Ätzende Sozialkritik

Gary Victor
Schweinezeiten. Ein Voodoo-Krimi
litradukt Literatureditionen, Trier 2013,
130 Seiten, 11,90 Euro

Der haitianische Schriftsteller und Journalist Gary
Victor prangert in seinem jüngsten Buch die Fehlentwicklungen in seiner Heimat an. Die Spannung kommt trotzdem nicht zu kurz.

„Schweinezeiten“ ist ein  Reißer ohne den für Krimis typischen linearen Erzählstrang. Dem Autor geht es nicht um Verbrechen und ihre Aufklärung oder um pure Unterhaltung. Vielmehr ist der Krimi Mittel zum Zweck, ein Vehikel für ätzende Sozialkritik. Der Protagonist Dieuswalwe Azémar ist ein ehemaliger Elite-Polizist, ein Trinker, der sich seinem beruflichen Umfeld nicht anpassen will. Die meisten seiner Kollegen sind mit Hilfe von Schutzgelderpressungen und anderen Verbrechen reich geworden. So wie der junge Wachtmeister Colin, in den Azémar einst große Hoffnungen setzte. Dessen raffgierige Ehefrau hat dafür gesorgt, dass auch Colin bald der Korruption verfällt.

Azémar hat alles versucht, um seiner Tochter Mireya ein besseres Leben zu bieten, fern des haitianischen Sumpfs. Sie soll im Ausland in wohlbehüteten Verhältnissen aufwachsen. Deshalb hat er sie einem nordamerikanischen Orden anvertraut, in wenigen Tagen soll sie ausreisen und einer Pflegefamilie in den USA übergeben werden.

Doch bald entdeckt Azémar, dass er einem Irrtum aufgesessen ist. Hinter dem religiösen Orden verbergen sich skrupellose Menschenhändler, die illegale Auslandsadoptionen vermitteln oder gar mit den Organen ihrer Opfer Geschäfte machen. Azémar muss seine Tochter den Klauen dieser Mafia entreißen.

Wichtiger als die reißerische Handlung des Romans ist die Psychologisierung des Protagonisten, ein haitianischer Philip Marlowe und wahrer Antiheld nach nordamerikanischem Krimivorbild, der an den gesellschaftlichen Verhältnissen in seinem Land scheitert. Gary Victor nutzt auch Elemente des magischen Realismus, um Misswirtschaft, Elend und Fehlentwicklungen anzuprangern.

So macht Azémars ehemaliger Kollege Colin eine regelrechte Metamorphose durch: einmal korrupt geworden, durch einen Pakt mit dem Teufel Mammon, verliert er seine Seele und verwandelt sich langsam in ein Schwein. Der Voodoo-Krimi steht in bester lateinamerikanischer Tradition, der Autor kennt sich aus mit den Werken seiner Vorbilder Alejo Carpentier und Gabriel García Márquez.

Der Romantitel geht nicht nur auf die Verwandlung von Azémars Kollegen Colin zurück, Schweine durchwühlen auch die Müllhaufen im Zentrum der Hauptstadt Port-au-Prince. Überhaupt entwirft Gary Victor ein wenig schmeichelhaftes Bild seiner Heimat. Haiti hänge am Tropf der Vereinten Nationen und ausländischer Hilfsorganisationen, die sich überall breit  machen und die besten Stadtteile für sich vereinnahmen.

Die Regierung des sich selbst überlassenen Landes sei „eine Schauspielertruppe, die ein makabres Stück aufführt, um sich selbst fette Gehälter zu genehmigen“, während die schutzlose Bevölkerung unter einem florierenden Menschen-, Organ- und Drogenhandel leide. Die Haitianerinnen und Haitianer seien ausländischen Firmen ausgeliefert, die Land und Leute ausbeuten und Politiker schmieren, um darüber hinaus alle möglichen Schweinereien im haitianischen Boden verschwinden zu lassen.

Klaus Jetz

 

Neuen Kommentar hinzufügen

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
CAPTCHA
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das LKW aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!
„welt-sichten“ schaut auf vernachlässigte Themen und bringt Sichtweisen aus dem globalen Süden. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung. Warum denn das?
Ja, „welt-sichten“ ist mir etwas wert! Ich unterstütze es mit
Schon 3 Euro im Monat helfen
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!