Gemeinsam stark sein

Mark Herkenrath
Die Globalisierung der sozialen Bewegungen. Transnationale Zivilgesellschaft und die Suche nach einer gerechten Weltordnung
VS Verlag für Sozialwissenschaften,
Wiesbaden 2011, 43 Seiten, 39,95 Euro


Der Schweizer Soziologe Mark Herkenrath hat die Schwierigkeiten und Potenziale sozialer Bewegungen untersucht, die sich über Ländergrenzen hinweg vernetzen. Er mutet dem Leser reichlich Theorie zu.

Beispiele für die Zusammenarbeit sozialer Bewegungen über Ländergrenzen hinweg gibt es heute viele. Das Spektrum reicht von den Weltsozialforen über die Umweltbewegung bis zu den Fair-Handels-Gruppen. Viele neue Bewegungen möchten vom losen, unverbindlichen Informationsaustausch zu dauerhaften Formen der Zusammenarbeit kommen. Das geschieht auch aus der Einsicht heraus, dass die zivilgesellschaft liche Gegenwehr auf nationaler Ebene angesichts der Globalisierung allein kaum Aussichten auf Erfolg hat.

Doch so leicht der Funke überspringen kann (siehe Occupy-Bewegung), so schwierig ist es im Alltag, an einem Strang zu ziehen. Der Schweizer Soziologe Mark Herkenrath untersucht die damit verbundenen Prozesse anhand zweier Bewegungen: der Weltsozialforen (WSF) und der Alianza Social Continental (ASC), einer transnationalen Koalition von Basisbewegungen, Gewerkschaften und nichtstaatlichen Organisationen (NGO), die seit 13 Jahren besteht und in dieser Zeit einige politische Erfolge verbucht hat. Dabei zeigt sich, dass der neue Internationalismus für die beteiligten Gruppen mit Kosten verbunden sein kann – etwa dem Verlust an demokratischer Substanz. Doch insgesamt überwiegen laut Herkenrath die Vorteile.

Herkenrath liefert einen weiteren Baustein zur Forschung über das transnationale Engagement der neuen sozialen Bewegungen. Er sieht in ihnen ein Gegengewicht zum neoliberalen Modell, das sich in einer Legitimationskrise befi ndet. Ihre Stärke als zivilgesellschaft liche Gegenmacht könnten die Bewegungen vor allem realisieren, wenn sie auf mehreren Ebenen ansetzen, erklärt er. Ihr Erfolg hänge zudem von Vielfalt, Flexibilität, arbeitsteiligen Strukturen und einem Bündel weiterer Voraussetzungen ab – darunter die Eigenschaften und Fähigkeiten der Kontaktpersonen.

Koalitionsinterne Ungleichgewichte müssten dabei nicht unbedingt zu Demokratiedefiziten führen. Systematische Nord-Süd-Gegensätze seien eher gering, die Unterschiede zwischen Personen häufig deutlich größer. Als größtes Problem der Kooperation wertet Herkenrath die mangelhaft en Beteiligungsmöglichkeiten auf nationaler Ebene. Oft könnten sich nur die Einwohner von Großstädten regelmäßig beteiligen.

Herkenraths Arbeit hilft, die Potenziale und Schwierigkeiten transnationaler Bewegungen zu verstehen. Leider verspricht der Titel mehr, als der Inhalt einlöst. Anders als er es erwarten lässt, setzt sich das Buch nur mit zwei sozialen Bewegungen auseinander. Hinzu kommt: Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Basisbewegungen ist kein neues Phänomen. Sie lässt sich bis in das 19. Jahrhundert zurückverfolgen, wie Herkenrath zu Recht feststellt. Erstaunlicherweise erwähnt er jedoch die Arbeiterbewegung (den Urtyp der globalen sozialen Bewegung) mit keinem Wort. Dabei ließe sich möglicherweise aus ihren nicht immer erfolgreichen Bemühungen manche Lehre ziehen. Für eine Habilitation nicht untypisch beschäftigen sich zudem sechs der zwölf Kapitel mit Grundbegriffen und Theorieansätzen, einem Forschungsüberblick und der Globalisierung als solcher.

Ob die transnationalen sozialen Bewegungen wie von Herkenrath erhofft das Potenzial haben, zur emanzipatorischen Wende in der politischen Weltökonomie beizutragen, muss sich zeigen. War die Arbeiterbewegung zur Zeit von Karl Marx ihrem Gegner, dem nationalen Kapital, einen Schritt voraus, so erinnert der heutige Schlagabtausch eher an den Wettlauf von Hase und Igel. Kommen die Basisbewegungen endlich an, sind die Status-quo-Verteidiger längst positioniert.


Norbert Glaser

 

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