Bitterer Nachgeschmack

Órla Ryan
Chocolate Nations. Living and Dying for Cocoa in West Africa
Zed Books, London 2012, 192 Seiten,
ca. 12,20 Euro

Um es vorwegzunehmen: Dieses Buch will nicht den Genuss an der Schokolade verderben. Das wäre auch schwierig angesichts ihrer großen Beliebtheit: Allein die Deutschen essen durchschnittlich elf Kilogramm pro Kopf und Jahr. In anderen Ländern ist es womöglich noch mehr, etwa in Großbritannien, der Heimat des traditionsreichen Schoko-Unternehmens Cadbury. Es wurde 2010 vom US-Konzern Kraft Foods übernommen; gemeinsam zählen sie neben Mars und Nestlé zu den größten Spielern im Schokoladengeschäft.

In der „Cadbury World“ im britischen Bournville, einer Art Erlebnispark rund um die Köstlichkeiten aus Kakao, beginnt die Journalistin Órla Ryan ihre Spurensuche. Sie schaut sich an, unter welchen Bedingungen Kakao angebaut, geerntet und vermarktet wird, und ist dafür durch die Elfenbeinküste und Ghana gereist, die beiden Hauptlieferanten des Rohstoffs. Sie versucht die komplexen Beziehungen zwischen Produzenten, Zwischenhändlern, Großhändlern und Regierungen zu durchdringen und erfährt dabei, dass solche Nachforschungen gefährlich enden können – wenn auch nicht für sie persönlich, sondern etwa für einen Kollegen, der zum Opfer einer Entführung wurde.

Ausführlich widmet sich Ryan den Bedingungen, unter denen die Kleinfarmer schuften und trotzdem auf keinen grünen Zweig kommen, sowie dem harten Konkurrenzkampf zwischen den Käufern – seit einigen Jahren übersteigt die Nachfrage die Produktion. Sie wirft einen differenzierten Blick auf das düstere Kapitel Kinderarbeit und erklärt, die Wirklichkeit sei zu vielschichtig, um mit Schlagworten wie „Sklaverei“ oder „Menschenhandel“ beschrieben zu werden. Zwar arbeiteten zahlreiche Jungen und Mädchen auf Kakao-Plantagen, weil die Bauern keine Erntehelfer bezahlen können, aber viele von ihnen gingen gleichzeitig zur Schule. Bei anderen seien die Familien schlicht zu arm, um für Bücher und Schuluniformen aufzukommen. Um Kindern die Plantagenarbeit zu ersparen, so ihr Fazit, müssten die Produktionsbedingungen für Kakao insgesamt verändert werden.

Etwa mit Hilfe des Fairen Handels, könnte man denken, aber darauf setzt Ryan wenig Hoffnung. Sie beschreibt am Beispiel einer Kooperative von Kakao-Händlern, dass diese kaum eine Chance hat, mit anderen Aufkäufern zu konkurrieren. Denn die Bauern verkaufen an den, der ihnen sofort Bargeld für ihre Bohnen gibt – Fair Trade interessiert sie weniger, zumal wenn der Weltmarktpreis hoch ist wie 2010/2011, als Ryan ihr Buch schrieb. Auch die Fair-Trade-Prämie sei für viele Bauern nicht sonderlich attraktiv, meint Ryan. Andere Käufer böten zusätzlich zum Geld für die Ware Schulbücher, Insektenvernichtungsmittel oder Kredite an. Und auch beim Fairen Handel wird der Rohstoff nicht in Ghana oder der Elfenbeinküste zu Schokoriegeln, Pralinen und Tafeln verarbeitet, sondern in Europa und den USA – die Erzeuger haben also am wenigsten von der Wertschöpfung.

Nach der beklemmenden Bestandsaufnahme folgt ein versöhnlicher Ausblick, der allerdings im Vergleich eher schwach ausfällt: Wenn es gelinge, mit Hilfe von Beratung und neuen Bewirtschaftungsformen die Erträge zu steigern, könne der Kakaoanbau den Bauern zu Wohlstand verhelfen, erklärt Ryan und zählt einige Initiativen auf, zumeist von den großen Schoko-Herstellern. Voraussetzung: Die Regierungen Ghanas und der Elfenbeinküste müssten die Interessen der Produzenten schützen.

Geschrieben ist das alles wie eine gute Reportage mit Anschauung, Originalzitaten, Geschichten sowie einer ganze Menge Hintergrundinfos. Zum Schluss empfiehlt Órla Ryan dann doch noch den Genuss von fair gehandelter Schokolade. Aber gleichzeitig rät sie, kritisch zu bleiben und sich nicht mit allzu simplen Werbeversprechen zufrieden zu geben. Ihr Buch hilft dabei. Gesine Kauffmann

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