Das Lager als eigene Welt

Katharina Inhetveen
Die politische Ordnung des Flüchtlingslagers
Akteure-Macht-Organisation. Eine Ethnographie im südlichen Afrika

Tanscript Verlag, Marburg 2010,
444 Seiten, 35,80 Euro


Hunderttausende Flüchtlinge weltweit sind langfristig in Lagern untergebracht, weil sie aus unterschiedlichen Gründen nicht in ihre Heimat zurückkehren können. Verschiedene Interessensgruppen wie Regierungsvertreter, UN-Organisationen und eine Vielzahl nichtstaatlicher Organisationen (NGO) bringen ihre Perspektiven, Ressourcen und Außenbeziehungen in diese Lager ein. Die Münchner Soziologin Katharina Inhetveen untersucht deren Ordnungsmechanismen. Die vorliegende Studie basiert empirisch hauptsächlich auf einer sechsmonatigen Feldforschung mittels Interviews und teilnehmender Beobachtung in zwei Lagern angolanischer Flüchtlinge in Sambia.

Die Autorin stützt sich im einführenden Teil ihres Buches auf empirische Diskussionen und das theoretische Instrumentarium wie Neo-Institutionalismus, Biomachtanalyse, Theorien der Kasernierung und Flüchtlingsforschung. Der zweite Teil befasst sich mit den einzelnen Akteuren des Flüchtlingslagers und ihren Beziehungen zueinander. Hier werden unter anderem Aspekte der nationalen Souveränität sowie die Zusammenarbeit, Konkurrenz und Abhängigkeiten zwischen NGOs und UNHCR beleuchtet. Auch die Rolle und das Label des „Flüchtlings“ werden unter psychologischen und organisatorischen Aspekten untersucht. Im Anschluss analysiert Inhetveen die institutionellen Kennzeichen von Flüchtlingslagern als kulturell und organisatorisch heterogene Ordnungen der humanitären Kasernierung.

Im Schlusskapitel fasst die Autorin die wichtigsten Ergebnisse zusammen. In einer kapitelübergreifenden Zusammenschau wird die politische Ordnung des Flüchtlingslagers in fünf Dimensionen dargestellt: die Akteure in ihrer institutionellen Prägung, mit ihren Eigen- und Fremdbildern und Widerständen; die Beziehungen zwischen ihnen, soziale Bezüge wie Herkunft, Organisationsebenen, Geldgeber; Ressourcen sowie Raum und Zeit. Eine Verallgemeinerung der Schlussfolgerungen sei allerdings nur begrenzt möglich, weil sich Flüchtlingslager nur schwer zu bestimmten „Typen“ zusammenfassen lassen, so das Fazit der Autorin.

Über die Analyse von Flüchtlingslagern hinaus könne diese Forschungsmethodik jedoch auch als Instrument dienen, mit dem sich die Entwicklung von anderen humanitären Kasernierungen konzeptionell präziser verfolgen ließe. Insgesamt wird auf fast 450 Seiten ein sehr differenziertes Bild von Flüchtlingslagern unter ethnographischen und soziologischen Aspekten entworfen. Die Lektüre dürfte allerdings einer breiten Leserschaft weniger zugänglich sein. Dagegen ist sie im Bereich der humanitären Hilfe und speziell in diesem Arbeitsfeld tätigen Fachleuten durchaus zu empfehlen.


Michael Marx

 

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