Von Solidarität und Verblendung

Peter Fröberg Idling
Pol Pots Lächeln.
Eine schwedische Reise durch das Kambodscha der Roten Khmer
Edition Büchergilde, Frankfurt am Main 2013, 352 Seiten, 22,95 Euro

Vier schwedische Aktivisten besuchen in den 1970er Jahren Kambodscha und sind vom Regime der Roten Khmer begeistert. Wie ist so etwas möglich? Peter Fröberg Idling sucht nach Antworten.

Auf Einladung der Roten Khmer unternehmen im August 1978 vier Aktivisten der schwedischen Solidaritätsbewegung mit Kambodscha eine zweiwöchige Reise durch das südostasiatische Land. Im Anschluss berichten sie in den Medien über ihre Erlebnisse: Sie sind voll des Lobes für die Errungenschaften des Regimes. Sie schildern ein Land im Aufbruch, in dem sich das Volk aus jahrzehntelanger kolonialer Abhängigkeit und Ausbeutung befreit habe und voller Glück an seiner Zukunft baue. Kein Wort über die „killing fields“, Folter, die Vertreibung der Stadtbevölkerung aufs Land, die Hungertoten oder die Jagd auf Intellektuelle.

Ein gutes Vierteljahrhundert später begibt sich der schwedische Autor Peter Fröberg Idling auf die Spuren der Propagandareise. Er besucht dieselben Orte, trifft zum Teil dieselben Leute und setzt sich zuhause mit den damaligen Aktivisten in Verbindung. Herausgekommen ist eine dokumentarische Reportage, die mehrere Lesarten auf verschiedenen Zeitebenen erlaubt. Das Buch erzählt die kambodschanische Geschichte nach, von der französischen Kolonialzeit bis zum Einmarsch der vietnamesischen Truppen 1979, der dem Terrorregime der Roten Khmer ein Ende setzte. Es liefert tiefgründige Portraits und Charakterstudien der Hauptakteure wie Prinz Sihanouk, Lon Nol oder Pol Pot. Eindrücke aus dem heutigen Kambodscha werden den Reiseschilderungen der Aktivisten von 1978 gegenübergestellt.

Missstände verschwiegen

Am spannendsten aber ist die Suche des Autors nach Antworten auf die Frage, wie es möglich war, durch ein Land zu reisen, in dem ein Massenmord stattfand, ohne etwas davon zu bemerken. Einer der Reiseteilnehmer, der schwedische Linksintellektuelle Jan Myrdal, lehnte es ab, sich mit Fröberg Idling zu treffen, und verteidigt bis heute seine Berichte aus Kambodscha mit dem Hinweis, er habe nur das aufgeschrieben, was er gesehen habe. Zwei weitere Aktivisten hingegen sind zu Gesprächen bereit.

So findet Fröberg Idling einige Antworten, nennt etwa Verblendung aufgrund eines radikalen Fortschrittsglaubens, der keinen Platz für Zweifel lasse. Man sehe nur das bewusst, was in das eigene Weltbild passe, schreibt er. Passe etwas nicht, dann suche man nach Gründen dafür.

Die Sklavenarbeit auf dem Land rechtfertigten die Aktivisten mit einer drohenden Hungerkatastrophe, man habe die Stadtbevölkerung dahin bringen müssen, wo es genügend Nahrung gab. Es habe sich nicht gehört, nach Verschwundenen zu fragen. Sie seien solidarisch gewesen mit Kambodscha und hätten die Revolution mit allen Mitteln unterstützen wollen. Sie hätten sich mit der Sache gemein gemacht und so unbewusst die Schere im Kopf aktiviert, Missstände verschwiegen oder relativiert.

Hätten die vier Aktivisten damals die Potemkinschen Dörfer, die man für sie aufbaute, durchschauen, hätten sie die wahren Zustände im Land erkennen müssen? Ja, meint Peter Fröberg Idling, das hätten sie – auch wenn er nicht sicher ist, ob er sie selbst erkannt hätte. Das empfehlenswerte Buch ist ein weiteres interessantes Lehrstück über die Folgen politischer Naivität auf Seiten von Idealisten, die sich vor den Karren einer menschenverachtenden Ideologie spannen lassen – die von Machthabern in perfider Weise getäuscht und für propagandistische Zwecke benutzt werden. (Klaus Jetz)

Erschienen in welt-sichten 10-2013

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