Drei Leben im Exil

Simbabwer im schottischen Exil, so könnte man den neuen Roman des jungen Schriftstellers Tendai Huchu auf den Punkt bringen: drei Figuren, drei zerrissene Leben, drei Schicksale. Der Autor setzt kein Wissen über Simbabwe oder das Leben in der Emigration voraus. Vielmehr lädt er die Leser ein, seinen Protagonisten auf ihren Streifzügen durch Edinburgh zu folgen. In dieser Stadt bewegen sie sich wie Grenzgänger.

Huchu wehrt sich dagegen, sein Werk in verbreitete Kategorien wie Exilliteratur oder afrikanische Literatur einzuordnen. Während einer Lesereise in Deutschland betonte er: Ihm gehe es allein um Kunst und literarisches Schaffen. Gleichzeitig promoviert der in Simbabwe geborene, in Schottland lebende Autor an der Universität Manchester in Creative Writing. Sein experimentelles Spiel mit Figuren und Schreibstilen, ja selbst mit seiner Rolle als Autor, spiegelt sich in diesem Buch. Auch die literarische Einordnung als Roman ist nur eine mögliche Lesart. Ebenso könnte man von drei Biographien sprechen, die sich punktuell kreuzen.

Auf dem Weg zwischen Wohnung und Arbeit nutzt der aus Simbabwe stammende „Magistrat“, der in seinem früheren Leben Jurist war und sich nun als Aushilfskraft in Seniorenheimen verdingt, verschiedene Stadtbusse. Während langer Fahrten, aber auch ausgedehnter Spaziergänge hört er Musiker aus seiner Heimat. Dass etliche von ihnen längst an AIDS gestorben sind, deutet Huchu an, wenn er von der Epidemie spricht, die auch auf das Versagen des simbabwischen Gesundheitssystems hinweist. Dagegen hält er die Erinnerung an die Mitgestalter des einst reichen Kulturlebens Simbabwes wach.

Der Magistrat, dessen neuer Alltag in Edinburgh in diesem Buch großen Raum einnimmt, sucht Halt in vertrauten Klängen, während zwischen seiner Ehefrau und ihm immer größere Sprachlosigkeit herrscht. Auch der für das Exil typische Rollentausch bringt ihn an die Grenzen seines maskulinen Selbstbildes. Denn wie viele Simbabwerinnen schuftet seine Frau nachts als Krankenschwester, hingegen übernimmt er die Versorgung der heranwachsenden Tochter. Gleichzeitig blinken immer wieder Erinnerungen an sein früheres mittelständisches Leben auf, als er Küchen- und Putzdienste noch an Hausangestellte delegierte.

Während die Magistratsfamilie eine neue bürgerliche Existenz aufbaut und trotz familiärer Verwerfungen letztlich doch zusammenhält, gerät das Leben des „Maestro“ aus den Fugen. Anfänglich jobbt er noch in einem großen Einkaufszentrum und interessiert sich für eine Polin, die ebenfalls dort arbeitet. Seine eigentliche Leidenschaft ist aber das Lesen von Romanen und philosophischer Literatur. Auf seiner Suche nach Antworten auf die großen Fragen zum Sinn des Lebens manövriert er sich zunehmend in die Isolation und verliert letztlich jeglichen Realitätsbezug. Als Obdachloser mäandriert er ohne Zeitgefühl zwischen Räumen, was nicht nur seinem Cannabis-Konsum geschuldet ist.

Alkohol durchtränkt wiederum das Sozialleben des „Mathematikers“, der allerdings nur sporadisch an seiner Dissertation arbeitet und sich vor allem als Partylöwe vergnügt. Doch auch sein privilegiertes Dasein als Sohn wohlhabender Eltern wird von den Machenschaften der in Simbabwe  herrschenden politischen Clique und ihren Handlangern eingeholt. Um zu erfahren, was mit ihm weiter passiert, ist jedem Interessierten die Lektüre des außergewöhnlichen und lesenswerten Buches angeraten. Huchu gelingt es literarisch geschickt, anhand sinnlich beschriebener Alltagssituationen und dramaturgischer Steigerungen, Grundfragen zu gebrochenen Biographien und von Diktaturen und Verrat hervorgerufenen tiefen Erschütterungen zu stellen. Nicht alles wird entschlüsselt, Antworten müssen letztlich auch die Leser selbst finden.

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