Umkämpfte Identitäten

Morten Boas, Kevin Dunn
Politics of Origin in Africa.
Autochthony, Citizenship and Conflict
Zed Books, London/New York 2013
149 Seiten, ca. 26,50 Euro

 

An vier Fallbeispielen – Liberia, der Demokratischen Republik Kongo (DRC), Kenia und der Côte d’Ivoire – zeigen sie, wie tief die Rede vom „Sohn des Bodens“ (dem „ursprünglichen“ Siedler, der sich vom Zuwanderer verdrängt sieht) mit den Konfliktdynamiken der jeweiligen Staaten verbunden ist. Dabei geht es den Autoren nicht um die Frage, ob die Erzählungen zutreffend sind. Sie begreifen diese vielmehr als bewusste Strategie, nicht selten angewendet von traditionellen Führern, um sich in lokalen Machtkämpfen in Stellung zu bringen.

Mehrfach heben die Autoren hervor, dass der Kolonialismus wandelbare Identitäten verfestigt und festgeschrieben hat, weil er Selbst- und Fremdzuschreibungen der ethnischen Zugehörigkeit mit Territorien verbunden hat. Bekanntestes Beispiel ist wohl die „Hamiten“-Hypothese, die im Osten der DRC eine herausragende Rolle spielt. Sie besagt, dass die Bantu-Bevölkerung die ursprünglichen Siedler in Zentralafrika waren und andere Ethnien wie etwa die Tutsi und Hima zugewandert seien. Ihre ganze zerstörerische Kraft entfaltete die „Hamiten“-Hypothese im Konflikt zwischen Hutu und Tutsi in Ruanda und im Osten der Demokratischen Republik Kongo, der im Jahre 1994 schließlich im Genozid an den Tutsi seinen grausigen Höhepunkt fand. Auch heute noch haben die Tutsi und verwandte Ethnien in den kongolesischen Kivu-Provinzen unter dem Status des Zuwanderers beziehungsweise Eroberers zu leiden.

Im Diskurs um Autochthonie entdecken Boas und Dunn eine Melancholie, eine Sehnsucht nach einer vermeintlich „guten alten Zeit“. Er biete der lokalen Bevölkerung, die mit ihrem zunehmend schwierigen Alltag klarzukommen versuche, eine „Politik des Erinnerns, die es möglich macht, den beschwerlichen Umständen einen Sinn zu geben“, schreiben sie im theoretischen Kapitel ihres Buches. Die Bedeutung von Land und dessen Verteilung sollte dabei nicht unterschätzt werden. Schließlich ist der Kontinent weiterhin agrarisch geprägt. Das zeigen alle vier Fallbeispiele. Ob auf den Kakaoplantagen der Côte d’Ivoire, dem Hochland im Osten der Demokratischen Republik Kongo oder im kenianischen Rift Valley: Ein halbwegs gesichertes Auskommen ist in hohem Maße abhängig vom Zugang zu fruchtbarem Boden.

Der Band bringt eine willkommene und notwendige Erweiterung der Diskussion über die Ursachen von Konflikten auf dem afrikanischen Kontinent. Engagiert weisen die Autoren monokausale Erklärungen für Gewalt und Krieg zurück und plädieren für einen differenzierten Ansatz, der sich an den lokalen Gegebenheiten orientiert. Welche Bedeutung dabei die Politik der Autochthonie hat, lässt sich wohl daran messen, dass sich leicht andere Fallbeispiele – innerhalb und außerhalb Afrikas – finden lassen, die sich in ihre Argumentation einfügen ließen.

In abschließenden Empfehlungen für die Politik und die Entwicklungszusammenarbeit weisen Boas und Dunn unter anderem darauf hin, dass der Staat den meisten Bürgern in den vier Ländern als Hauptquelle der Unsicherheit gilt. Dennoch setze die internationale Diplomatie auf eine unkritische Stärkung des Staates, kritisieren sie. Die vorherrschenden Strategien der Konfliktlösung und des Wiederaufbaus könnten Situationen verschärfen, in denen „authochthone Gewalt am Werke ist“, warnen die Autoren. (Ruben Eberlein)

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