas Vivas (Lebende Bienen) ändern. Zudem setzt er sich dafür ein, dass auch die in Kolumbien immer noch legalen Neonikotinoide verboten werden. Denn die seien nachweislich mitverantwortlich für das Sterben von Bienen, Hummeln und anderen Bestäubern.

Autor

Knut Henkel

ist freier Journalist in Hamburg und bereist regelmäßig Lateinamerika und Südostasien.

Längst ist das Thema Bienensterben ins gesellschaftliche Bewusstsein gedrungen, auch dank der Medien. „Wir sind 2016 mit unseren Laborbelegen und den Fakten rund um das Massensterben der Bienenvölker in Quindío an die lokalen Radiosender gegangen. Die haben das aufgegriffen, und es hat sich landesweit verbreitet. Auch dadurch ist unser Netzwerk gewachsen, so dass wir nun im ganzen Land aktiv sind“, sagt der Imker.

Luis Domingo Gómez ist Rechtsanwalt und ausgewiesener Tierschützer und arbeitet unentgeltlich als Rechtsbeistand für Abejas Vivas. Er hat das Verbot von Fipronil mit einer Klage auf den Weg gebracht. Den Ausschlag habe am Ende eine kolumbianische Studie des Agrarforschungsinstituts Agrosabia über die desaströsen Folgen von Fipronil für die Bestäuber geliefert, so Gómez. Der 50-jährige Jurist hatte in dem Verfahren unter anderem darauf verwiesen, dass der Einsatz des vom deutschen Chemiekonzern BASF vertriebenen Insektizids in Europa streng reguliert und weitgehend verboten ist. „In Kolumbien wird es jedoch noch produziert, wahrscheinlich in Lizenz“, kritisiert Gómez. 

Die Bienen finden nicht mehr zurück in ihren Bienenstock

Das bestätigt André Riveros. Der Professor der Universität del Rosario in Bogotá forscht seit über zehn Jahren zu den Schäden, die Insektizide wie Fip­ronil, Imidacloprid und andere Neonikotinoide im Gehirn der Bestäuber anrichten. Der promovierte Neurobiologe hat in mehreren Studien nachgewiesen, dass die Tiere unter einer Mischung aus Alzheimer und Parkinson leiden. „Motorische Probleme, Defizite bei der Informationsverarbeitung und bei der Orientierung sind direkte Folgen des Kontakts mit Insektiziden“, sagt er. Die Bienen finden den Weg zurück in ihren Bienenstock nicht mehr, verhungern und scheiden daher als Bestäuber aus – mit langfristig fatalen Folgen für die Land- und Forstwirtschaft. 

André Riveros forscht an der Universität in Bogotá zu Schäden, die Insektizide im Gehirn von Bienen verursachen. Seine Diagnose: Die Tiere leiden an einer Mischung aus Alzheimer und Parkinson.

Rund ein Drittel der weltweit vorkommenden Insekten sind laut einer 2023 erschienenen Studie der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO gefährdet, darunter auch Bienen. Ursache dafür ist vor allem die agroindustrielle Landwirtschaft mit ihrem hohen Pestizideinsatz. In Kolumbien sterben laut offiziellen Schätzungen mindestens 3000 Bienenstöcke pro Jahr. Laut Riveros könnten es jedoch bis zu einem Drittel des Bestandes von geschätzt 120.000 Bienenvölkern sein. Das Problem sei jedoch, dass es keine detaillierten Studien gibt.

Pestizide werden noch giftiger, wenn man sie mixt

Verschärft wird das Problem dadurch, dass Bauern – Kleinbauern genauso wie größere Betriebe –  auf dem Markt erhältliche Pestizide miteinander mischen. „La Bomba“ nennt sich diese Praxis laut dem Biobauern Ledezma. „Die Bauern hoffen dadurch die Wirksamkeit zu steigern, riskieren aber oft auch ihre eigene Gesundheit“, erklärt der Neurobiologe Riveros. Er kennt das aus eigener Anschauung, denn er ist in einer ländlichen Region vor den Toren der kolumbianischen Hauptstadt mit Kontakt zu Imkern aufgewachsen. Nicht zuletzt deshalb hat er sich früh mit dem Gehirn von Bienen und anderen Bestäubern sowie den schädlichen Folgen von hochtoxischen Insektiziden beschäftigt. 

Doch André Riveros hat Hoffnung, dass sich das grundlegend ändert. Zum „Meilenstein für den Schutz der Bienen“ soll ein Präparat für Bestäuber werden, das er gemeinsam mit seinem Team an der Universidad del Rosario entwickelt hat. Seit 2018 wird dort in dem aus Bambus gebauten Bienenhaus geforscht, das von Blumen umgeben auf dem Dach eines Universitätsgebäudes steht. 

„Unser Präparat reduziert die Orientierungslosigkeit der Bestäuber nach dem Kontakt mit neurotoxischen Wirkstoffen wie Fipronil und Imidacloprid“, erklärt Riveros. „Dabei haben wir nicht nur Erfolge bei den beiden genannten Insektiziden vorzuweisen, sondern auch gegen etliche auf dem Markt gängige Kombinationen. Unser Präparat macht die Bestäuber widerstandsfähiger.“ 2022 wurden vielversprechende Ergebnisse erstmals im „Journal of Experimental Biology“ veröffentlicht, seit Januar 2024 ist die kolumbianische Formel beim britischen Büro für Patente registriert.

Das Präparat nutzt die antioxidative Wirkung von Flavonoiden

Mit seinem Team arbeitet Riveros derzeit daran, die Formel, die auf der antioxidativen Wirkung der Flavonoide basiert, zu verbessern. Flavonoide sind Naturstoffe, zu denen die meisten Blütenfarbstoffe gehören. Etliche davon sind in dem flüssigen Präparat enthalten, das sich problemlos mit Zuckerwasser oder auch mit Pollen mischen lässt und so an die Bienen verfüttert wird. Das Präparat, für das es noch keinen Handelsnamen gibt, ist ein laut Riveros billig herzustellendes Nahrungsergänzungsmittel. 

Die Universidad del Rosario sucht gemeinsam mit der Universität Atlanta in den USA, an der Riveros promoviert hat, und einer weiteren kolumbianischen Universität ein Unternehmen, das sie mit der Produktion in Lizenz betrauen können. Die drei Universitäten haben gemeinsam das Patent angemeldet und wollen das Präparat so schnell wie möglich interessierten Imkern zur Verfügung stellen.

Schadensersatz  für den Tod Tausender Bienenvölker gefordert

Darauf warten Abdón Salazar und seine Kollegen von Abejas Vivas. „Uns fehlen die Freilandstudien, die Aufschluss darüber geben können, ob das Präparat wirklich leistet, was es unter Laborbedingungen verspricht“, sagt der Imker. Gut sei, dass ein derartiges Forschungsprojekt in Kolumbien angesiedelt sei. Doch Priorität haben für Salazar und Rechtsanwalt Luis Domingo Gómez weiterhin ihre juristischen Initiativen, weitere Neonikotinoide in Kolumbien zu verbieten und vom kolumbianischen Staat Schadensersatz für den Tod Tausender Bienenvölker einzufordern. Die spektakuläre, von Gómez ausgearbeitete Schadensersatzklage könnte Modellcharakter für andere Länder haben – ebenso wie die Forschung von André Riveros über die Flavonoide. 

Doch das ist Expertinnen wie Corinna Hölzel von der Naturschutzorganisation BUND zu wenig. „Statt ein Mittel gegen die schädlichen Effekte von Insektiziden zu entwickeln, sollten gefährliche Pestizide verboten und andere chemisch-synthetische Pestizide stark reduziert werden“. Das sehen Imker wie Ledezma und Salazar ähnlich: „Prioritäres Ziel bleibt das Verbot sämtlicher für die Bienen gefährlicher agrotoxischer Substanzen.“ Dem pflichtet Anwalt Gómez bei: „Wir haben keine Langzeitstudien zu den Folgen des Pestizideinsatzes. Wir brauchen mehr Forschung in alle Richtungen – auch über die günstige Wirkung von Flavonoiden.“ Ob die die Erträge von Imkern stabilisieren oder wieder steigern können – dazu laufen Tests und Studien mit den Imkern im Großraum Bogotà. 

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erschienen in Ausgabe 4 / 2024: Zurück zu den Wurzeln?
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