Gender-Kenntnisse fördern Friedensarbeit

 

Für viele Friedensfachkräfte und Entwicklungsexperten ist die Auseinandersetzung mit Gender eine lästige Pflicht in Projektanträgen, Monitoring- und Evaluierungsberichten. Häufig handeln sie Gender-Themen mit einigen Sätzen über Frauenförderung ab. Wie notwendig es ist, diese Fehleinschätzung grundlegend zu ändern, illustriert der gut lesbare Sammelband von Carol Cohn. In insgesamt zehn Kapitel erläutern namhafte Friedensforscherinnen, warum die differenzierte Auseinandersetzung mit Gender ein besseres Verständnis für die Ursachen, Gewaltdynamiken und Folgen von Kriegen und bewaffneten Konflikten ermöglicht.

Auch wenn der Titel suggeriert, es ginge vorrangig um Kriegserfahrungen von Frauen, reichen die Erklärungen der Autorinnen weit darüber hinaus. Sie zeigen auf, wie Politik und Wirtschaft in vielen Ländern soziale Ungleichheiten und Geschlechter-hierarchien vor Ausbruch eines Krieges drastisch verschärfen, und soziale Spannungen und geschlechtsspezifische sowie andere Gewalt eskalieren lassen.

Die schwierige Lage der Zivilbevölkerung während und nach Kriegen wird am Beispiel der maroden Gesundheitsversorgung und der Flüchtlingslager veranschaulicht, die meist nach völlig verzerrten Vorstellungen von Familienstrukturen geplant werden – so werden etwa von Frauen geleitete Haushalte nicht berücksichtigt, in denen auch weitläufig Verwandte versorgt werden müssen. Das hat keineswegs nur für Frauen schädliche Folgen, sondern auch für Männer, zumal sie zu passiven Empfängern von Hilfsgütern herabgestuft werden, was viele als demütigend wahrnehmen. Vor allem jungen Männern bietet das oft jahrelange Leben in den Camps keine Perspektiven – mit fatalen Folgen für die Fortsetzung von Gewalt nach einem offiziellen Kriegsende.

Umso notwendiger ist es, mit jungen Männern als Zielgruppe von Programmen zur Gewaltprävention in Flüchtlingslagern zu arbeiten, schließlich sind humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit in der Praxis immer mehr verwoben. Ein besseres Verständnis von Gender-Dynamiken ist für die Mitarbeiter von Entwicklungsorganisationen hilfreich oder gar entscheidend. Die Autorinnen weisen darauf hin, dass männliche Täter und Gewaltopfer Beratung brauchen, die sie bei den meisten Programmen nicht erhalten.

Frauen sind keineswegs nur Opfer. Die Friedensforscherinnen legen dar, wie Frauen Kriegsherren unterstützen, aber auch in Friedensorganisationen mitwirken. Ferner gehen sie auf die Situation von Guerillakämpferinnen ein, die vielfach von ihren Familien und von der Gesellschaft als Täterinnen stigmatisiert werden. Die Mehrheit der Demobilisierungsprogramme ist auf junge Männer ausgerichtet. Umso wichtiger wäre es, mit spezifischen Ansätzen den widersprüchlichen Kriegserfahrungen und Bedürfnissen der Ex-Kämpferinnen und -kämpfer gerecht zu werden.

An Beispielen aus Afrika, Asien und Zentralamerika zeigt der erkenntnisreiche Sammelband, wie sich Gewaltmuster nach einem offiziellen Friedensschluss fortsetzen, wenn Geschlechterungleichheiten ignoriert werden. Darüber hinaus werden Wiederaufbauprogramme in Nachkriegsländern vorgestellt, die Gender-Themen systematisch berücksichtigen. Auch für die notwendige Transformation der Kriegswirtschaft und für Gender-Ansätze in Reformen des Sicherheitssektors bietet der Sammelband praktische Hinweise. (Rita Schäfer)

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