„Die Wut und den Ärger loswerden“

In der Grenzregion zwischen Kenia und Somalia ist das Leben hart. Es regnet selten, Wasser und Weidegründe für das Vieh sind knapp. Schon geringe Anlässe lösen Gewalt aus. Dekha Ibrahim Abdi setzt sich im Auftrag der kenianischen Regierung dafür ein, dass Konflikte friedlich gelöst werden. Mit Erfolg. Für ihre Arbeit erhielt sie bereits den Alternativen Nobelpreis und den Hessischen Friedenspreis.
Dekha Ibrahim Abdi ist Muslimin, eine elegante Frau, die sich in leuchtende Farben kleidet. Im Norden Kenias, in der kargen Grenzregion zu Somalia, ist sie als Schlichterin von Konflikten unterwegs. Hier brauchen die Menschen einen besonders starken Überlebenswillen. Es regnet höchstens zwei Wochen im Jahr, Ackerbau ist kaum möglich und die Menschen leben als Halbnomaden von ihren Tieren. Seit dem Zerfall Somalias machen islamistische Al-Shabab-Rebellen und bewaffnete Banditen die Region unsicher.
 

Autorin

Claudia Mende

ist freie Journalistin in München und ständige Korrespondentin von „welt-sichten“. www.claudia-mende.de

Viele Konflikte entstehen, weil die Ressourcen knapp sind und die staatlichen Strukturen zu schwach, um das Wenige gerecht zu verteilen. Der Klimawandel verschärft die Situation. Oft genügt ein kleiner Anlass, damit Gewalt ausbricht. Dekhas Rezept für Auseinandersetzungen klingt einfach, fordert aber eine große innere Stärke: miteinander reden. Und es funktioniert, selbst in diesem unruhigen Gebiet. Auf der somalischen Seite gibt es kaum Schulen und Krankenhäuser, sogar die Viehmärkte liegen in Kenia. „Wenn die Somalis über die Grenze kommen, um auf dem Markt ihre Tiere zu verkaufen, kommt die kenianische Polizei und verhaftet sie wegen illegalen Grenzverkehrs", sagt Dekha. Die Angehörigen der Verhafteten geraten in Rage, schnell kommt es zu Schießereien.

Um das zu verhindern, hat Dekha Ibrahim Abdi als regionale Koordinatorin für die nichtstaatliche Organisation „Pact" und im Auftrag der kenianischen Regierung Streitschlichter und Mediatoren ausgebildet. In zähen Verhandlungen mit der Polizei hat sie schließlich erreicht, dass die Somalis offiziell über die Grenze kommen dürfen, um ihre Tiere zu verkaufen. Wenn die Polizei Somalis aufgreift, kommen die heute erst vor einen Bürgerrat. Der untersucht dann, ob sie nur ihre Zeit überzogen haben und nicht vor Einbruch der Dunkelheit zurück konnten oder ob etwa Kontakt zu den gefürchteten Al-Shabab-Milizen besteht. Werdende Mütter aus Somalia dürfen in kenianischen Krankenhäusern behandelt werden; somalische Mädchen und Jungen dürfen offiziell in Kenia zur Schule gehen.

„Das ist ganz wichtig", meint Dekha, „denn wenn sie sich langweilen, schließen sie sich am Ende bewaffneten Banden an." Sie arbeitet mit Jugendgruppen und Frauentreffs, mit Friedensinitiativen und religiösen Würdenträgern. Sie redet mit allen und versucht, die Menschlichkeit in ihnen zu sehen, auch wenn es Polizeioffiziere oder Geheimdienstleute sind. Sogar mit den Al-Shabab-Milizen hat sie schon verhandelt, als die einen psychisch kranken Lehrer festhielten, der sich nach Somalia verirrt hatte. Wenn man sie deshalb kritisch anschaut, wird sie deutlich. „Mein Gott, das sind doch auch Menschen." Nach vier Tagen ließen die Milizen den Lehrer wieder frei.

Dekha wurde 1962 im Wajir-Distrikt an der Grenze zu Somalia geboren. Ethnisch gesehen ist sie eine Somali. Als junge Lehrerin hat sie miterlebt, wie Rebellen für den Anschluss des Gebietes an Somalia kämpften und die Bevölkerung terrorisierten. Bewaffnete Überfälle, Hass und Tod waren an der Tagesordnung. Trotz eines offiziellen Waffenstillstandes 1967 gingen die Auseinandersetzungen bis in die 1990er Jahre weiter. Als sie 1991 ihr erstes Kind bekam, wollte sie nicht länger zusehen. Auf einer Hochzeitsfeier traf Dekha drei gleichgesinnte Frauen. Gemeinsam stellten sie sich den Problemen. Jeden Nachmittag trafen sie sich, um Konflikte zu besprechen: überhöhte Preise auf dem Markt, Streit um Wasserstellen, Probleme mit Jungenbanden in der Schule, Auseinandersetzungen um Brautpreise zwischen Familien, nichts war ihnen zu unbedeutend.

Immer wieder brachten die drei Frauen verfeindete Parteien zusammen. Man stritt, schrie, redete stundenlang und konnte auf diese Weise viele Probleme auf ein menschliches Maß reduzieren. Im zweiten Schritt bezogen sie die Ältesten, religiöse Führer sowie Politiker und Geschäftsleute mit ein. Am Anfang war es ungewohnt, dass eine Frau in solchen Runden verhandelte. Aber Frauen haben eine vergleichsweise starke Stellung in der nomadischen Gesellschaft Somalias. „Es ist relativ leicht, die Anerkennung der religiösen Führer und der Clan-Ältesten zu bekommen", meint Dekha und lächelt verschmitzt. „Ich akzeptiere ihre Spielregeln. Sie vergessen dann, dass ich eine Frau bin, und sehen mich nur noch in meiner Funktion." Schwieriger sei es mit Geschäftsleuten und Politikern, die nicht am Gemeinwohl interessiert sind. „Wenn man ihre Interessen berührt, dann kommen sie einem in die Quere."

Im Wajir-Distrikt ist es auf diese Weise gelungen, die Situation zu befrieden. Dekha und ihre Mitstreiterinnen haben wesentlich dazu beigetragen, dass ein Friedensabkommen zwischen verschiedenen Clans und Ethnien möglich wurde und die Grenzregion einen - wenn auch labilen - Frieden gefunden hat. Dekha machte weiter, auch nachdem sie mit ihrem Mann, einem Augenarzt, und den inzwischen vier Kindern nach Mombasa gezogen war. Sie hat ihre Methode, Streit zu schlichten, weiter professionalisiert. Zunächst müssen die Konfliktparteien überhaupt bereit sein, sich mit ihr und dann auch mit den Gegnern zu treffen. Dann muss den Menschen erlaubt werden, „ihre Wut und ihren Ärger los zu werden," so nennt sie es. Auch die Vermittlerin muss diese Wut aushalten. Manchmal hält sie die erbosten Streithähne sogar auf ihrem Stuhl fest, damit sie nicht erregt aufspringen und weglaufen.

„In dieser Phase kommen ganz viele Vorwürfe an andere", sagt sie. „Die Regierung, die Gemeinde, Männer, andere Clans, alle anderen sind schuld. Erst wenn das alles raus ist, kommt die eigene Rolle zur Sprache." Dann erst löst sich die Wut auf. Wenn jemand vollkommen außer sich ist, greift Dekha auf Rituale zurück, die den Menschen in Afrika vertraut sind. „Zum Beispiel lege ich einem emotional sehr Aufgewühlten einen Rosenkranz auf den Kopf, gebe ihm ein grünes Blatt in die Hand oder spreche den Namen Gottes aus." Der Rosenkranz ist ein Symbol für Christen und Muslime gleichermaßen.

Ihre Arbeit verlangt unendlich viel Geduld. Ist sie nicht manchmal ungehalten, wenn gar nichts vorangeht? Dekha schüttelt energisch den Kopf. „Bei dieser Arbeit darf man niemanden verurteilen", betont sie. Nicht nur das Opfer hat seine eigene Wahrheit, sondern auch der Täter. Wichtig ist ihr, eine Beziehung zwischen beiden wieder herzustellen. Die vollständige Aussöhnung kann nicht immer gelingen, aber wenigstens einen Aspekt eines Konflikts könne sie meistens bereinigen. Ihr Ansatz ist auch deshalb erfolgreich, weil Menschen in Kenia den Glauben an moderne staatliche Strukturen verloren haben. Zu oft mussten sie korrupte und unfähige Gerichte erleben.

Und wie geht eine Friedensstifterin mit Konflikten in der eigenen Familie um? Da lacht sie. „Natürlich sagen auch meine Kinder manchmal, ich wäre besonders gemein, weil sie pro Woche bloß ein oder zwei Filme im Fernsehen anschauen dürfen." Aber auch in der Familie gilt: Ist der Ärger erst einmal draußen, dann ist der Konflikt nur noch halb so wild.

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erschienen in Ausgabe 6 / 2011: Wir konsumieren uns zu Tode
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