Grünes Wachstum oder Selbstbegrenzung?

Christian de Perthuis
Economic Choices in a Warming World
Cambridge University Press,
Cambridge 2011,
250 Seiten, 27,99 US-Dollar

Marcel Hänggi
Ausgepowert.
Das Ende des Ölzeitalters als Chance

Rotpunktverlag, Zürich 2011,
364 Seiten, 28 Euro


Zwei wichtige Bücher weisen verschiedene Wege im Umgang mit dem Klimawandel: Marcel Hänggi hält einen Rückgang des Energieverbrauchs für unvermeidbar und plädiert für Selbstbegrenzung. Christian de Perthuis erklärt das für unrealistisch und prüft, mit welchen Anreizen man Wachstum erhalten, aber den Treibhausgas-Ausstoß senken kann.

Der französische Ökonom fasst zunächst anschaulich und differenziert den Wissensstand über die Erderwärmung zusammen. Um sie zu bremsen, hält er zwei Ansätze für zwingend: Erstens müsse man das Energiesystem schnell kohlenstoffärmer gestalten. Das erfordere nicht nur mehr Energie-Effizienz und den Ausbau der Erneuerbaren Energien, sondern auch den Ausbau der Kernkraft sowie die Kohlenstoff-Abscheidung und Speicherung bei Kohlekraft werken. Zweitens müsse man die Entwaldung stoppen und, da deren stärkster Antreiber die Landwirtschaft sei, diese intensiver gestalten, ohne ihren Treibhausgas-Ausstoß zu erhöhen. Andere Ursachen von Entwaldung – etwa den Holzbedarf – gewichtet de Perthuis erstaunlich niedrig. Dass man Waldschutz und Landwirtschaft zusammen angehen muss, ist jedoch überzeugend.

Ausführlich untersucht er dann, wie man Wandel in Gang bringen kann, indem man Treibhausgasen einen Preis gibt – speziell mit dem Emissionshandel und Klimaprojekten in armen Ländern unter dem Clean Development Mechanism. Er erläutert, dass internationale Zielvereinbarungen ohne wirtschaft liche Instrumente zur Umsetzung wenig wert sind und wo hier die Konstruktionsfehler des Kyoto-Abkommens liegen. Den Emissionshandel in der Europäischen Union beurteilt de Perthuis als Prototyp einer möglichen Lösung – jedoch nur, wenn die Obergrenze der erlaubten Emissionen gesenkt und das System geografi sch ausgeweitet werde. Für den Waldschutz genüge ein Preis für Emissionen aber nicht, und den Fleischkonsum könne er nicht dämpfen (was de Perthuis für dringend nötig hält).

Zu den originellsten Thesen des Buches gehören die zur Kohlenstoff-Rente, das heißt der Einnahmen aus Emissionsrechten. Sie bedeuten laut de Perthuis eine Umverteilung. Wer profitiert und verliert, hänge davon ab, nach welcher Formel wem Emissionsrechte zugeteilt und wie die Einnahmen verteilt und verwendet werden. Dies entscheide auch darüber, ob die Wirtschaft insgesamt belastet oder stimuliert werde. Laut de Perthuis erschwert der Streit über die Verteilung der Kohlenstoff -Rente zwischen den Staaten enorm eine Einigung auf ein globales Klimaabkommen. Um das zu entschärfen, schlägt er vor, zunächst den Staaten, die mehr pro Kopf emittieren, auch mehr Emissionsrechte zu geben (grandfathering), dann aber rasch zu gleichen Rechten pro Kopf überzugehen. Zusätzlich müsse man an Länder mit hohen Öl- oder Gaseinnahmen aus der Kohlenstoff-Rente eine regelmäßige Entschädigung zahlen, wenn sie Öl im Boden lassen – so wie denen, die Senken, etwa Tropenwald, erhalten. Nur so könne man sie politisch ins Boot holen.

Hänggis Buch setzt anders an: Er hält den Abschied vom Erdöl-Zeitalter für unvermeidlich und fragt, wie wir das Leben in der post-fossilen Gesellschaft gestalten wollen. Dass Energie knapp und teuer wird, betrachtet er als Chance, weil eine Gesellschaft , die weniger Energie verbraucht als in den Industrieländern, wünschenswert sei. Erstens entfremde der moderne Verkehr den Menschen von Raum und Zeit und löse soziale Beziehungen auf. Zwei Bilder von Siebenjährigen über ihren Schulweg illustrieren das sehr schön: Der, der zu Fuß geht, hat eine bunte Welt gemalt mit Häusern, einer Kirche, einem Kino und Bäumen, der mit dem Auto gefahren wird, nur ein leeres Asphaltband. Zweitens führt laut Hänggi das großtechnische Energiesystem zu einer Machtkonzentration, die mit Freiheit im Sinne von gemeinsamer demokratischer Selbstbestimmung unvereinbar ist. Er schließt damit an die Kritik der Großtechnik bei Ivan Illich, André Gorz und Hans Jonas an.

Auch Hänggi erklärt gut Grundprobleme des Klimaschutzes. Energiesparen, der Ausbau der Erneuerbaren wie Windkraft und Solarenergie oder ein Anstieg des Ölpreises senken ihm zufolge nicht den Verbrauch an fossiler Energie, so lange der nicht politisch begrenzt wird. Den Emissionshandel beurteilt er ähnlich wie de Perthuis als möglichen Lösungsansatz; er fordert jedoch, nicht den Treibhausgas-Ausstoß, sondern den Input von fossilen Brennstoff en zu deckeln, um Emissionen aus Haushalten und dem Verkehr mit zu erfassen. De Perthuis will dieses Problem mit einer zusätzlichen Kohlenstoff-Steuer lösen.

Hänggi hält aber nicht nur den Verbrauch an fossiler Energie, sondern den Energieverbrauch insgesamt in reichen Ländern für zu hoch. Damit nimmt er ökologische Grenzen ernster als de Perthuis. Er plädiert für Demut – der Mensch solle nicht meinen, er könne alles technisch kontrollieren. Wie Selbstbegrenzung politisch durchgesetzt werden könnte, bleibt aber völlig off en. Für diese Frage hat paradoxerweise der Ökonom de Perthuis den klareren Blick. Er geht von herrschenden politökonomischen Mechanismen aus und fragt, was man auf dieser Basis wie erreichen kann. Dass riesige Kohlereserven ungenutzt im Boden bleiben könnten, hält er zum Beispiel für völlig unrealistisch. Der Ansatz führt zu strittigen Forderungen wie der nach Kohlenstoff-Abscheidung und Atomkraft , die Hänggi als Ausfl uss des Hochmuts ansieht. Dass beide fundiert und schlüssig argumentieren, macht das Unbehagen des Lesers nur größer.


Bernd Ludermann

 

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