Liebe hat keine Religion

Im Senegal gehören knapp 95 Prozent der Bevölkerung dem Islam an – Christen bilden eine kleine Minderheit. Das Verhältnis zwischen den Religionen ist offen und tolerant, Feiertage wie Ostern werden gemeinsam gefeiert. Wer konvertieren will, bekommt keine Steine in den Weg gelegt.

Jesus hängt einarmig am Kreuz. Etwas schief baumelt die Holzfigur an der Wand. Senabou Diouf und Alain Sene empfangen uns in ihrem kargen Steinhaus in Kaolack, einer Stadt mit 200.000 Einwohnern, vier Autostunden südwestlich der senegalesischen Hauptstadt Dakar. Händchenhaltend sitzen die beiden nebeneinander unter der kaputten Jesusfigur. Draußen scheuchen vier ihrer fünf Kinder die Ziegen über den Hof. Im Haus duftet es nach Weihrauch.

Autorin

Ellen Köhrer

ist freie Journalistin in Berlin. Sie schreibt über Soziales, Kultur und Reisen.

Die 46-jährige Diouf ist Muslimin, der 60-jährige Sene Katholik. Beide kannten sich lange, bevor sie den Bund der Ehe geschlossen haben, sie sind sogar entfernt miteinander verwandt. „Wir haben dreimal geheiratet“, erzählt Diouf und ein Lächeln huscht über ihr rundes Gesicht, „im Standesamt, in der Moschee und in der katholischen Kirche.“ Ihr Mann nickt stumm, auch er lächelt. Sie schlägt das Fotoalbum auf und zeigt auf die Bilder der muslimischen Trauung mit dem Imam. 22 Jahre sind seit der Zeremonie vergangen. Senes Haare und Bart sind inzwischen grau, er wirkt ernst und etwas müde neben seiner lebhaften Frau. Diouf trägt einen dunkelroten Boubou, das typische Gewand der Senegalesen, um die Haare ein geknotetes Tuch. Kein Kopftuch – das bleibt dem Besuch in der Moschee vorbehalten.

Ehen zwischen Angehörigen verschiedener Religionen sind im Senegal keine Seltenheit, obwohl die überwiegende Mehrheit der Gläubigen zu den muslimischen Sunniten gehört. Das hat auch mit der senegalesischen Tradition der „Teranga“ zu tun. Gastfreundschaft bedeutet das in der Sprache der Wolof, die von der Mehrheit der Senegalesen gesprochen wird: Jeder wird willkommen geheißen, egal, welcher Religion oder Volksgruppe er angehört.

Noch vor der Trauung mussten sich Diouf und Sene entscheiden, ob sie polygam leben wollten, wie es im Land weit verbreitet ist. „Meine Mutter war eine von vier Frauen meines Vaters“, sagt Diouf. Als Kind hat sie miterlebt, dass es unter den Ehefrauen keine Gleichberechtigung gibt. Eine der Frauen lebt mit dem Mann in dessen Haus, die anderen müssen sehen, wie sie mit ihren Kindern allein zurechtkommen. Kein Wunder, dass sich die beiden gegen die Tradition und für die Monogamie entschieden haben.

Muslime wie Diouf machen 94 Prozent der 12,6 Millionen Einwohner im Senegal aus. Etwa fünf Prozent sind Christen – der Großteil davon Katholiken wie Sene –, der Rest Animisten. Unabhängig von ihrer Religion glauben viele Senegalesen an die magische Kraft von Natur, von religiösen Führern wie Marabuts und von Fetischen. Seit dem 11. Jahrhundert ist der Islam auf dem Gebiet des heutigen Senegal verwurzelt. Die aus einer muslimischen Sekte hervorgegangene Dynastie der Almoraviden herrschte damals über den Nordwesten Afrikas und sorgte für die Ausbreitung ihres Glaubes unter den Berberstämmen. Im 15. Jahrhundert brachten die portugiesischen Entdecker das Christentum ins Land. Die Franzosen beschränkten sich während der Kolonialzeit mit ihrer Missionierung auf die noch nicht islamisierten Völker, um den sozialen Frieden zu wahren. Seit der Senegal 1960 unabhängig wurde, sind Staat und Religion per Gesetz getrennt.

Mit zwölf Jahren konvertiert

Mischehen wie die von Diouf und Sene werden vor allem in den Städten und in den gebildeten Schichten geschlossen. Auch Staatspräsident Abdoulaye Wade, ein Muslim, ist mit einer Christin verheiratet. Wie Diouf und Sene haben der Präsident und die First Lady beschlossen, ihren jeweiligen Glauben zu behalten. Diouf hat lange überlegt, ob sie zum katholischen Glauben übertreten soll. Bis ihr ein Traum den Weg wies. „Ich begegnete Jesus, der eine Herde Zicklein fütterte, dabei drehte er sich von mir weg“, erzählt sie. „Das war für mich das Zeichen, bei meinem Glauben zu bleiben.“ Sie hat ihre Gebetskette, ihr Mann Kreuze und Marienbilder, die an den Wänden ihres Hauses hängen. Ihre Kinder lernen beide Religionen kennen und sollen später selbst entscheiden, was richtig für sie ist. „Mein Ziel ist, dass aus ihnen einmal etwas wird“, sagt Diouf, „egal welchen Glauben sie annehmen.“

Solange begleiten sie ihren Vater sonntags zum Gottesdienst in die Kathedrale Saint Théophile Turpin in Kaolack. Hier hat Sene bis zu seiner Pensionierung als Katechist, also als Laienprediger und Religionslehrer, gearbeitet. Von der Kirche bekommt er eine kleine Rente, zu wenig um seine Familie zu ernähren. Deshalb hilft er im Kirchensekretariat aus und verdient sich ein kleines Zubrot. Obwohl Sene aus einer muslimischen Familie stammt, hat er eine katholische Schule besucht. „Am meisten beeindruckt hat mich, dass Jesus seinen Feinden vergeben hat“, sagt Sene. „Im Islam bleibt ein Feind ein Feind.“ Gerade zwölf Jahre alt, beschloss er, zum Christentum zu konvertieren. Als er das zu Hause erzählte, setzten ihn seine Eltern vor die Tür. Er hatte Glück: Der Pfarrer nahm ihn bei sich auf.

Der Weg zum Marabut Cheikh Tidiane Tall in der Hauptstadt Dakar führt in eines der ärmeren Viertel, vorbei an einer Koranschule. Dort sitzen 30 Jungen auf dem nackten Steinboden. Mit Holztafeln auf dem Schoß hören sie aufmerksam dem Lehrer zu. Finanziert wird die Schule von Marabut Tall, der gleich nebenan in seinem Wohnzimmer empfängt. Der groß gewachsene Mann trägt einen fliederfarbenen Boubou. Von Beruf ist er Chirurg an einer Klinik in Dakar, aber eben auch religiöser Führer einer muslimischen Sufi-Bruderschaft. Cheikh Tidiane Tall ist einer von vier Marabuts im ganzen Land. Sie definieren die Regeln für die Gläubigen ihrer weit verzweigten Bruderschaft, interpretieren den Koran und unterhalten Koranschulen. Oft werden sie wie Heilige verehrt. Teilweise üben sie auch traditionelle Riten aus, betreiben Heilkunde und weihen Amulette und Glücksbringer.

Der Marabut stellt gleich zu Beginn klar, dass die Religion für ihn keinen Unterschied macht. „Menschen sind Brüder, Verwandte und Freunde – nicht Katholiken und Muslime“, sagt er. „Der Islam sieht in Jesus auch einen großen Propheten.“ Deswegen werden Feiertage wie Ostern im Senegal gemeinsam begangen. Dass beide Religionen einen Dialog führen, ist ihm besonders wichtig. Die Probleme im Senegal sind nach Ansicht des Marabuts nicht religiöser, sondern wirtschaftlicher und politischer Natur. „Hier im Senegal gibt es eine Minderheit, die Macht hat und sich nicht um die anderen sorgt“, sagt er.

Viele junge Senegalesen verlassen ihre Heimat

Die Wirtschaft des Senegal ist marode. Jeder Zweite ist arbeitslos und mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Besonders schlecht ist die Situation in ländlichen Regionen mit wiederkehrenden Dürren und Heuschreckenplagen. Außer Erdnüssen, Hirse, ein wenig Obst, Gemüse und Baumwolle wächst nicht viel in dem trockenen Boden der Sahelzone. Trotzdem arbeiten mehr als 70 Prozent der rund 12,5 Millionen Senegalesen in der Landwirtschaft.

Der Fischfang, die wichtigste Einnahmequelle des Landes, ist stark zurückgegangen, seit europäische und japanische Fangflotten den Atlantik vor der Küste leer fischen. Viele junge Senegalesen verlassen deshalb ihre Heimat. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks waren das im vergangen en Jahr etwa 18.000. Die Ursache vieler Probleme sieht Marabut Tall darin, dass es keine soziale Gerechtigkeit gibt. Eine Sozialversicherung und damit Anspruch auf eine staatliche Rente haben nur die wenigen mit einem offiziellen Job. Die meisten Menschen sind im informellen Sektor beschäftigt. Sozialhilfe und Krankenversicherungen gibt es nicht, Schulen und Ausbildung kosten Geld. Hier setzen die Einrichtungen der Religionsgemeinschaften an. Die katholische Kirche finanziert etwa über die Caritas und das internationale katholische Missionswerk missio Krankenstationen und Schulplätze für Kinder auf dem Land.

Auch etwa 115 Kilometer weiter südlich auf der „Muschelinsel“ Fadiout leben die Religionen friedlich zusammen. Über den einstöckigen, bunt bemalten Häusern ragt der Kirchturm von St. François Xavier mit seinem roten Herzen an der Spitze heraus. Alte Männer sitzen im Schatten und spielen Karten, Frauen waschen das Geschirr in Blechkübeln. Fadiout ist vor etwa 1500 Jahren aus aufgeschütteten Muscheln entstanden. Eigentlich sind es drei Inseln, die Hauptinsel ist dicht bebaut und beherbergt 7100 Einwohner. 95 Prozent davon sind Christen, der Rest Muslime – genau umgekehrt wie im Rest des Landes.

„Wir haben hier auf der Insel eine Moschee und eine Kirche“, sagt Bernard Ndour, der Pfarrer der Inselkirche St. François Xavier, ein großer, kräftiger Mann. „Taufen und Beerdigungen werden von Christen und Muslimen gemeinsam gefeiert und wir beten auch zusammen.“ Ihr gemeinsamer Ursprung ist für die Menschen hier stärker als die Religion. Sie sind alle über ein paar Ecken miteinander verwandt. Ndous Großvater war Muslim, seine Eltern sind Christen geworden. Auf Mischehen angesprochen antwortet er nur: „Liebe hat keine Religion.“ Auch ihre letzte Ruhe finden Christen und Muslime gemeinsam auf der Friedhofsinsel von Fadiout, unter mächtigen Baobabbäumen.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2011: Bodenschätze: Reiche Minen, arme Länder
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