Jedem Schwein ein kleines Häuschen?

Uwe Meier (Hg.)
Agrarethik. Landwirtschaft mit Zukunft
Agrimedia-Verlag, Clenze 2012, 350 Seiten, 39,90 Euro

Der von Uwe Meier herausgegebene Band bietet einen neuen, erfrischend integrativen Ansatz für die Fragen, die zu Landwirtschaft diskutiert werden. Das ist unverzichtbar, wenn von Nachhaltigkeit nicht nur geredet werden soll. Denn eine isolierte Betrachtung einzelner Fachgebiete in der Agrarwissenschaft führt leicht in die Sackgasse. Beispiel: Wer die Hähnchenmastanlagen mit dem steigenden Bedarf an preiswertem Fleisch begründet, darf die Folgen für den Tierschutz, den Welthandel und die Entwicklungspolitik nicht außer Acht lassen – ganz zu schweigen von der gesunden Ernährung.

Zu Beginn geht es weit zurück in die philosophischen Anfangsgründe der Agrarethik. Die alten Griechen verstanden naturgerechte Landwirtschaft als Speiseopfer an die Göttin Erde. Das klingt nach Mythos. Autor Harald Lemke aber zeigt überzeugend auf, dass es dem Philosophen Sokrates eher um eine empirisch-wissenschaftliche Agrarethik geht. Er preist die bäuerliche Landwirtschaft und weist damit schon auf moderne Entwicklungen hin wie das „urban gardening“, die Nutzgärten in Städten.

Auch der Beitrag von Günter Altner sucht seinesgleichen in seiner überzeugenden Zusammenschau geisteswissenschaftlicher Strömungen. Der verstorbene Vordenker ökologischer Betrachtungsweisen skizziert ein umfassendes Verständnis von Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft aus philosophischer und theologischer Sicht. Die Hoffnungsperspektive der Bibel beziehe sich nicht nur auf den Menschen, sondern auf die gesamte Kreatur, unterstreicht er.

Kurzgefasst, aber umfassend geht es im Weiteren unter anderem um nachwachsende Rohstoffe, Agrarrecht, Patente auf Tiere und Pflanzen, Phosphatabbau und Ernährungssicherung. Im Kapitel „Tiere in Massen“ hinterfragt der Verfasser die Praxis der heutigen Tierhaltung und schärft die Verantwortung des Tierhalters mit klaren Argumenten. Er setzt sich aber auch mit dem Widerstand dagegen auseinander und plädiert für eine realistische Einschätzung des Tierwohls – nicht dafür, dass jedem Schwein „das eigene Häuschen“ gebaut wird.

Die internationale Dimension der argrarpolitischen Konfliktfelder wird stark berücksichtigt

Der Herausgeber Uwe Meier bietet einen lehrreichen Überblick über die Initiativen von nichtstaatlichen Organisationen, Staaten, der Wirtschaft und der internationalen Gemeinschaft, ökologische und soziale Standards für die landwirtschaftliche Produktion zu setzen. Er wirft einen kritischen Blick auf die Zusammenarbeit zwischen Zertifizierungsorganisationen und Unternehmen und betont, die Verantwortung für Nachhaltigkeit dürfe nicht allein NGOs und der Privatwirtschaft überlassen werden. Hier sieht er den Staat in der Pflicht.

Es ist ein großes Verdienst des Buches, dass es die internationale Dimension der agrarpolitischen Konfliktfelder stark berücksichtigt. Für den weltweiten Agrarhandel ist ein ethischer Rahmen unverzichtbar. Menschenrechtsstandards wie das Recht aller Menschen, sich vernünftig zu ernähren, sind da wegweisend. Der Zusammenhang zwischen Agrar- und Konsumethik ist ebenfalls zentral: Was nutzen Zertifizierungen, wenn sie nicht überprüft werden? Und was sind Sozial- und Ökostandards wert, wenn sie nicht konsequent angewendet werden?

Die Diskussion über eine angemessene Ethik im Bereich Tier- und Pflanzenschutz wird zurzeit noch zu sehr von ideologischen Auseinandersetzungen und Polemik bestimmt. Uwe Meier leistet mit seinem Werk sachliche Beiträge dazu. Das macht es auch für Menschen lesenswert, die sich nicht beruflich mit den Fragen der Agrarethik auseinandersetzen. Nur in einem Detail widerspreche ich dem Herausgeber dieses ausgezeichneten Buches vehement: Ethik hat es weniger mit Moral oder mit Vorstellungen nach dem Motto „jedem Schweinchen ein kleines Häuschen“ zu tun. Ethik handelt von nichts weniger als unserer Weltverantwortung, ja dem konsequenten Fragen nach dem Guten. Das Leben auf unserem Erdball braucht unseren Schutz. Sonst sind die Konsequenzen auf längere Sicht tödlich. Dieses Werk ist ein Aufruf, den dringend notwendigen agrarethischen Diskurs voranzutreiben. (Wilfried Steen)

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