Demokratie ist kein Patentrezept

Hans-Joachim Spanger (Hg.)
Der demokratische Unfrieden
Über das spannungsreiche Verhältnis zwischen Demokratie und innerer Gewalt
Nomos Verlag, Baden-Baden 2012,
240 Seiten, 39,00 Euro 

Mehr Demokratie ist das Beste für Länder von Ägypten bis Simbabwe – da sind die meisten Kommentatoren einig. Aber inwiefern sind Demokratien im Inneren friedlicher als Diktaturen? Damit beschäftigt sich eine Denkschule der Politikwissenschaft, die der Band von Hans-Joachim Spanger in der Einleitung vorstellt. Ihre Ausgangsthese war Ende der 1990er Jahre, Bürgerkriege seien in gefestigten Demokratien und in stabilen Autokratien selten, am anfälligsten dafür seien Zwischenformen. Doch ist hier nicht die Form des Regimes, sondern sein Wandel das Problem, gehen also etwa Demokratisierungen mit Gewalt einher? Welchen Einfluss haben die Leistungsfähigkeit staatlicher Institutionen und das Entwicklungsniveau?

Solche Fragen wollten viele Politologen mit Mitteln der Statistik klären. Der Ertrag ist bescheiden, lautet pointiert zusammengefasst der erste wichtige Schluss der Studie aus der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). Nachdem Indizes gebildet sind – unter anderem für Regimetypen und Regimewechsel, die Wirtschaftsentwicklung und die Stärke des Staates – und statistische Zusammenhänge mit der Kriegshäufigkeit ermittelt, ist am Ende nur klar, dass diese vier Faktoren einen Einfluss haben. Will man Ursache und Wirkung verstehen, dann kommt man um vergleichende Fallstudien nicht herum.

Die hat die HSFK gemacht und stellt sie hier vor. Eine zeigt, dass Sri Lanka und die Philippinen etablierte Wahldemokratien sind, dort aber ein hohes Maß an politischer Gewalt zur Normalität gehört. Dagegen sei Malaysia nur eingeschränkt demokratisch, jedoch weitgehend frei von politischer Gewalt. Ein Grund sei, dass staatlicher Zwang stärker regelgeleitet ausgeübt wird, während in Sri Lanka und auf den Philippinen konkurrierende Elitengruppen Staatsorgane kapern. Zudem sei in Malaysia Gewaltfreiheit als Norm weithin akzeptiert – ein Faktor, der von der Staatsform weitgehend unabhängig sei.

Interessant ist auch der Vergleich der fünf Länder Zentralamerikas mit Blick auf Gewaltkriminalität

Auch in Argentinien und Ecuador ist laut Jonas Wolf die Demokratie von „niedriger Qualität“, aber der innere Friede erstaunlich stabil. Das passe nicht zur These, dass gemischte Regime mit mehr Gewalt einhergehen. Klientelnetze, die in Sri Lanka und auf den Philippinen Gewalt anheizen, würden hier zur Beschwichtigung von Konflikten genutzt.

Interessant ist auch der Vergleich der fünf Länder Zentralamerikas mit Blick auf Gewaltkriminalität. Alle außer Costa Rica sind nur halb demokratisch, und drei – Honduras, El Salvador und Guatemala – weisen extrem hohe Mordraten auf. Die letzten beiden haben einen Bürgerkrieg hinter sich. Das gilt ebenso für Nicaragua, das zugleich das ärmste Land der Region ist; dennoch sind dort die Mordraten viel niedriger. Das liegt laut Heidrun Zinecker an der präventiven Arbeit der Polizei, die auf Gemeindeebene mit Bürger-organisationen und Unternehmen zusammenarbeitet. Gewalt, so betont sie, kann eingehegt werden, bevor Armut und Ungleichheit abgebaut sind.

Das Buch ist nicht frei von Jargon und interessanterweise auch nicht von Grafiken und Statistiken. Doch es lohnt die Mühe, es zu lesen. Nicht zuletzt weil es zweierlei deutlich macht: Manch gängige Klassifizierung, etwa nach dem Grad der Demokratie, fördert das Verständnis für fremde Gesellschaften und ihre Veränderungen nicht. Und man kann Faktoren herausfiltern, die Bürgerkriege und Gewalt begünstigen, daraus aber keine Voraussagen und Rezepte für den Einzelfall ableiten. (Bernd Ludermann)

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