Abgrund oder Rettung?


Ralf Fücks
Intelligent wachsen
Die grüne Revolution
Hanser, München 2013
362 Seiten 22,90 Euro
 

Harald Welzer
Selbst denken
Eine Anleitung zum Widerstand
S. Fischer, Frankfurt/Main 2013
329 Seiten, 19,99 Euro

 

Eine andere Zukunft ist möglich. Und: Sie findet längst statt. In diesem Punkt sind sich Ralf Fücks und Harald Welzer einig. Apokalyptische Krisenszenarien, mit denen etwa Klimaforscher vor den Folgen der Erderwärmung warnen, sind ihrer Ansicht nach nichts wert. Erstens werden sie ständig korrigiert und sind insofern wenig aufschlussreich. Zweitens werden sie von den meisten Leuten nur noch achselzuckend zur Kenntnis genommen und bewirken keine Verhaltensänderung. Und drittens sind sie im schlimmsten Fall kontraproduktiv, weil sie den Eindruck vermitteln, es sei ohnehin alles zu spät.

Sowohl Fücks als auch Welzer appellieren an ihre Leserinnen und Leser, sich nicht verrückt machen zu lassen und die Zukunft als Chance zu begreifen, anders und bewusster zu leben. Beide warten mit einer Reihe von Ideen auf, wie eine nachhaltige Wirtschaft gestaltet sein könnte. Sie illustrieren das sogar mit demselben Beispiel: dem einer Bohrmaschine. Die meisten Leute haben eine, brauchen sie aber nur selten. Viel Energie und Material könnten gespart werden, wenn Bohrmaschinen nicht ständig neu gekauft, sondern verliehen würden.

Nutzen statt besitzen, tauschen und teilen, reparieren statt wegwerfen und neu kaufen, sich zusammentun (zum Beispiel in Genossenschaften) und gemeinsam wirtschaften, statt sich nur um sich selbst zu kümmern – in diese Richtung müsste es laut Fücks und Welzer gehen. Und dahin geht es ja auch schon. Beide, besonders Welzer, zeigen, dass es bereits viele Leute gibt, die solche neue Formen des Wirtschaftens ausprobieren. Das gelingt mal mehr, mal weniger gut, aber entscheidend ist, dass man es versucht.

Aber an diesem Punkt ist Schluss mit den Gemeinsamkeiten. Tatsächlich trennen die Autoren Welten in der Frage, welches der richtige Weg zu einer umweltverträglicheren Ökonomie ist. Fücks vertraut ganz auf Technik, Wissenschaft und Innovation: Sie hätten das Leben für einen wachsenden Anteil einer wachsenden Weltbevölkerung bereits in den vergangenen 200 Jahren immer lebenswerter gemacht. Und mithilfe von Technik werde es auch möglich sein, das drängende Problem dieses Jahrhunderts zu lösen: weiter Wohlstand für immer mehr Menschen zu schaffen, ohne dabei die natürlichen Lebensgrundlagen zu zerstören.

Aus Welzers Sicht führt die Idee vom „grünen Wachstum“ in die Sackgasse, schlimmer noch: in den Abgrund

Fücks ist überzeugt, dass das ohne Wirtschaftswachstum nicht geht. Denn in einer stagnierenden Wirtschaft ließen sich Innovationen – etwa für erneuerbare Energien oder für sparsamere Produktionsmethoden – nicht finanzieren. Natürliche „Grenzen des Wachstums“ gibt es nicht für Fücks: Die Erde sei „endlich nur im räumlichen Sinn“, nicht aber im Hinblick auf die Erfindungsgabe des Menschen, diese Grenzen ständig auszudehnen.

Aus Welzers Sicht hingegen führt diese Idee vom „grünen Wachstum“ in die Sackgasse, schlimmer noch: in den Abgrund. Sie suggeriere, das Streben nach mehr Effizienz in der Produktion und beim Energieverbrauch sei die Lösung. Dabei ist das für Welzer das eigentliche Problem. Im Kapitalismus gehe es per se um Effizienz, doch die enormen Effizienzgewinne seit Beginn der Industrialisierung hätten unterm Strich nicht etwa zu einem Rückgang im Verbrauch natürlicher Ressourcen geführt, sondern stets zu einem weiteren Anstieg. Warum sollte das in Zukunft anders sein?

Für Welzer geht es nicht um Effizienz, sondern um Suffizienz, also eine Ökonomie des Genug. Da sich nicht von oben vorschreiben lässt, was „genug“ ist, appelliert er an jeden einzelnen, sich zu überlegen, wie, wofür, von was und in welcher Welt er leben möchte. Wollen wir uns wirklich weiter von der Industrie und der Werbewirtschaft vorschreiben lassen, dass wir alle zwei Jahre ein neues Smartphone brauchen? Welzer will, dass wir selbst denken und  durch unser Handeln Widerstand leisten gegen Politiker, Technokraten, Ökonomen und die Industrie, die am alten Modell festhalten  wollen, weil sie damit ihr Geld verdienen.

Das liest sich insgesamt origineller und anregender als der auf Dauer etwas ermüdende Techno-Optimismus von Fücks. Einen Schwachpunkt hat aber auch Welzers Buch: Es verharrt in deutscher Nabelschau. Mehr noch: Auch die soziale Frage klammert Welzer weitgehend aus. Bei ihm klingt es so, als herrsche im reichen Teil der Welt ein kollektiver Konsumwahn, als wüssten die Leute nicht mehr wohin mit ihrem Geld und kauften deshalb ohne Unterlass Schnickschnack, den sie gar nicht brauchen. Fücks hingegen weist darauf hin, dass „die Mehrheit der Europäer keineswegs in Saus und Braus“ lebt.

Und der Rest der Menschheit ohnehin nicht: Welzer hat recht, wenn er fordert, man solle den schnellen Aufstieg von Ländern wie China und Indien mit seinen schädlichen Folgen für die Umwelt nicht als bequeme Ausrede nutzen, nicht selbst bewusster und umweltverträglicher zu leben. Aber ein Blick über den deutschen Tellerrand, wie Fücks ihn bietet, ist durchaus hilfreich, um zu erkennen, dass es der großen Mehrheit auf unserem Planeten vor allem darum geht, ihren materiellen Lebensstandard zu verbessern. Fücks ist überzeugt, dass diese Menschen nur dann den ökologischen Weg einschlagen werden, wenn damit keine Wohlstandsverluste verbunden sind. (Tillmann Elliesen)

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