Mehr als 100 Tote nach Anschlägen in Kabul

Frankfurt a.M., Kabul - Nach den Anschlägen am Flughafen von Kabul und kurz vor Ende der Evakuierungen wächst in Afghanistan die Verzweiflung. Immer mehr Menschen strömten zum Flughafen, in der Hoffnung, es noch auf einen der letzten Flieger ins Ausland zu schaffen, wie der Sender Al-Dschasira am Freitag berichtete. Die Zahl der Toten bei dem Doppelanschlag von Donnerstag stieg demnach inzwischen auf mindestens 110 Menschen, darunter 13 US-Soldaten. Unterdessen hält die Gefahr von Anschlägen an.

Einige Länder, darunter Deutschland, beendeten die Evakuierung von Landsleuten und gefährdeten Afghaninnen und Afghanen. Das Auswärtige Amt schätzt, dass noch mehr als 10.000 Menschen im Land zurückgeblieben sind, die eine Aufnahmegarantie von Deutschland haben, darunter 300 Deutsche. 5.347 Menschen, darunter mehr als 4.000 Afghaninnen und Afghanen und rund 500 Deutsche wurden demnach seit Montag ausgeflogen. Die letzten deutschen Soldatinnen und Soldaten wurden am Abend in Begleitung von Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) auf dem Militärflughafen in Wunstorf bei Hannover zurück erwartet.

WHO warnt vor Zusammenbruch des Gesundheitssystems

Die humanitäre Lage in Afghanistan ist katastrophal. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnte vor dem Zusammenbruch des Gesundheitssystems. Der Vorrat an Medikamenten und medizinischen Geräten reiche nur noch für einige wenige Tage, sagte der WHO-Notfalldirektor für die Region, Rick Brennan, in einer Videopressekonferenz in Genf. Lieferungen über den Flughafen Kabul seien wegen Gewalt und Chaos nicht möglich. Die WHO versuche nun, Transporte über den Flughafen in Masar-i Scharif im Norden des Landes abzuwickeln.

Die UN bereiten sich auf eine Massenflucht aus Afghanistan vor. Im schlimmsten Fall könnten mehr als 515.000 Bewohner aus dem Krisenland fliehen, warnte die stellvertretende UN-Hochkommissarin für Flüchtlinge, Kelly Clements, in Genf. Das UNHCR stelle Hilfsgüter in den Nachbarländern bereit.

Anhaltende Dürre und hungernde Kinder

Neben der Gewalt haben eine anhaltende Dürre und die Folgen der Corona-Pandemie verheerende Auswirkungen auf die Menschen. In den vergangenen Wochen sind Tausende Familien aus den Provinzen vor den Kämpfen zwischen den Taliban und der Armee in die Hauptstadt geflohen. Laut dem afghanischen TV-Sender Tolo baten nun die Flüchtlinge die Taliban, die vor knapp zwei Wochen die Macht im Land ergriffen, und humanitäre Organisationen um Hilfe für eine Rückkehr in ihre Heimatgebiete.

Etwa 5,5 Millionen Afghaninnen und Afghanen sind den UN zufolge innerhalb des Landes auf der Flucht. Bereits zu Beginn des Jahres brauchte demnach rund die Hälfte der Bevölkerung von 40 Millionen Unterstützung zum Überleben. Etwa eine Million Kinder drohen ohne sofortige Hilfe zu verhungern.

Taliban sorgen für Sicherheit am Flughafen

Aber auch die Sicherheitslage in dem Land bleibt nach den Selbstmordanschlägen nahe einem Eingang zum Flughafen und einem Hotel, wo die britische Botschaft die Evakuierungen vorbereitet, angespannt. Die USA gingen davon aus, dass weitere Angriffe geplant seien, sagte der Chef des Zentralkommandos der US-Streitkräfte, General Kenneth McKenzie, am Donnerstagabend (Ortszeit). Man werde alles tun, um darauf vorbereitet zu sein. Dazu gehöre auch, mit den Taliban zu sprechen, „damit sie wissen, was wir zu unserem Schutz erwarten“. Denn die Taliban sorgten für die äußere Sicherheitsabsperrung außerhalb des Flughafens und nahe dem Rollfeld. Dem Sender Al-Dschasira zufolge haben die Taliban Tausende Kämpfer aus anderen Regionen des Landes nach Kabul abgezogen, um die Sicherheit um den Flughafen zu verbessern.

Zu den Anschlägen bekannte sich eine Abspaltung der Taliban, die zur Terrororganisation IS gehört, die IS-Khorasan, oder IS-K. Die Gruppe ist für besonders brutale Angriffe bekannt, beispielsweise auf eine Entbindungsstation in Kabul im Mai 2020 mit mindestens 24 Toten. US-Präsident Joe Biden drohte den Drahtziehern der Anschläge mit Vergeltung. Vor den Angriffen hatten mehrere Botschaften in Kabul vor Attacken des IS gewarnt und die Menschen aufgerufen, das Gebiet um den Flughafen zu räumen.

Rotes Kreuz fordert Erleichterungen bei Visaverfahren für Flüchtlinge

Das Rote Kreuz rechnet nach der Machtübernahme der Taliban mit deutlich mehr Suchanfragen nach Vermissten aus Afghanistan. Bereits seit Tagen verzeichneten die Beratungsstellen des DRK-Suchdienstes einen drastischer Anstieg bei den Anfragen, erklärte DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt. Familien würden auseinandergerissen, die Suche nach Vermissten sei langwierig und schwierig. Die Organisation forderte Erleichterungen für flüchtende Afghaninnen und Afghanen, beispielsweise bei den Visaverfahren in den Nachbarländern.

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