Wo Kritik an Israel antisemitisch wird

Israel hat in Deutschland einen schlechten Ruf – da kann es tun und lassen, was es will. Die beiden Journalisten Georg M. Hafner und Esther Schapira erklären, warum das so ist.

Gaza ist das „am dichtesten besiedelte Gebiet der Welt“. So stand es in einer Pressemitteilung der Fraktion der Grünen im Europaparlament zum Gaza-Krieg im Sommer 2014. Und so steht es seit vielen Jahren in unzähligen anderen Stellungnahmen zum Israel-Palästina-Konflikt. Die Wirkung beim Leser ist immer dieselbe: Jeder Krieg ist schlimm, aber Bomben auf das „am dichtesten besiedelte Gebiet der Welt“ zu werfen, ist besonders barbarisch. Das Problem ist nur: Das Bild ist falsch, denn praktisch jede Millionenstadt ist dichter besiedelt als Gaza, sei es nun Paris, Tokio oder Mumbai. Wenn Gaza das am dichtesten besiedelte Gebiet der Welt sein soll, muss es sich diesen ersten Platz mit Berlin-Marzahn teilen: Dort wohnen genauso viele Einwohner pro Quadratkilometer.

Für Georg M. Hafner und Esther Schapira ist es kein Versehen, dass sich solche Falschinformationen so lange halten, denn sie haben einen Zweck: den Staat Israel zu dämonisieren. Der frühere ARD-Redakteur und die leitende Redakteurin beim Hessischen Rundfunk haben sich für ihr Buch genau angesehen, wer in Deutschland Israel auf welche Art kritisiert. Ihr Fazit: „Vielen ,Israelkritikern‘ ist in Wahrheit nicht die Politik des Staates, sondern seine Existenz ein Dorn im Auge.“ Und für Hafner und Schapira ist auch klar, warum das so ist: Weil Israel der Staat der Juden ist. Die „säuberliche Auftrennung“ in den Hass auf Israel einerseits und die Juden andererseits ist für sie „politische Kosmetik“.

Als ein Beleg dafür dient Hafner und Schapira die Verurteilung Israels als „Kindermörder“, wie sie nicht nur auf Demonstrationen hitzköpfiger muslimischer Jugendlicher üblich ist, sondern auch zu jeder Pro-Palästina-Mahnwache auf evangelischen Kirchentagen gehört.
Der Vorwurf des Kindsmordes ist nicht nur eine vernichtende Kritik, sondern bedient zugleich ein uraltes antisemitisches Vorurteil. Warum nicht „Kindermörder Syrien“ oder „Kindermörder Nordkorea“, fragen Hafner und Schapira. Weil diese beiden Staaten – wenn überhaupt – lediglich für ihre Taten angeprangert werden und nicht wie Israel dafür, dass es sie gibt.

Hafner und Schapira verdeutlichen an einer Fülle von Beispielen, dass hinter der „Israelkritik“ vieler Friedensbewegter in Deutschland nicht die Sorge um die Palästinenser steht, sondern eine tief sitzende Abneigung gegen den Zionismus und einen starken Judenstaat. Viele selbst ernannte Freunde der Palästinenser interessierten sich nur soweit für das Unrecht, das diesem Volk widerfährt, wie Israel dafür verantwortlich gemacht werden könne. Das Los der Palästinenser etwa in Syrien oder im Libanon sei den meisten völlig egal.

Das ist ein wichtiges und lesenswertes Buch. Einziger Wermutstropfen: Für eine Streitschrift, die es sein will, ist es zu lang geraten; viele Argument wiederholen sich. Und auch der Ton ist manchmal zu weinerlich und anklagend. In dieser Hinsicht sind Hafner und Schapira der Gegenseite in dieser Debatte ähnlicher, als ihnen lieb sein dürfte.

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Sehr geehrte Damen und Herren,

Antisemitismus ist (neben dem Nazi-Vorwurf) wohl der härteste Vorwurf, der in Deutschland in einer politischen Diskussion erhoben werden kann, und die Meinungen darüber, wann eine Kritik an der israelischen Regierungspolitik antisemitisch ist, gehen auch unter Juden hier und Israel-Freunden sehr weit auseinander. Deshalb hatte ich mir durch die Überschrift der Buchbesprechung Aufklärung und Hilfe erhofft. Das Gegenteil ist jedoch der Fall.

Vielleicht steht in dem Buch ja Überzeugenderes, aber nach der positiven Wiedergabe der grundlegenden Gedanken des Buches dominieren dort Einzelbeobachtungen (ohne ihre Reprasäntativität zu belegen), Unterstellungen und im wahrsten Sinne des Wortes kurzschlüssige Gedankenführungen, auch grundlegende Missverständnisse.

Es entsteht nicht der Eindruck, dass die Autoren die Diskussion versachlichen, Brücken bauen wollen. Es wirkt vielmehr genauso einseitig wie die Einseitigkeit, die den Pro-Palästinensern vorgeworfen wird.

Viele meiner Freunde haben sich ihr Leben lang für Israel, seine Existenz, seine Entwicklung und die deutsch-jüdische Versöhnung eingesetzt und sind - nach oft heftigen inneren Auseinandersetzungen - zu sehr entschiedenen Kritikern der (aktuellen!) israelischen Regierungspolitik geworden (übrigens auch deutsche Juden) und müssen sich dann heute in Diskussionen Antisemitismus vorwerfen lassen!

Ist es wirklich unzulässig, die Frage zu stellen, ob der Vorwurf des Antisemitismus oft nicht zu leichtfertig verwendet wird, um eine Auseinandersetzung mit menschenrechtlicher, theologischer und politischer Kritik, z.B. auch aus den israelischen Geheimdiensten zu unterbinden?

Kürzlich sagte mir ein deutscher Offizier und bekennender Israelfreund recht verzweifelt, Israel tue politisch alles, um seine (letzten) Freunde vor den Kopf zu stoßen.
Von dieser - fast tragischen - Problematik scheint in dem Buch offenbar nichts auf. Für mich sieht es nicht nach einer lesenswerten Lektüre als vielmehr nach einer verpassten Chance aus.

Mit freundlichen Grüßen
Cay Gabbe

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