Im Netz der Gewalt

Krijn Peters
War and the Crisis of Youth in Sierra Leone
Cambridge University Press, Cambridge 2011
292 Seiten, ca. 66 Euro


Der Entwicklungssoziologe Krijn Peters analysiert, aus welchen Motiven sich junge Männer im Bürgerkrieg in Sierra Leone in den 1990er Jahren der Revolutionary United Front anschlossen. Er zeigt, wie sich ihre ursprünglich guten Absichten zur Schreckensherrschaft wandelten.

Der Krieg in Sierra Leone während der 1990er Jahre wird zumeist durch die Blutdiamanten und die Gier der Kriegsherren erklärt. Schließlich sitzt der frühere Kriegsherr und Ex-Präsident Liberias, Charles Taylor, auf der Anklagebank des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, weil er vom benachbarten Liberia aus den Vormarsch auf die Diamantenminen in Sierra Leone koordinierte. Diese Studie belegt hingegen, dass damit nur ein Teil der Wahrheit erfasst ist. Der niederländische Entwicklungssoziologe Krijn Peters widmet sich den Motiven, die junge Männer zur Mitgliedschaft in der Revolutionary United Front (RUF) veranlassten. Dazu hat er zwischen 2001 und 2006 zahlreiche Interviews mit Ex-Kämpfern geführt. Sie machen deutlich, wie Armut, geringe Bildung, Perspektivlosigkeit und korrupte Patronagenetze Jugendliche aus ländlichen Gebieten in die Hände der RUF-Kommandanten trieben.

Die jungen Männer wollten dem Machtmissbrauch lokaler Eliten, die ihnen den Zugang zu Land und damit die Grundlage für eine Eheschließung verweigerten, ebenso ein Ende bereiten wie der verhassten Regierung in Freetown. Diese bereicherte sich seit Jahren am illegalen Diamantenexport und vernachlässigte die Landwirtschaft, den Bildungs- und Gesundheitssektor. Deshalb verschlechterten sich die Überlebenschancen und Zukunftsperspektiven insbesondere von Schwangeren, Kindern und Jugendlichen. Dem wollten die jungen Männer Einhalt gebieten und sie erhielten zunächst Unterstützung von der lokalen Bevölkerung.

Peters wirft zudem einen historischen Rückblick auf die bis 1928 praktizierte Haussklaverei, die die Mehrzahl der Landbewohner zu Sklaven degradierte. Deren Nachfahren blieb oft nichts anderes übrig, als sich bei der landbesitzenden Elite zu verdingen. Der Diamantenboom ab den 1940er Jahren schaffte nur teilweise Abhilfe. Ländliche Entwicklungsprojekte in den 1970er und 1980er Jahren förderten sogenannte Masterfarmer, ohne wahrzunehmen, dass die Arbeiter auf deren Feldern keineswegs dörflichen Selbsthilfegruppen angehörten, sondern Abhängige waren.

Sie hatten nicht viel zu verlieren, als die Führer der „Revolutionary United Front“ Anfang der 1990er Jahre Hoffnungen auf ein besseres Leben weckten. Allerdings lösten diese ihre Versprechen nicht ein, sondern errichteten eine Gewaltherrschaft. Immer mehr Jugendliche wurden zwangsrekrutiert und die verarmte Bevölkerung, die man eigentlich befreien wollte, geriet ins Visier der jungen Gewalttäter. Plünderungen der wenigen Speicher, Viehdiebstahl, Zwangsarbeit und Vergewaltigungen zählten zu den Überlebens- und Eroberungsstrategien der RUF-Kämpfer.

Nach dem Ende des Krieges ist die Mehrheit der jungen Kämpfer nicht in ihre Herkunftsgebiete zurückgekehrt. Sie verdingen sich nun als Diamantenschürfer, weil ihnen Landrechte vorenthalten werden. Laut Peters profitiert die neue Regierung von Präsident Ernest Bai Koroma wie ihre Vorgänger vom Diamantenreichtum und verhindert die Entwicklung einer selbstbewussten Landbevölkerung mit eigenständiger Wirtschaftskraft.

Mit britischer Entwicklungshilfe wurden sogar neue Paramount-Chiefs eingesetzt, Symbolfiguren einer politischen Ordnung, die Anfang der 1990er Jahre zu den Ursachen des Bürgerkrieges zählte.


Rita Schäfer

 

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