Die Somalis selbst machen lassen

Mary Harper
Getting Somalia Wrong? Faith, War and Hope in a Shattered State
Zed Books, London, 2012, 217 Seiten, 14,70 Euro

Im Westen wird Somalia lediglich als „gescheiterter Staat“ wahrgenommen. Diese einseitige Perspektive sei der Grund dafür, dass Interventionen von außen die Lage bisher immer verschlimmert haben, schreibt die Journalistin Mary Harper in ihrem lesenswerten Buch.

Seit dem Sturz von Siad Barre 1991 herrscht in Somalia Bürgerkrieg. Seit über 20 Jahren reiben sich Clanführer, Islamisten und verschiedene Übergangsregierungen in internen Machtkämpfen auf. Wohl kaum ein anderes Land hat zugleich so viel Zuwendung aus dem Ausland erfahren Das Ausland – der Westen sowie die Nachbarstaaten Äthiopien und Kenia – haben versucht, in den Konflikt einzugreifen: Mehrere militärische Interventionen, monatelange Friedenskonferenzen und unzählige diplomatische Vorstöße haben jedoch nur wenig gebracht.

Im Gegenteil, lautet eine der zentralen Thesen der Autorin: Manche Eingriffe hätten die Lage eher verschlimmert. Etwa der von den USA gestützte Einmarsch äthiopischer Truppen 2006 zur Vertreibung der Union Islamischer Gerichte. Die hatten zuvor im Machtvakuum des Bürgerkriegs im Süden und im Zentrum des Landes ein Netzwerk lokaler Scharia-Gerichte aufgebaut. Die garantierten den Menschen die ersehnte Sicherheit und schufen einen Ansatz von Ordnung inmitten des Chaos, schreibt Harper. Zwar hätten die Gerichte die Freiheiten im Namen der Scharia stark eingeschränkt, Terroristen mit einer Agenda über Somalia hinaus seien sie entgegen der Annahme der USA jedoch größtenteils nicht gewesen. Nach der Verdrängung der islamischen Gerichte traten an ihre Stelle die radikalen Al-Shabaab-Milizen, die seitdem das Land mit Terror überziehen. Erst mit dem militärischen Eingriff Äthiopiens und der USA sei Somalia zu einem weiteren Gefahrenherd des globalen Dschihad und zum Rückzugsort von Al Qaida geworden.

Erstaunlich widerstandsfähige Wirtschaft

Schuld an den fehlgeleiteten Interventionen sei vor allem ein einseitiges Verständnis des Landes als „failed state“, schreibt Harper, die für die britische BBC seit zwei Jahrzehnten über Somalia berichtet. In flottem journalistischen Stil verfasst, lässt Harper in ihrem Buch die Somali selbst zu Wort kommen: Piraten, Politiker und radikale Islamisten genauso wie Viehhirten und Geschäftsleute. So entsteht ein anderes Bild von Somalia, das nicht nur aus Gewalt, Terror, Hunger und Armut besteht. Sondern beispielsweise auch aus einer erstaunlich widerstandsfähigen Wirtschaft. Verlass ist auf den Unternehmergeist der Somali und die nomadische Lebensweise, die auch mithilfe moderner Kommunikationsmittel seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs den Viehhandel zum Florieren brachte – trotz oder gerade wegen des Fehlens staatlicher Regulierung. Denn da wo der Staat versagt, helfen sich die Somali selbst, etwa beim Aufbau eines informellen Bankensystems.

Diese relativ stabilen Elemente seien von den Gebern viel zu lange vernachlässigt worden, kritisiert Harper. Genauso wie eine stärkere Förderung der autonomen Gebiete im Norden des Landes. So hat sich in Somaliland unter der Führung des langjährigen Präsidenten Egal und der Unterstützung der Diaspora ein relativ stabiler Staat entwickelt. Anders als im Zentrum sei das politische System in Somaliland nicht von außen eingesetzt worden, sondern von innen gewachsen und verbinde die traditionellen Claninteressen mit einem moderneren Staatsaufbau.

Inwiefern das hybride System Somalilands als Vorbild für andere Regionen am Horn von Afrika gelten kann und inwiefern eine Dezentralisierung der Macht eine Lösung für Somalia darstellen könnte, lässt Harper offen. Ihre Empfehlung an die internationale Gemeinschaft lautet vielmehr, die Somali doch einfach mehr selbst machen zu lassen. So einleuchtend das nach der Lektüre des sehr anschaulichen und spannenden Buches im Hinblick auf die politische Situation ist, so schwer umsetzbar erscheint es im Hinblick auf den andauernden Terror der Islamisten und die schwierige humanitäre Situation vor allem im Zentrum und Süden des Landes. (Sebastian Drescher) 

Erschienen in welt-sichten 10-2013

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